Fahrrad-Fieber in Hamburg: Händler leer, Rekordumsätze – jetzt zieht die Politik nach
Fahrräder ausverkauft, Ersatzteile schwierig zu bekommen und eine dicke Finanzspritze vom Bund: Das Fahrrad ist der große Gewinner der Corona-Krise – immer mehr Menschen satteln um. Und das scheint nun auch bei den politischen Verantwortungsträgern angekommen zu sein. Hamburg nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein.
In diesen Tagen blicken Radler aus ganz Deutschland nach Hamburg. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat zum Nationalen Radverkehrskongress geladen – Ausrichtungsort und Mitveranstalter ist die Hansestadt. „Deutschland soll bis 2030 Fahrradland werden“, verkündet der Minister vollmundig am Dienstagmorgen bei Eröffnung des Kongresses.
Dafür will er ausweislich seines Nationalen Radverkehrplans bis 2023 1,5 Milliarden Euro für die Städte und Kommunen locker machen. „Natürlich haben wir Nachholbedarf“, gesteht Scheuer. Aber nun reagiere man darauf, „jetzt müssen die Kommunen zugreifen, jetzt muss das Geld abfließen“.
Fahrradbranche feiert Rekordumsätze – und kommt der Nachfrage nicht hinterher
Dass die Investitionen auf fruchtbaren Boden fallen, beweisen die Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit. Im Schatten der Corona-Krise vermeldete die Fahrradbranche 2020 ein Rekordjahr – mehr als fünf Millionen Fahrräder gingen über den Ladentisch beziehungsweise in den digitalen Warenkorb. Das ist ein Plus von rund 17 Prozent und soll in diesem Jahr noch einmal übertroffen werden.
Schon im vergangenen Jahr kam es deshalb zu Engpässen, dieser setzt sich nun auch 2021 fort. Wer besonders begehrte Räder ergattern will, wird bereits im April teilweise wieder enttäuscht – einige Marken sind vergriffen. Auch Ersatzteile sind schwierig zu bekommen und um rund zehn Prozent teurer geworden. Termine in Fahrradwerkstätten sind ebenfalls rar. Auf solch eine Nachfrage waren der Fahrradmarkt und die Lieferkette bislang nicht eingestellt, sagt Hans-Peter Obermark vom Verband des Deutschen Zweiradhandels der MOPO. „Zuletzt waren zum Beispiel Fahrradketten und Schutzbleche stark nachgefragt und zum Teil nicht verfügbar.“ Auch beim Fahrradhändler B.O.C. sind die Lieferengpässe spürbar: „Bei den Fahrrädern betrifft dies vor allem Mountainbikes und Kinderräder“, teilt Sprecherin Monika Miß mit.
Hamburg will den Radverkehr deutlich steigern
In Zukunft wird sich der Trend zum Fahrrad kaum umkehren. Auch vor der Corona-Krise wuchs die Zahl der Fahrradfaher:innen stetig. In Hamburg hat man sich zum Ziel gesetzt, den Radfahreranteil bis 2030 auf 25 bis 30 Prozent hochzuschrauben, 2017 waren es 15 Prozent. Im vergangenen Jahr sind in Hamburg 62 Kilometer neuer Radweg gebaut worden – die Hansestadt gilt bei der Investition in die Fahrrad-Zukunft als deutschlandweites Vorbild.
„Wir sind mit dem Ausbau derzeit zufrieden. Schneller geht aber immer“, sagte Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne). Tatsächlich will Hamburg mittelfristig rund 100 Kilometer Radweg pro Jahr bauen. Gerade vergangene Woche wurde in Harburg die erste Protected Bike Lane der Stadt eröffnet. 2,6 Millionen Euro wurden hier für 550 Meter investiert. Auf der Hannoverschen Straße werden nun Rad- und Autofahrer mit einer zwölf Zentimeter hohen Trenninsel voneinander separiert, was die Verkehrssicherheit erhöhen soll. Weitere geschützte Radwege sollen bald folgen. Auch sogenannte Pop-Up-Bikelanes finden sich immer mehr in Hamburg. Die aufgemalten Fahrradspuren werden installiert, wenn auf der Straße bislang noch keine genügende Radinfrastruktur vorhanden ist, wie zum Beispiel Beim Schlump oder an der Max-Brauer-Allee. Und zu guter Letzt gibt es natürlich auch noch die 14 Velo-Routen, die bis 2025 280 Kilometer Radweg umfassen und Hamburg miteinander verbinden sollen. Laut Verkehrssenator Anjes Tjarks sind in Hamburg potenziell 83 Prozent der Menschen fürs Fahrradfahren zu begeistern, das Potenzial gelte es in Zukunft abzurufen.
Selbst der Autominister entdeckt das Fahrrad für sich
Da kommt es gerade gelegen, dass nun sogar Verkehrsminister Andreas „Benzin im Blut“ Scheuer offenbar das Fahrradfahren für sich entdeckt hat. Neben einer kleinen Fahrradtour mit dem Hamburger Senator erläuterte der CSU-Politiker am Dienstag auch die Ziele seines neuen Nationalen Radverkehrsplans.
Demnach strebt er eine „lückenlose Fahrradinfrastruktur“ in Deutschland an. Ihm schweben dabei Wege, Schnellverbindungen und Stellplätze für Fahrräder im großen Stil vor. Auch für Fahrradparkhäuser an Bahnhöfen plane sein Ministerium ein Programm ein. Straßenausbauten sollen demnach künftig immer mit Radwegen zusammengeplant werden. Auch soll der Radverkehr deutlich sicherer werden, es soll bis 2030 40 Prozent weniger Tote geben. Dabei ginge es nicht darum, Autos und Fahrräder gegeneinander auszuspielen. „Der Autofahrer hat auch etwas davon, weil dann der Radverkehr klarer von ihm getrennt wird.“ Dem pflichtete auch Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bei: „Der Mensch ist nicht von Natur aus ein Autofahrer oder Radfahrer. Jeder der umsteigt macht Straßenräume frei für alle anderen, das sage ich den Autofreunden. Es ist keine Konkurrenz.“
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Es scheint auf jeden Fall etwas in Bewegung zu sein. Selbst Radfahrverbände begrüßten den Vorstoß aus dem Bundesverkehrsministerium. „Bisher scheiterte die Umsetzung vieler Radwege-Pläne auch am Geld – damit ist jetzt Schluss“, sagte Ludger Koopmann, Vorstand des ADFC. Laut dem Verband sei der Radverkehrsplan ein gelungenes Leitbild für die nächsten zehn Jahre. Allerdings: „Vom Fahrradland Deutschland sind wir Stand heute noch Lichtjahre entfernt“, so die stellvertretende ADFC-Bundesvorsitzende Rebecca Peters.