Firma aus Hamburg macht’s möglich: Das Plastik der Zukunft ist essbar
85 Prozent des jemals produzierten Plastiks existieren immer noch, schlimmstenfalls in der Natur und mittlerweile auch in unseren Körpern, in Form von Mikroplastik. Weitere 400 Tonnen gelangen jährlich in unsere Umwelt, die Folgen sind katastrophal – für Mensch und Tier. Drei Hamburger Start-Ups haben sich jetzt dem Kampf gegen die Plastikverschmutzung verschrieben und tragen durch ihre unterschiedlichen Ansätze dazu bei, dass idealerweise kein Plastik mehr produziert werden muss – zumindest solches, wie wir es kennen! Das Plastik der Zukunft ist recycel- und sogar essbar.
Christian Schiller (35) wurde 2018 auf einem Segeltrip von Kolumbien nach Panama wachgerüttelt, als ihn plötzlich etwas am Bein berührte. „Wir waren schnurstracks in einen Teppich aus Algen und Plastikmüll gesegelt, der auch noch dazu übel roch, mitten in der traumhaften Karibik!“ Wobei nur ein Bruchteil des Plastiks auf der Oberfläche schwimmt – der Rest sinkt auf den Meeresgrund, weshalb sogenannte „Ocean Cleanups“, das Einsammeln von Müll auf offenem Meer, nicht die alleinige Lösung sein können. Bis zur völligen Zersetzung von Plastik können laut WWF schließlich mehrere 100 bis 1000 Jahre vergehen.
Hamburger Startups sagen Plastik dem Kampf an
Ein halbes Jahr später gründete Schiller gemeinsam mit seinem Co-Founder Volkan Bilici „Cirplus“ – das Amazon des Kunststoffhandels. Die Online-Plattform verbindet weltweit Unternehmen, die mit Kunststoffabfällen und Rezyklaten handeln oder diese erwerben und in der Produktion einsetzen wollen. Die Plattform hat aktuell bereits 500.000 Tonnen Material an Handelsvolumen. Tonnen, die die Unternehmen sonst in den globalen Süden schicken, da die Verarbeitung dort billiger ist.
„Recycling muss attraktiver werden, sprich wirtschaftlicher“, sagt Christian Schiller und erklärt, dass im Laufe der Zeit viel Geld in die Neuplastik-Produktion investiert wurde, um diese noch effizienter und billiger zu machen, jedoch hatte keiner Interesse an der Weiterentwicklung von Recycling-Systemen, „denn das wäre ja schlecht für das Geschäft mit dem Neuplastik. Das aber macht recycltes Plastik im Vergleich zum neuen Plastik aber deutlich teurer“, erklärt der Gründer.
Sein deutlicher Appell: „Es darf für Firmen keine Argumente gegen Recycling geben – Recycling muss die billigste Lösung sein!“ Für den globalen Süden würde mehr Recycling weniger Abfälle aus der westlichen Welt bedeuten, doch das Problem der fehlenden Abfallwirtschaft und des in der Natur herumliegenden Plastiks gibt es dort dennoch. „Nach dem Cradle-to-Cradle Ansatz muss alles Plastik, was leicht in die Umgebung gelangen kann, dort auch biologisch abbaubar sein. Nicht abbaubares Plastik dürfen wir nur dort einsetzen, wo ein funktionierendes Sammel- und Recyclingsystem existiert“, so Anne Lamp (29), die Gründerin von „traceless“.
Hamburger Startup entwickelt essbares Plastik
„Traceless“ ist zu den Ursprüngen der Plastikherstellung zurückgekehrt und sogar noch einen Schritt weiter gegangen. In den Anfängen wurde Plastik aus natürlichen Rohstoffen wie Holz hergestellt, die jedoch schnell durch billiges Erdöl ersetzt wurden. „Uns ist es sehr wichtig, dass wir den natürlichen Kunststoff nicht aus potenziellen Nahrungsmitteln oder Bäumen herstellen. Wir nehmen einfach das, was keiner mehr will.“ Aus den Abfällen der Agrarindustrie filtern Lamp und ihr Team die sogenannten natürlichen Polymere heraus, aus denen unter anderem das Kunststoffgranulat und die Kunststofffolien hergestellt werden.
„Traceless“-Kunststoff ist daher zu 100 Prozent biologisch abbaubar, nicht giftig und vollkommen unschädlich für die Umwelt. „Unser Anspruch ist es, dass man unseren Kunststoff auch essen kann, das habe ich auch bereits getan – es schmeckt neutral, sagt Anne Lamp lachend. Der Gedanke, Plastik zu essen, ist einfach zu absurd und gewöhnungsbedürftig.
Wie wildes Plastik zu Müllbeuteln wird
Aber was ist mit den fünf Milliarden Tonnen an wildem Plastik, was auf der ganzen Welt verstreut herumliegt? Christian Sigmund (32) von „Wildplastic“ und sein sechsköpfiges Gründerteam haben eine Antwort.
„Plastik ist kein Müll, sondern ein Wertstoff“, sagt Sigmund, „deswegen muss dieser Wertstoff gesammelt und zu etwas verarbeitet werden, was jeder gebrauchen kann und ganz sicher in die deutsche Abfallwirtschaft zugeführt wird!“ „Wildplastic“ entwickelte die sogenannten „Wildbag“-Müllbeutel aus wildem Plastik. „Die Beutel kann man online erwerben und bald auch im Einzelhandel.“
Das Plastik für die „Wildbags“, die es in unterschiedlichen Designs gibt, stammt aus dem globalen Süden, aus Gegenden ohne funktionierende Abfallwirtschaft und Orten, die die westliche Welt – auch Deutschland – als ihre Müllkippe nutzen. Menschen schuften dort für einen Hungerlohn unter unwürdigen und gesundheitsgefährdenden Bedingungen. „Wildplastic“ arbeitet mit unterschiedlichen zertifizierten Organisationen zusammen, die lokale „Wildplastic“-Sammler beschäftigen, sie fair entlohnen und sichere Arbeitsbedingungen und soziale Absicherungen bieten.
„Wildplastic“-Tüten in Deutschland
Gemeinsam möchte man die Natur aufräumen und dafür sorgen, dass die Wertstoffe erst gar nicht in der Umwelt landen. „Die Sammler machen unfassbar wichtige Arbeit, die entsprechend entlohnt und wertgeschätzt werden muss!“, so Sigmund. Der gesammelte Wertstoff wird anschließend recycelt und zu den „Wildplastic“-Tüten weiterverarbeitet. Mittlerweile stellt Wildplastic auch Versandtaschen für große Versandhäuser her – ein Schritt in die richtige Richtung.
Für die drei Gründer hat das Ziel, den Planeten vor der Plastik-Vergiftung zu retten, höchste Priorität. Wie sehr sie hinter dem was sie tun stehen, zeigen auch die Mitarbeiter von „Cirplus“. „Während des Corona-Lockdowns waren sie bereit, für die Hälfte ihres Gehaltes zu arbeiten. Drei Kollegen musste ich leider entlassen, aber sind geblieben haben mir ihre Arbeitszeit geschenkt und auf ihren Lohn verzichtet”, erzählt Chris Schiller gerührt. Dass sich ein solches Engagement bis in die Führungsetagen der größten Konzerne und Umweltverschmutzer durchsetzt, wäre wünschenswert.