Einsamkeit, Gewalt, Sucht: So leiden Hamburger unter den Folgen des Lockdowns
Der Lockdown wird verlängert – und immer wieder die gleichen Appelle: „Wir müssen noch ein bisschen durchhalten“. Doch was, wenn das einfach nicht mehr geht? Wenn der Druck, die Angst zu groß werden? Mit jedem Tag länger im Lockdown verschlechtert sich die psychische Gesundheit der Menschen. Gewalt nimmt zu, überstandene Süchte schleichen sich wieder in den Alltag, und Gespräche drehen sich um Einsamkeit und Resignation. So ist die Lage in Hamburg.
„Einsam ist, wer sich auch so fühlt“, sagt Stefanie Janssen aus der offenen Seniorenarbeit der Diakonie Hamburg. Mit dem Alleinsein kämen viele Senioren recht gut klar – so lange das soziale Gefüge noch besteht. „Durch den Wegfall aktivierender sozialer Angebote können Depressivität, Immobilität und kognitive Einschränkungen zunehmen“, sagt Janssen. Hinzu kommt, dass Einsamkeit nachweislich die Entstehung von Demenz fördere. Gerade die hochbetagten Menschen bauen derzeit geistig stark ab.
Hamburg: Die Anrufe bei der Telefonseelsorge sind gestiegen
Doch viele Ältere verfügten auch über Strategien, um mit der aktuellen Situation umzugehen. Jüngere Senioren zwischen 65 und 79 seien häufig noch in ein funktionierendes soziales Netzwerk außerhalb der Familie eingebunden. Dennoch wäre es hilfreich, wenn zumindest Einzelbesuche in Seniorentreffs wieder möglich wären.
„Wir nehmen noch mehr Anrufe entgegen als sonst“, sagt Babette Glöckner, Leiterin der Telefonseelsorge Hamburg. Dabei kann aufgrund der Anonymität aber nicht unterschieden werden, ob eine Person mehrfach anruft, es werden nur die Anrufe an sich gemessen. Die Zahl der Erstanrufer sei seit Beginn der Pandemie aber gestiegen. Menschen zwischen 45 und 60 Jahren riefen am häufigsten an. Seit Corona habe es in allen Altersstufen einen Anstieg gegeben. Insgesamt sei die Altersstruktur sogar um etwa fünf bis zehn Jahre gesunken. „Unter 30-Jährige nutzen häufiger den Chat- oder Mail-Bereich.“
Hamburg: Ängste, Aggressionen, Hoffnungslosigkeit
„Die vorrangigen Themen sind Einsamkeit und Ängste, etwa Angehörige anzustecken“, sagt Glöckner. Hinzu kämen Schilderungen von Resignation, Hoffnungslosigkeit und depressiven Verstimmungen wie beispielsweise der Frage: „Was wird aus unserer Welt.“ Die Verzweiflung über berufliche und private Konsequenzen durch die Pandemie seien genauso Thema wie Wut und Aggressionen.
Die vor kurzem veröffentlichte Kriminalstatistik Hamburg gibt Anlass zur Sorge. Zwar sind die Straftaten im vergangenen Jahr insgesamt zurückgegangen, viele Gewaltdelikte haben sich aber in den heimischen Bereich verlagert. Die Partnerschaftsgewalt nahm um neun Prozent zu. Frauen sind mit 78 Prozent deutlich häufiger betroffen – insgesamt gab es 5397 Opfer. Das Positive: Immer mehr Frauen trauen sich, die Täter anzuzeigen.
Hamburg: Die Rückfälle bei Suchtkranken nehmen zu
Während bei den einen der angestaute Frust in Aggression mündet, sind es bei anderen Süchte. Derzeit scheinen die Beratungen in den Suchtzentren nur leicht zu steigen, „was aber auch logisch ist, da die Sucht eine Krankheit ist, die sich erst langsam entwickelt“, sagt Linda Heitmann von der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen. Die Folgen würden teilweise erst Jahre später sichtbar. Auffällig sei, dass vermehrt trockene Alkoholiker oder ehemalige Suchtkranke in den Zentren erscheinen – die Rückfälle nehmen zu.