„Ein Stück Hamburg stirbt“: 500 Huren demonstrieren auf dem Kiez gegen Arbeitsverbot
Angekettete Sexsklaven, Geigentöne und ein metallenes Kreuz bestückt mit Dildos und Dessous als symbolischer Altar: Auf der Herbertstraße in Hamburg haben am Samstagabend Hunderte Prostituiere für die Wiedereröffnung von Bordellen demonstriert. Auch mit prominenter Unterstützung.
„Ich will wieder in den Puff gehen“ steht auf einem Plakat, das der in Latex gehüllte Sexsklave trägt. Nur kurz kann er seine Botschaft in die Kamera halten, dann wird er wieder an die Seite seiner Gebieterin gescheucht – durch die Kette, die sich um seinen Hals schlängelt.
Hamburger Kiez: Prostituierte demonstrieren gegen Arbeitsverbot
„Ich dachte, ich sei für die Herberstraße nicht hübsch genug“, spricht eine Frau mit kurzen Haaren in ein Megafon. Sie hat vor 27 Jahren in Hamburg angefangen, als Prostituierte zu arbeiten. Heute tut sie das in Berlin und ist nebenbei politische Sprecherin des Berufsverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen. „Heute stehe ich das erste Mal im Schaufenster.“
Worauf sie und ihre Kolleginnen vom Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen (BSD) aufmerksam machen wollen: das noch immer geltende coronabedingte Arbeitsverbot für Prostituierte. „Man lässt uns nicht arbeiten, obwohl andere Geschäfte wie Friseure, Massage- und Fitnessstudios, Schwimmbäder und Tätowierer bereits wieder auf haben. Wir können nicht mehr akzeptieren, was mit uns gemacht wird.“
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Fakt ist: Die Huren fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Und das, obwohl die Sexarbeiterinnen nicht tatenlos waren und sogar schon vor Wochen ein Hygienekonzept erstellt und an die Bundesregierung verschickt haben, das einen Eins-zu-Eins-Kontakt zwischen Hure und Freier vorsah, Maskenpflicht, Trennwände und Abstandsregeln.
Die Antwort: „Es dürfte auf der Hand liegen, dass Prostitution die Wirkung eines epidemiologischen Super-Spreaders hätte − sexuelle Handlungen sind in der Regel nicht mit Social Distancing vereinbar“, unterschrieben von 16 Parlamentariern. Sie überlegen, die Prostitution ganz zu verbieten – auch nach Corona.
Sexarbeit-Verbot in Hamburg: Droht eine Verlängerung?
In Hamburg, so erfuhr es die MOPO, sei derartiges nicht geplant. Doch auch hier ist die Sexarbeit, wie in den meisten anderen Bundesländern, noch komplett verboten. Zunächst bis Ende August, „es kann aber auch eine Verlängerung geben“, so Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde.
Umso größer der Protest an der Herbertstraße, zu dem sich laut Polizei 500 Menschen gesellen. Darunter Sexarbeiterinnen aus ganz Deutschland.
„Behandelt uns nicht wie Puppen“, fordert Nadine. Sie arbeitet nur auf Terminen deutschlandweit. „Wir sind Menschen, und wollen auch so behandelt werden und ganz normal arbeiten.“ Im Hintergrund spielt eine Kollegin Geige, eine andere hält ein Schriftzug hoch: „Wir schützen vor Vergewaltigung“.
Mit auf dem Kiez dabei: St. Pauli-Grande-Dame Olivia Jones. Sie könne sich den Stadtteil und Hamburg nicht ohne Sexarbeiterinnen vorstellen. „Ich kenne viele, die verzweifelt sind, von Hartz IV und Grundrenten leben. Sie haben keine Perspektive, brauchen Hilfe und Aufmerksamkeit.“
Kiez-Frau Olivia Jones: „Unsere Vielfalt ist gefährdet“
Sie beobachte eine Aufbruchsstimmung auf dem Kiez, was gut sei: „Die ersten Bars und Kneipen haben wieder aufgemacht, Gäste und Touris kommen zurück. Was fehlt, sind aber Live-Musik, Clubs und natürlich unsere Mädels“, Jones deutet auf die protestierenden Huren. „Ansonsten ist unsere Vielfalt gefährdet.“