Fünf Jahre nach „Wir schaffen das“: Was aus Hamburgs Flüchtlingen wurde
Ein gewaltiger Strom von Menschen marschiert zu Fuß über die Autobahn. Männer schleppen Taschen und Tüten, Frauen halten Kinder an der Hand. Diese surreal anmutenden Bilder liefen am 4. September 2015 auf allen TV-Bildschirmen, als Ungarn die Grenze öffnete. Seitdem kamen auch nach Hamburg viele tausend Flüchtlinge. Vor allem für die große Gruppe der Syrer war klar, dass sie kamen, um zu bleiben. Wo stehen sie heute? Sind sie angekommen? Eine Analyse.
An warmen hellen Sommertagen wie diesen fühlt sich Sulaiman Tadmory (31) rundum wohl in Hamburg. „Ich verbringe meine Abende draußen, treffe mich mit Freunden“, erzählt der gebürtige Syrer. Wie früher in seiner Heimatstadt Homs. Aber sonst spielt sich sein Leben viel mehr in geschlossenen Räumen ab.
Tadmory musste aus seiner zerbombten Heimat fliehen, seine Familie ist über die ganze Welt zerstreut. Trotzdem ist er heute glücklich. „Ich fühle mich vollkommen zu Hause in Deutschland“, sagt er.
Sulaiman Tadmory: Syrer spricht perfekt deutsch
Der zielstrebige junge Mann hat eine Vorzeige-Biographie. Schon nach einem halben Jahr in einer Sammelunterkunft in Neumünster konnte er in eine eigene Wohnung ziehen. Ein Praktikum beim NDR öffnete ihm viele Türen.
Tadmory hatte in Beirut Film und Regie studiert. Heute arbeitet er fest beim NDR, spricht fließend Deutsch, hat eine Wohnung in Lokstedt, ein Auto und keine finanziellen Sorgen. So reibungslos klappt die Integration selten. „Viele von uns sind noch nicht da, wo sie sein könnten“, bilanziert Tadmory.
Hamburg: 56.000 Geflüchtete leben in der Stadt
In Hamburg leben derzeit etwa 56.000 Geflüchtete. Mehr als die Hälfte von ihnen kommen aus Afghanistan, Syrien, Iran und Irak. Die Syrer sind mit 10.981 Personen nach den Afghanen die zweitgrößte Gruppe. Im Hamburger Stadtbild sind sie nicht erkennbar. Es gibt keinen zentralen Treffpunkt, keine Straße und keinen Stadtteil, in dem sich vor allem Syrer niedergelassen haben. Zum Beten gehen die Muslime unter ihnen in die Al-Nour Moschee (Horn).
Beim extrem angespannten Hamburger Wohnungsmarkt ist es auch kaum möglich, sich in bestimmten Quartieren zu sammeln. Wer als Geflüchteter überhaupt irgendwo eine Wohnung findet, ist überglücklich. Derzeit leben noch rund 60 Prozent der syrischen Flüchtlinge in staatlichen Containern, Pavillonbauten und zum Teil auch Wohnungen.
Wohnungsnot: 25.000 Flüchtlinge in städtischen Unterkünften
Die Wohnungsnot trifft natürlich nicht nur Syrer. Insgesamt leben aktuell in Hamburg knapp 25.000 Geflüchtete in solchen städtischen Einrichtungen. Und die Zahl sinkt kaum, denn es ziehen zwar Menschen aus, aber es kommen auch immer neue Flüchtlinge nach Hamburg. Eine der schönsten und größten Wohnanlagen ist 2016 am Gleisdreieck in Billwerder gebaut worden.
Dort leben immer noch fast 2000 Geflüchtete in den Wohnungen, darunter viele Familien mit Kindern. Dabei hatte der Senat zugesagt, dass ein Großteil dieser Wohnungen in diesem Jahr schon regulär allen Hamburgern zur Verfügung stehen sollte. Aber das war nicht zu schaffen.
Die Volksinitiative für gelungene Integration kritisiert seit Jahren, dass die Integration von Flüchtlingen unter solchen Wohnbedingungen sehr schwierig ist. Immerhin leben sie dort quasi unter sich.
Zentrales Hemmnis für Flüchtlinge: die deutsche Sprache
Das ist gerade für das Lernen der deutschen Sprache problematisch. Und bis heute ist das zentrale Hemmnisse bei der Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt die mangelnde Deutschkenntnis etlicher Syrer. Sulaiman Tadmory (31) weiß, wie schwierig es für Geflüchtete ist, Kontakt zu Deutschen aufzubauen.
„Viele Syrer sagen mir, dass sie mit der deutschen Kultur einfach nicht warm werden. Sie haben keine Kontakte aufgebaut.“ Er selbst hat heute zur Hälfte deutsche und zur Hälfte syrische Freunde. „Ich habe aber zwei bis drei Jahre gebraucht, um mir hier einen Freundeskreis aufzubauen.“
Sprachkurse in Hamburg: 4200 Syrer lernten im Juli Deutsch
Das gehe in Deutschland leider deutlich langsamer. Und das liege auch an den Einheimischen, die zwar immer nett seien und auch mal für einen Smalltalk Zeit hätten. Aber mehr eben oftmals auch nicht. „Da würde ich mir auch von den Deutschen mehr Offenheit wünschen.“ Denn allein durch einen Sprachkurs lerne niemand, fließend deutsch zu sprechen.
Dabei ist gerade die Sprache von zentraler Bedeutung, um hier arbeiten zu können. Allein jetzt im Juli absolvierten noch 4200 Geflüchtete Sprachkurse in Hamburg.
Da Deutschland schon jetzt unter einem enormen Fachkräftemangel leidet und viele Stellen nicht besetzt werden können, waren die Hoffnungen allseits groß, dass syrische Flüchtlinge sehr schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Doch dieser Weg hat sich als länger erwiesen, als so mancher blauäugig gedacht hat.
Arbeitsmarkt Hamburg: Viele Syrer noch ohne regulären Job
Im Februar dieses Jahres gingen laut Agentur für Arbeit 3629 Syrer in Hamburg einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach.
Das klingt nicht nach viel. Sind aber schon fast 2000 Personen mehr, als noch zwei Jahre zuvor. Die vielen Maßnahmen wirken offensichtlich. 3.182 Syrer befanden sich zu dem Zeitpunkt in Sprach- und Integrationskursen oder Umschulungen. 2973 waren arbeitslos.
Dass nicht mehr Geflüchtete schon einen regulären Job haben, erklärt die Agentur für Arbeit damit, dass Integrations- und Sprachkurse, Qualifizierungen und Umschulungen und die Anerkennung von Abschlüssen viel Zeit kosten. „Allein eine Umschulung dauert zwei bis drei Jahre“, erklärt Knut Böhrnsen, Sprecher der Agentur für Arbeit.
Und bevor eine Umschulung bewilligt werde, vergehe auch Zeit. Denn Umschulungen sind teuer und es wird vorher genau geprüft, wer geeignet sei. „Wer beruflich auf eigenen Beinen stehen will, muss Geduld, Kraft und Motivation über Jahre haben“, so der Agentur-Sprecher.
Warten auf Umschulung bei Agentur für Arbeit
Diese Erfahrung hat auch Sulaiman Tadmorys Cousin gemacht. Er war in Syrien Lehrer und wollte in Deutschland Kurse an der Uni oder Umschulungen machen, damit er als Lehrer arbeiten kann. Tadmory: „Er hat vier Jahre lang gekämpft und alles getan und versucht.
Doch geklappt hat es erst vor wenigen Monaten.“ Kein ungewöhnliches Schicksal. Jeder vierte Hamburger Geflüchtete hat in der Heimat studiert. Trotzdem dauert es oft Jahre, bis sie in Deutschland auf dem gleichen Level angekommen sind.
Berufserfahrung hat die große Mehrheit der Flüchtlinge durchaus, immerhin 70 Prozent. Doch fast niemand hat ausreichende Kenntnisse oder Abschlüsse werden nicht anerkannt, um hier nahtlos übernommen zu werden. „Wir können eigentlich keinen Flüchtling ohne weitere Qualifizierung einstellen“, sagt etwa Michael Seitz, Hauptgeschäftsführer der Bau-Innung.
Hamburg: Arbeit auf dem Bau nicht ohne Qualifizierung
Dafür unterscheide sich die Arbeit auf dem Bau in Hamburg doch zu sehr von der in Syrien oder Afghanistan. „Wer keine Qualifizierung macht, kann dann nur als Helfer arbeiten.“ Und davon lässt sich keine Familie ernähren.
Deutlich einfacher sei es für junge Menschen. Sie könnten mit einer Lehre auf dem Bau starten. „Wir haben schon viele Flüchtlinge zu Maurern und Fliesenlegern ausgebildet und das läuft sehr gut“, sagt Seitz sichtlich zufrieden. Von den 584 Lehrlingen im Bau seien derzeit etwa 25 Prozent Flüchtlinge.
Die größte Hürde sei dabei immer die Sprache. „Sie müssen ja zumindest verstehen, was der Ausbilder ihnen erklärt.“ Daher liefen Lehre und Sprachkurs oft parallel.
Ein Problem, das die Betriebe der Innung melden: die jungen Männer leben teils noch in den Sammelunterkünften und würden morgens völlig müde zur Arbeit kommen. Seitz: „Dann versuchen sogar die Betriebe, ihren Lehrlingen Wohnungen zu besorgen.“ Was nicht einfach sei.
Bau-Innung: 25 Prozent der Lehrlinge sind Flüchtlinge
Einzelne Männer brechen auch gelegentlich die Lehre ab, weil sie eine Familie versorgen müssen und dann mit dem Ausfahren von Pizza mehr verdienten als in der Lehre. „Was natürlich sehr kurzsichtig gedacht ist“, so Seitz. Denn gerade jetzt durch Corona zeige sich, dass Hilfsarbeiter als erste ihre Jobs verlieren.
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Wenn sich am 4. September die „Maueröffnung“ jährt, werden die ersten 5000 Syrer, die nach Hamburg gekommen sind, hier seit fünf Jahren leben. Wenn sie ausreichend Deutsch sprechen, und ihren Unterhalt selbst bestreiten, können sie einen Antrag auf Niederlassungserlaubnis stellen und dauerhaft in Hamburg bleiben. Viele werden diesen Antrag stellen.
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Für Sulaiman Tadmory steht fest, dass er seine Traumstadt gefunden hat. Er will in Hamburg bleiben. „Hier leben viele liberale Menschen und die Stadt ist groß und gleichzeitig ruhig“, sagt er. „Und sie hat für jede Stimmung einen Ort.
Und seine Landsleute? Tadmory: „Manche haben es noch nicht geschafft. Manche sind selbst Schuld, andere haben hier bisher Pech gehabt und erfolglos gekämpft.“ Und einige hätten nach Kriegs- und Fluchterfahrung einfach keine Kraft. „Aber viele haben es auch schon geschafft und fühlen sich hier in Hamburg zu Hause.“