Gewalt gegen Frauen: „Viele Opfer bleiben unsichtbar!“
Es beginnt mit Eifersucht, Kontrolle und Beleidigungen. Bis der Streit eskaliert – und zugeschlagen wird. Statistisch ist ihr Zuhause für Frauen in Deutschland der gefährlichste Ort: Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine Partnerin zu töten; an jedem dritten Tag gelingt es einem. Zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen sprechen Opferanwältin Jacqueline Ahmadi und Linken-Politikerin Cansu Özdemir mit der MOPO über die Hintergründe dieser Taten – und formulieren klare Forderungen.
Jacqueline Ahmadi sitzt an einem schweren Holztisch in ihrer Kanzlei. „Hier durchleben die Betroffenen die Gewalt noch einmal, indem sie mir davon erzählen”, sagt die Rechtsanwältin. Von der Schutzorganisation Weißer Ring e.V. wird Ahmadi als Opferanwältin empfohlen. Sie weiß: „Gewalt gegen Frauen ist ein strukturelles Problem”. Die Scham ist groß, das Schweigen wird erst dann gebrochen, wenn es zu schweren Verletzungen kommt. Häufig erwähnen Frauen ganz beiläufig, auch zum Sex gezwungen worden zu sein. Dadurch verändert sich die Dimension eines Verfahrens. „Einfache Körperverletzung wird nur auf Antrag der Geschädigten verfolgt”, erklärt die Rechtsanwältin. „Aber Vergewaltigung gilt als Verbrechen – hier ist die Staatsanwaltschaft gezwungen, zu ermitteln”.
Anwältin Jacqueline Ahmadi hilft Opfern
Die Anwältin klärt Betroffene über ihre Rechte auf, begleitet ihre Nebenklage im Strafprozess und macht dabei auch zivilrechtliche Ansprüche auf Schadenersatz geltend. Die Arbeit ist nicht einfach: „Viele Opfer sind enttäuscht, wenn ein Verfahren eingestellt wird. Sie haben das Gefühl, ihnen wird nicht geglaubt.” Doch wenn Gewalt in den eigenen vier Wänden stattfindet, ist die Beweislage schwierig. „Das Gericht fragt ganz genau nach: Wo waren die Hände? Waren die Beine gestreckt oder angewinkelt?”, sagt Ahmadi. „Wer immer wieder Angriffe über sich ergehen lassen musste, kann einzelne Details oft nicht mehr zuordnen”. Ihren Mandantinnen empfiehlt sie deshalb, ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen. „Trotzdem gilt im Rechtsstaat: im Zweifel für den Angeklagten – auch, wenn das für die Opfer schmerzhaft ist“, stellt Ahmadi klar.
Immer wieder kommt es vor, dass alles für Scheidung und Strafprozess vorbereitet ist, aber die Frauen einen Rückzieher machen. Sie wollen ihren Kindern nicht den Vater nehmen oder wissen nicht, wie sie alleine die Miete aufbringen sollen. Manche wollen ihrer Beziehung noch eine Chance geben – aus Liebe. „Ich kann das nicht nachvollziehen, aber muss es akzeptieren”, sagt die Anwältin. Andere Frauen empfinden einen Prozess dagegen als Befreiungsschlag. Als Beweis dafür, dass ihr Peiniger keine Macht mehr über sie hat. „Die Resilienz dieser Frauen gibt auch mir Kraft”, sagt Ahmadi.
Cansu Özdemir: „Die Lage in Hamburg ist dramatisch“
Sich aus der Gewaltspirale zu befreien, ist gefährlich. Regelmäßig kommt es zu sogenannten Trennungstötungen. Jedes Jahr im November stellt die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft deshalb eine Anfrage an den Senat, in der es um Femizide geht – also um die Tötungen von Frauen wegen ihres Geschlechts. Im ersten Halbjahr 2022 sind in Hamburg mindestens 16 Frauen Opfer eines versuchten oder vollendeten Tötungsdelikts geworden. In zehn Fällen sind die Hintergründe der Tat unklar. „Die Antwort des Senats lässt viele unserer Fragen offen – dabei ist die Lage dramatisch“, sagt Cansu Özdemir, Co-Vorsitzende der Linken. Sie kritisiert die schlechte Datenlage.
Wie die Polizei Hamburg auf Anfrage der MOPO bestätigt, werden Gewalttaten gegen Frauen nicht gesondert erfasst. Eine nachträgliche Auswertung sei aus Kapazitätsgründen nicht möglich. Das Problem: Ohne Erkenntnisse zu Motiv, Gewalthistorie und Tötungsart ist keine zielgerichtete Präventionsarbeit möglich. „Viele Opfer bleiben unsichtbar“, warnt Özdemir. Kommt es doch zu einem Prozess, fällt die Strafe für einen Femizid milde aus. Laut Bundesgerichtshof seien die Täter schon durch den Verlust der geliebten Frau gestraft – die sie jedoch selbst getötet haben. „Diese Täter-Opfer-Umkehr ist absurd“, findet Özdemir.
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Wie auch die Linksfraktion im Bundestag fordert die Hamburger Linke die Einrichtung einer unabhängigen Beobachtungsstelle. Auch die Einführung eines Betroffenenbeirats, wie es ihn in Bremen gibt, wurde vergangene Woche in der Bürgerschaft debattiert. Laut Özdemir ist ein gesellschaftliches Umdenken erforderlich: „Das Problem sind toxische Männlichkeitskonzepte – deshalb müssen in der Gewaltprävention auch gezielt Männer angesprochen werden“. Rechtsanwältin Ahmadi teilt die Forderung nach aktiver Täterarbeit. „Erst nachdem es zu Gewalttaten gekommen ist, wird sanktioniert”, bemängelt sie. „Für die Opfer ist das zu spät.”