Er baut Hamburg um – aber macht er das gut?
365 Tage ist der Senat im Amt – und während die meisten Senatoren in der Pandemie komplett abgemeldet waren, ist Anjes Tjarks (Grüne) omnipräsent. Am Senator für Verkehr und Mobilitätswende kommt kein Hamburger vorbei: Der ehemalige Grünen-Fraktionschef baut die Stadt um wie keiner vor ihm, sperrt Straßen, schließt Autos aus, eröffnet Radwege und digitalisiert den HVV. Weniger Autos, mehr Fahrrad, mehr Lebensqualität, so lauten seine Ziele. Was er bisher erreicht hat und was nicht, die MOPO zieht Bilanz.
Hamburg soll zur Fahrradstadt werden
Der Senator lässt keine Gelegenheit aus, um sich auf dem Fahrrad fotografieren zu lassen – doch macht er Hamburg wirklich zur Fahrradstadt? Es geht auf jeden Fall voran. Plötzlich ist möglich, was jahrelang angeblich nicht ging: Fahrbahnen in Radwege umbauen. Vier sogenannte Pop-Up-Bikelanes wurden installiert, unter anderem Am Schlump und in der HafenCity. In Harburg entstand kürzlich die erste „Protected Bikelane” der Stadt, also eine per Betonbarriere vom Autoverkehr getrennter Radweg.
Noch wichtiger: Als Ziel hat Hamburg sich gesetzt, jährlich 60 bis 80 Kilometer Radwege zu bauen oder zu sanieren. Perspektivisch sollen es 100 Kilometer werden. 2020 waren es 62 Kilometer, ein Anstieg von 63 Prozent im Gegensatz zu 2019. Luft nach oben gibt es aber natürlich trotzdem.
Der Hamburg-Takt
Bis 2030 soll jedem Hamburger innerhalb von fünf Minuten ein Verkehrsangebot zur Verfügung stehen. Dafür muss die Verkehrsbehörde jetzt die Grundlage schaffen. Zuletzt fiel der Startschuss für die Verlängerung der U4 bis zum Horner Geest. Auch der Neubau der S4 wurde eingeleitet. In der HVV-Switch-App sind nun auch Car-Sharing-Anbieter vorhanden, der unkomplizierte Wechsel zwischen mehreren Verkehrsmitteln – er klappt endlich. Der ÖPNV hat Priorität, auch wenn viele Menschen ihn wegen Corona im vergangenen Jahr mieden.
Umbau Jungfernstieg und Mönckebergstraße
Hier setzte Tjarks direkt mit dem Amtsantritt ein Zeichen: Autos haben seiner Ansicht nach in der Innenstadt nicht viel verloren. Seit Oktober sind Privatautos vom Jungfernstieg verbannt. Zusätzlich wurde am Ballindamm der breiteste Radweg Hamburgs (4,75 Meter) eröffnet. Die Busse in der Mö müssen durch die Steinstraße fahren – erst einmal vorläufig. Und überall in der Stadt werden Tempo-30-Zonen eingerichtet.
Die großen Streitpunkte
Tjarks, das ist klar, drückt auf die Tube. Die Verkehrswende, an immer mehr Stellen der Stadt wird sie sicht- und erfahrbar. Der Senator ist dabei Überzeugungstäter. Umso heftiger sind die Diskussionen, die die Verkehrswende erzeugt. Zu den wohl umstrittensten Folgen gehört der Abbau von Parkplätzen, die gerade erst verkündete Verteuerung des Parkens sowie die massive Ausweitung von Anwohnerparkzonen, um den Hamburgern das Autofahren zu vermiesen.
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Das wird besonders von der CDU kritisiert: „Erst werden immer mehr öffentliche Stellplätze ersatzlos vernichtet und jetzt kurze Zeit später bereits an der Gebührenschraube gedreht“, so der verkehrspolitische Sprecher Richard Seelmaecker. Auch Handwerker hatten sich beschwert, in den Anwohnerparkzonen kaum noch Parkplätze zu finden. Darauf reagierte man mit einer Kontingentlösung und mehr Kurzfrist-Genehmigungen.
Auch heftig umstritten: Der Abriss und Neubau der Sternbrücke. Hier positionierte sich Tjarks klar: Die Brücke stelle einen „Hemmschuh“ für die Mobilitätswende dar, Fahrrad- und Fußwege und die Bushaltestelle sollen unter der neuen Brücke mehr Platz bekommen. Ein neues Clubhaus sollte Kult-Club-Betreiber versöhnen. Die Sternbrücken-Initiative sah das aber nur als „Scheinlösung“. „Mehr Autos sollen hier in den nächsten Jahrzehnten fahren. Dafür muss ein Monsterneubau die alte Sternbrücke ersetzen”, kritisiert Heike Sudmann (Linke). „Das nenne ich verfehlte Verkehrspolitik.”
Und was sagen die anderen?
Lob gibt es vom Fahrrad-Club ADFC. „Im Unterschied zur SPD-geführten Vorgängerin behandelt die Behörde den Radverkehr als ernstzunehmendes Verkehrsmittel”, so Sprecher Dirk Lau. Was noch fehle, sei ein Konzept, das die Fahrradstadt bis zu Ende plane und die Kfz-Zahlen reduziere. „Dazu gehört auch, den Ausbau des Radverkehrs in den vernachlässigten Gebieten”, so Lau.
Aus der politischen Opposition ist man zurückhaltender. „Seit Beginn steht hauptsächlich die Förderung des Radverkehrs im Blickpunkt der Senatspolitik”, bemängelt CDU-Fraktionschef Dennis Thering. „Andere Verkehrsteilnehmer dürfen nicht aus dem Blick geraten.”
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Kritische Töne auch vom ADAC: Man begrüße zwar die Stärkung der Radinfrastruktur, aber: „Die Pop-Up-Bikelanes erhöhen zwar die subjektive Sicherheit der Radfahrer, sind aber keine längerfristige Lösung”, erklärt Christian Hieff vom ADAC Hansa. Vor allem die Busse stünden dafür länger im Stau. Positiv bewertet Hieff die Mittel, die in die Straßeninstandsetzung fließen.
So resümiert Tjarks das erste Jahr in der Verkehrsbehörde
Tjarks selbst spricht von großer Unterstützung, die er erfährt. „Natürlich ist es so, dass es bei der Umsetzung einigen nicht schnell genug geht und andere schon grundsätzliche Sorgen vor der Veränderung haben”, sagt er. Das sei nichts Ungewöhnliches, man versuche, so viele Menschen wie möglich mitzunehmen.
Und was steht jetzt an? „2021 ist das Jahr des Schnellbahn-Ausbaus”, kündigt der Senator an. 36 neue Bahnhöfe wolle man in Hamburg in den nächsten 20 Jahren bauen. „Die Menschen erwarten völlig zu Recht von uns, dass wir das ganz praktische und tägliche Mobilitätsangebot in Hamburg verbessern. Und daran messen sie uns auch”, so Tjarks.