• Immer lauter wird die Forderung erhoben, die Sedanstraße in Hamburg, die an Krieg und Franzosenhass erinnert, umzubenennen.
  • Foto: Florian Quandt

Erinnerung an Krieg und „Erbfeind“ Frankreich: Gebt dieser Straße einen neuen Namen!

Sedan steht für Hunderttausende getöteter Menschen, für Kriegsgemetzel, für deutschen Größenwahn. Diesem Schlachtort und damit auch der Feindschaft gegen Frankreich eine Straße zu widmen mag den völkischen und militaristischen Gruppen und Parteien gefallen. Aber mit dem Selbstverständnis einer Stadt, die sich demokratischen und friedensfördernden Werten verpflichtet weiß, ist das unvereinbar. Deshalb fordere ich: Benennt diese Straße endlich um. Es ist überfällig.

Für den preußischen Reichskanzler Otto von Bismarck war der 2. September 1870 ein guter Tag. Die Truppen seines Königs Wilhelm I. siegten bei Sedan über die Armeen des französischen Kaisers Napoleon III., der sich daraufhin am nächsten Morgen in Gefangenschaft begeben musste.  „Welch eine Wendung durch Gottes Führung“, jubelte der König, der auch gleichzeitig oberster Herr der evangelischen Kirche war.Es brauchte dann nur noch wenige Monate, bis am 18. Januar 1871 im Schloss von Versailles die endgültige Niederlage Frankreichs gefeiert wurde und sich der bisherige preußische König als Deutscher Kaiser proklamieren ließ. Unter Einverleibung etlicher kleinerer deutscher König- und Fürstentümer wurde das Deutsche Reich geschaffen. Und um dessen Wirtschaftsaufschwung in den Gründerjahren zu finanzieren, presste man Frankreich Reparationen von fünf Milliarden Francs in 1450 Tonnen Feingold ab.

„Blut und Eisen“ begründete das deutsche Reich 

Neben Bismarcks raffinierter Diplomatie war es weniger „Gottes Führung“, sondern vor allem „Blut und Eisen“, mit denen dieses deutsche Reich begründet wurde. 50 000 deutsche und 140 000 französische Soldaten blieben auf den Schlachtfeldern zurück, zerfetzt, erschossen, verstümmelt. Viele Verletzte wurden im Schloss von Versailles behandelt. Man hatte extra dicke Vorhänge angebracht, damit ihr Stöhnen nicht die Kaiserproklamation direkt nebenan im Krönungssaal beeinträchtigen konnte.

Nach der Schlacht von Sedan: Fürst Otto von Bismarck (r.) im Gespräch mit Napoleon III.

Nach der Schlacht von Sedan: Fürst Otto von Bismarck (r.) im Gespräch mit Napoleon III.

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Der blutige Sieg in der Schlacht von Sedan und die Kaiserkrönung begeisterten Adel, Militär und Bürgertum im neuen Deutschen Reich. Schon im Frühjahr 1871 gab es eine erste Petition für die Einführung eines jährlichen Sedan-Feiertages, vor allem auch aus kirchlichen Kreisen. Es war im Juni 1872 der westfälische Pastor Friedrich Wilhelm von Bodelschwingh, der den 2. September als Datum für ein Dank- und Friedensfest vorschlug. Das sollte dann, wie vom Rheinisch-Westfälischen Provinzialausschuss für Innere Mission propagiert, gefeiert werden mit dem Absingen patriotischer Lieder, Freudenfeuern und Glockengeläut, mit Umzügen der Veteranen und Offiziere, begleitet von der „Ortsobrigkeit“, durch festlich geschmückte Straßen hin zur Kirche, anschließend das Mittagsmahl im Familienkreis und dann wieder Musikkapellen, Festreden sowie Volksbelustigungen aller Art im Freien.

Die Schlacht von Sedan 1870: Der deutsche Sieg war die Vorentscheidung für den Ausgang des Krieges.

Die Schlacht von Sedan 1870: Der deutsche Sieg war die Vorentscheidung  für den Ausgang des Krieges.

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Bismarck trug für die Sedan-Schlacht die entscheidende politische Verantwortung

Doch nicht alle wollten sich an diesen völkischen Inszenierungen beteiligen. Die katholische Kirche sah sich heftigen Attacken Bismarcks ausgesetzt und bewahrte einen Rest von Mitgefühl für das geschlagene Frankreich, das weitgehend katholisch war. Und die Sozialdemokraten, ebenfalls von Bismarck bedrängt, verweigerten sich, so gut es ihnen möglich war, dem Hurra-Patriotismus. Ende der 1880er Jahre sollen sogar einige SPD-Redakteure wegen Majestätsbeleidigung verhaftet worden sein. Doch ungeachtet solcher Proteste wurde der Sedan-Mythos mit einer Fülle von Aktivitäten ins National-Religiöse gesteigert: Huldigungsdenkmäler für den Kaiser und bald darauf für Bismarck wurden errichtet. In Altona dominiert das mächtige Kaiser-Wilhelm-Denkmal seit 1898 bis heute unangefochten das Altonaer Rathaus und sein Parlament. Auch das umstrittene Bismarck-Denkmal hoch über dem Hafen ehrt den Mann, der für die Sedanschlacht die entscheidende politische Verantwortung trug. Billiger als solche Monumente sind Straßenschilder.  

In Hamburg wurden Feldzüge und Massenmorde vorbereitet

In Hamburg bot sich dafür die Louisenstraße neben der Kaserne des schon im Krieg gegen Frankreich eingesetzten Infanterieregiments 76 an, die 1899 auf dessen Initiative in Sedanstraße umbenannt wurde.  Die Kasernen, in denen in der Nazi-Zeit auch das Reserve-Polizeibataillon 101 stationiert war, bevor es zu Massenerschießungen in Polen eingesetzt wurde, sind inzwischen abgerissen. Man will sich in Hamburg nicht gern sichtbar daran erinnern lassen, welche Feldzüge und Massenmorde in seinen Mauern vorbereitet wurden. Und Sedan wurde wieder zum Schlachtfeld. In seiner Nähe  fanden die letzten großen Gemetzel des Ersten Weltkriegs statt. Sedan war Lazarettort und Friedhof.

Das von den Deutschen dort errichtete Tor-Monument trägt die Inschrift:  „Kämpfend für Kaiser und Reich, nahm Gott uns die irdische Sonne. Jetzt vom Irdischen frei, strahlt uns sein ewiges Licht. Heilig die Stätte, die ihr durch blutige Opfer geweiht habt! Dreimal heilig für uns durch das Opfer des Danks.“ Dass dieses Monument nach 1945 verfiel, empörte nicht wenige deutsche Kriegsfans. Und im Zweiten Weltkrieg war die deutsche Wehrmacht wieder in Sedan, diesmal nicht am Ende, sondern 1940 zum Beginn der Annexion Belgiens, der Niederlande und Frankreichs.

Sedanstraße in Hamburg: Ein unerträglicher Anachronismus

Dass in Hamburg immer noch eine Straße Sedanstraße heißt, ist ein Anachronismus. Schlimmer noch: Es ist unerträglich. Deshalb mein Vorschlag: Nehmt die Straßenschilder ab und zeigt sie in einem Dokumentations- und Erinnerungsort, der aufklärt über all das Töten und Sterben in den drei Frankreich-Kriegszügen und über die Kasernen , in denen das kriegerische Massenmorden trainiert wurde. Ehrt stattdessen einen Soldaten, der auch in Frankreich eingesetzt wurde, sich dann aber dem Töten und Getötet-Werden entzog und desertierte.

Ludwig Baumann überlebte und wurde später zum Antimilitaristen und Vorkämpfer für die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure. Er wurde in Hamburg geboren, in der Bundestraße, nicht weit entfernt von den Kasernen an der Sedanstraße.

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