Einer von 20.000: Holger W. aus Hamburg kämpfte vier Monate gegen Corona – vergebens
„Ich kann Ihnen die Geschichte erzählen, aber Sie müssen es aushalten, wenn ich zwischendurch weine“, sagt Gabriela W. und sie klingt dabei wie eine ziemlich starke Frau.
Ihr Mann, Holger W., war unter den ersten Hamburger Corona-Infizierten. Nach vier Monaten auf der Intensivstation verstarb er zwei Wochen nach seinem 74. Geburtstag an den Folgen einer Corona-Infektion in der Asklepios Klinik Barmbek.
Ein echter Mensch, keine Ziffer in einer täglich aktualisierten Statistik. Holger mit der starken Vorhand. Tischtennis-Veteran mit Hamburger Meistertitel. Legende bei „Oberalster“, immer engagiert fürs Wohl des Vereins. Fairer Sportsmann. Dreifacher Vater. Ehemann. Großvater. Bruder. Onkel. Freund.
Corona: Holger aus Hamburg war nicht mehr jung, aber topfit
Holger aus Hummelsbüttel war nicht mehr jung. Aber ein topfitter Senior. 60 Jahre Sport. Jahrzehnte war er Diplom-Ingenieur bei Otto Dörner, betreute Baustellen. Als Holger krank wurde, dachte Gabriela: „Papa hat ’ne Männer-Grippe …“
Manchmal hatte er so was. Ein Infekt, ein bisschen Fieber. Und, wie Männer dann halt so sind, sie leiden doll. Und nach zwei, drei Tagen sind sie wieder fit.
Am 16. März gingen Gabriela und Holger spazieren. Plötzlich konnte Holger nicht mehr. Seine Frau holte das Auto und musste ihn einsammeln. Fix und fertig, von jetzt auf gleich. Das war mitten im ersten Lockdown. Sie wählten die Nummer der Hotline. Man beriet sich mehrfach. Corona? Muss man beobachten.
Im UKE in Hamburg auf die Intensivstation
Holgers Zustand verschlechterte sich. Erschöpfung und immer wieder Fieber. Essen und trinken wurde immer schwerer. Ein Sanitäter kam, in Schutzkleidung. Dessen Diagnose: Bronchitis. Bloß nicht ins Krankenhaus, riet der. Lieber zu Hause bleiben.
Ein Besuch in der Notaufnahme. Auch da: Bronchitis wahrscheinlich. Wieder nach Haus. Die Hausärztin veranlasste einen Corona-Test. Negativ. Aber die Nierenwerte waren schlecht: „Er muss ins Krankenhaus.“
Das war am 25. März. Holger konnte kaum noch gehen. Neuer Test im UKE. Positiv. Einen Tag später intubiert. Intensivstation.„Am Anfang, als ich nicht ins Krankenhaus durfte, habe ich jeden Tag angerufen und mit den Pflegern gesprochen“, sagt sie. „Ich hatte Angst, dass die denken: 73? Na ja, der hat sein Leben gelebt. Ich wollte, dass die wissen, da sind Menschen, in dessen Leben Holger eine wichtige Rolle spielt.“
Kampf gegen Corona: Witwe Gabriele lobt Pfleger und Ärzte
Später, viel später, durfte sie ihn besuchen. „Was diese Leute dort leisten, ist unglaublich.“ Gabriela hatte über Monate viel Kontakt zu dem Personal auf Intensivstationen. Sie hat mehrfach erlebt, wie sie ihren Holger, bewusstlos und beatmet, vom Rücken auf den Bauch drehen mussten. Sie hat über einen Luftröhrenschnitt entscheiden müssen. Sie sah, wie um sie herum der Tod kam und ging.
Über das Personal dort spricht sie voller Hochachtung: „Diese Menschen haben immer alles Menschenmögliche versucht.“ Gereicht hat es für Holger nicht.
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Nierenversagen. Leberversagen. Holger starb nach vielen Wochen mit Beatmung, Koma und Dialyse im Juli. Es war ein langer, langer Weg, mit gelegentlichen Phasen der Hoffnung und vielen, vielen Rückschlägen. Gabriela hielt ihm die Hand, als er ging. Die Ärzte waren beeindruckt, wie lange er durchgehalten hat.
Zuvor hatte er, inzwischen körperlich in einem verheerenden Zustand, im Kopf aber wieder klar, selbst alles geregelt. Das Ende der Behandlung. Die Details der Beerdigung. Eine Dankesnachricht an die Freunde, die sich aufopferungsvoll um ihn und seine Familie kümmerten, aufgenommen auf Tonband. Fürs Schreiben fehlte die Kraft.
Eine bewegende Trauerfeier in Hamburg-Ohlsdorf
Auf der Trauerfeier in Ohlsdorf spielte Boogie-Woogie-Pianist Joja Wendt Klavier. Ein Tischtennis-Kumpel. Für die vielen Sportsfreunde, die dabei sein wollten, hatte man eine Außenübertragung mit Abstand organisiert. Wendt gab den Pingpong-Song, zur Musik spielten zwei Männer Tischtennis auf einer eigens aufgestellten Platte. Es klingt, als wäre es eine Trauerfeier gewesen, die Holger gefallen hätte.
Gabriela hat nicht oft Nachrichten gehört in den vergangenen Monaten. Dass es Menschen gibt, die die Gefährlichkeit der Krankheit leugnen, beschäftigt sie aber sehr. Auch dass es Menschen gibt, die denken, „na ja, die meisten Opfer sind ja schon alt“, so als wäre es dadurch weniger schlimm. Ist da Wut? „Nein, aber Unverständnis“, sagt sie.
Corona-Tote: „Hinter jeder Zahl steht ein Mensch“
Gezögert hat sie, als die MOPO sie fragte, ob sie die Geschichte von Holger, Corona und sich erzählen will. Sie will nicht, dass der Eindruck entsteht, sie wolle sich in den Vordergrund drängen: „Aber es ist wichtig, dass die Menschen wissen, dass da ein Mensch hinter jeder Zahl in der Statistik ist.“
Ein Vater, der seiner Tochter noch vom Krankenbett zurief, nächste Woche wieder fit zu sein. Na, klar! Dann wollte er ihr, wie versprochen, beim Umzug nach Hamburg helfen. Es kam anders.
Geweint hat Gabriela nicht, beim Erzählen. Aber ihr Schmerz ist noch immer spürbar.