Feminismus-Kolumne: Schultüten -Herzchen für Mädchen, Abenteuer für Jungs?
Dr. Stevie Meriel Schmiedel ist Genderforscherin und Gründerin der Hamburger Kampagnenschmiede Pinkstinks, die reichweitenstärkste deutsche Organisation gegen Sexismus. Für die MOPO beantwortet sie wöchentlich Ihre Fragen. Heute geht es um das Thema Geschlechterklischees bei der Einschulung.
Bald geht es wieder los: Aufgeregte Dreikäsehochs tragen übergroße Tornister zu ihrem ersten Schulbesuch. Sehr niedlich ist das (bitte denken Sie dran: Langsam fahren an diesen Tagen!). In ihren oder den elterlichen Armen steckt meist eine riesige Schultüte mit entweder Astronauten oder Traumpferden darauf.
Das Gesamtdesign dieses ersten Schultags ändert sich seit 20 Jahren wenig: Mädchen rosa, Jungen blau. Mädchen Herzchen, Jungen Abenteuer. Oder was meinen Sie – gibt es 2021 eine Überraschung?
Hamburger Feministin: „Gesamtdesign des ersten Schultags ändert sich seit 20 Jahren wenig“
Ich hab’ mal geluschert: Die Lieblingsranzen-Marke Scout setzt zum Schulstart 2021 auf Modelle, die ein wenig wie Virusvarianten klingen. Das war sicher nicht beabsichtigt und wird das Designteam, das die Ranzen gestaltet hat, bevor nationale Mutanten in griechische Buchstaben verwandelt wurden, schrecklich ärgern. Die Armen. Aber wie immer in der Pandemie gilt: Wer hätte das vorausahnen können?
Denn fesch und zutreffend sind sie ja, die Namen: „Alpha“ und „Genius“ sind für … na, raten Sie mal! Genau, die schwarzen und blauen Ranzen, also eher für die Jungen. Sie sehen auch wirklich sehr technisch und schlau aus: Auf „Alpha“ (Schwarz mit Knallorange) kämpfen Superhelden mit Laserschwertern miteinander. Den Ranzen „Genius“ (im gemäßigten, ernsten Blau) zieren abstrakte Formen und ein gruseliger Tiefseefisch, der bestimmt erforscht werden möchte. Aber nur, wenn man richtig mutig ist, versteht sich.
Schulranzen-Motive 2021: Herzchen für Mädchen, Abenteuer für Jungs
Mädchen, von denen wir ja wissen, dass sie später einfach nur heiraten, kochen und viel lächeln sollen, bekommen das Modell „Sunny II“ in Pink, mit einem freundlichen Blümchen darauf. So eins, das man im Strauß als Frau gerne nach Veranstaltungen geschenkt bekommt, während er den leckeren Wein erhält – oder zum Weltfrauentag, wenn man sich lieber die Streichung des Paragrafen 219a und weniger Pay-Gap gewünscht hätte.
Ich habe mich natürlich sofort für Sie auf die Suche nach „Sunny I“ gemacht, weil ich mich fragte, wie man „sonnig“ überhaupt noch steigern kann: War „Sunny I“ vielleicht nur in Zartrosa?
Sie glauben nicht, was ich entdeckt habe: Auf dem Original-„Sunny“ waren gleich zwei Blumen und – jetzt kommt’s: zwei Bienchen. Und zwischen diesen Bienchen – ja, genau das, was Sie jetzt denken! – war ein Herz. Blumen, Bienchen und Herzen. Okay, Scout. Das verstehe ich. Das ist nicht sonnig, das ist ja schon „versext“.
Feministin Stevie Schmiedel: „Der Scout ,Sunny I‘ war nicht sonnig, sondern ,versext’“
Natürlich sind Mädchen für die Liebe zuständig, den Sonnenschein und später die Kinderchen, aber vielleicht war das den Eltern doch etwas drastisch. Gerade denen, die es eh nicht so gut finden, wenn an Grundschulen zu viel über Blumen und Bienen gesprochen wird. Vor allem, seit man weiß, dass Insekten, wie Tiere generell, auch homosexuell sein können … Sie wissen schon!
Die große Frage ist jetzt noch: Was kommt in die Schultüte? Ich sehe ja, dass Sie als Eltern bei den Ranzen nicht viel Auswahl haben. Wenn Lena mit dem schwarzen Ranzen in die Schule geht, dann gibt’s Ärger, ist klar. Ob sie das denn wirklich schön fände, wird sie gefragt (oder ob ihr das die ideologisch gefärbten Eltern aufgedrückt hätten?).
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Ihnen sind die Hände gebunden. Aber ich ermutige Sie jetzt zu ein wenig verstecktem Aktivismus. In die Schultüte kann ja niemand reinschauen, also muss auch niemand mitbekommen, dass Paul doch das teure Perlenbastelset bekommt, das er sich heimlich gewünscht hat. Falls es jemand spitzkriegen sollte, können Sie immer noch sagen, das wäre super für die Feinmotorik, die brauche er später als Kfz-Werkmeister. Oder als Chefchirurg. Oder für den drohenden Feminismus: Wenn der sich in Deutschland tatsächlich durchsetzt, muss in Zukunft jeder seine Knöpfe selber annähen können. Und sie wollen sich ja nicht vorwerfen lassen, nicht alles für die Bildung ihres Sohnes – des Alpha-Genius – getan zu haben!
Schulranzen-Werbung macht auf Diversity
Scout wird mir nach dieser Kolumne sofort schreiben und sagen: „Alles ungerecht! Auf unserer Startseite sind zwar ,Der leichte Alleskönner‘ (Sunny II) und ,Der stabile Klassiker‘ (Genius) gegeneinandergestellt, aber im Imagefilm dazu sieht man neben Mädchen-Mädchen und Jungs-Jungs auch ein Kind (sogar „of Colour“, wie man heute sagt), das längere Haare trägt und nicht klar als das eine oder das andere zu erkennen ist. Wir machen in ,Diversity‘! Jawohl!“
Und deshalb sage ich: Stimmt, liebe Firma Scout, das hätte es 2017 noch nicht gegeben. Wenn das die Zukunft ist, in der es auch mehr männlich-leichte Alleskönner und weiblich-stabile Schwergewichte geben darf, sind wir vollauf begeistert. Bitte genau da weitermachen, vielen Dank!