Große Empörung: Hamburger Seniorenheim wirft Bewohner raus
Langenhorn –
Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Dieses deutsche Sprichwort macht in der Seniorenwohnanlage Langenhorn derzeit seine Runde. Denn den rund 150 zum Teil hochbetagten Bewohnern wurde kürzlich mitgeteilt, dass sie bis zum Jahresende ausziehen müssen. Seitdem herrscht helle Aufregung.
„Mir geht es nicht gut“, sagt Christa Antoni. Die 93-Jährige lebt seit acht Jahren in dem Altenheim an der Dortmunder Straße. „Ich habe damals zehn Jahre auf diese Wohnung gewartet“, erzählt sie.
Christa Antoni hat es sich hübsch gemacht in ihrer Wohnung. Besonders glücklich ist sie über ihre Terrasse, die sie bepflanzt hat und liebevoll pflegt. Sie hat Kontakte zu ihren Nachbarn, die Ärzte sind fußläufig erreichbar.
Hamburg: Bis Ende des Jahres sollen die alten Leute ausziehen
All das soll Christa Antoni nun genommen werden. Ende Mai wurden die Bewohner darüber informiert, dass der Eigentümer, die Vereinigte Hamburger Wohnungsbaugenossenschaft vhw, das Gebäude umfassend modernisieren will. Dafür sollen alle ausziehen. 71 Bewohner aus dem sogenannten Servicewohnen und 78 Bewohner aus der Stationären Pflege. Den alten Leuten wurde in Einzelgesprächen, zu denen sie maximal eine Begleitperson mitbringen durften, angekündigt, dass sie in anderen Senioreneinrichtungen verteilt über die Stadt untergebracht würden. Eine Wahl hätten sie nicht.
„Wir wären keine Gemeinschaft mehr“, sagt Christa Antoni. Ob sie je wieder eine werden, ist auch ungewiss. Nicht nur, weil viele Bewohner schon sehr alt sind, und die Baumaßnahmen zwei Jahre dauern sollen. Sondern auch, weil viele der Wohnungen so umgestaltet werden sollen, dass sie danach nicht mehr zur Verfügung stehen.
Hamburg: Umzug ist eine starke Belastung für die alten Leute
„Ich kann gar nicht mehr schlafen“, sagt Christa Antoni. Der Umzug sei für viele Bewohner das I-Tüpfelchen gewesen, nach einer Zeit, in der sie wegen der Corona-Maßnahmen und der damit verbundenen Kontaktverbote ohnehin schon stark belastet waren.
„Mein Mann und ich dachten, wir könnten hier in Ruhe alt werden“, sagt Ursula Badenhop. Und: „Es ist unanständig, wie hier mit den alten Leuten umgegangen wird.“
Hamburg: Alternative Angebote entsprechen nicht dem Gewohnten
Zwar habe man ihnen bereits eine Wohnung in einer anderen Anlage angeboten. Doch die ist für die Badenhops keine Alternative: „Die Wohnung hat nicht mal eine Küche. Dabei koche ich doch so gerne“, schimpft Ursula Badenhop. Das Schlafzimmer sei so klein, dass ihre Möbel nicht reinpassten.
Ihr Mann Gert-Peter meint: „Ich verstehe nicht, warum sie die Wohnungen nicht schrittweise modernisieren“, so der 84-Jährige. „Man könnte doch leer werdende Wohnungen nach und nach sanieren und uns innerhalb der Anlage vorübergehend woanders unterbringen.“ Stattdessen sei jede freie Wohnung in den letzten Jahren stets neu belegt worden. Erst letztes Jahr hätten manche Bewohner Einbauten vornehmen lassen oder ihre Fußböden erneuert – alles für die Katz.
Hamburg: Betreiber begründet Maßnahme mit gesetzlichen Vorgaben
Die vhw begründet die Maßnahme so: „Die geplanten baulichen Modernisierungen zur Aufwertung der Seniorenwohnanlage Langenhorn sind notwendig, damit die vhw unter Berücksichtigung der 2012 verabschiedeten Wohn- und Betreuungsbauverordnung (WBBauVO) des Hamburgischen Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetzes die Anlage weiter betreiben darf“, heißt es auf MOPO-Anfrage.
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Die Anlage sei an vielen Stellen nicht barrierefrei und berge Stolperfallen bei den Zugängen zu Badezimmern oder Balkonen. Diese müssten zur Sicherheit der Bewohner entfernt werden. Zudem seien „die Doppelpflegezimmer schwer vermietbar und mit Zwillingsbädern (ein Bad, das von zwei Doppelzimmern, also insgesamt vier Bewohnern, genutzt wird) nicht mehr zeitgemäß“.
vhw: Baulärm und Schmutz ist Bewohnern nicht zuzumuten
Ziel sei neben der Modernisierung der Bestandswohnungen, die Zusammenlegung von zwölf Appartements sowie der Neubau von 28 weiteren barrierefreien Wohnungen, so dass es nach Fertigstellung der Maßnahme insgesamt 112 Wohnungen mit ein bis drei Zimmern gebe. Das bisherige Gebäude der Pflege mit 105 Plätzen werde abgerissen. Der Baulärm und die Schmutzbelästigung seien den Bewohnern nicht zuzumuten.
„Uns ist bewusst, dass die Bewohner*innen der SWA Langenhorn durch den Umzug ihr gewohntes Umfeld vorübergehend verlassen müssen und dies für viele eine besondere Herausforderung darstellt“, so eine Sprecherin. Man unterstütze die Bewohner aber, indem man ihnen alternative Wohnungen anbiete, den Umzug finanziere und ein Rückkehrrecht in die Wohnungen garantiere, soweit das möglich ist. Die Erfahrung bei der Modernisierung der Seniorenwohnanlagen Walddörfer und Kiefhörn zeige, dass die Bewohner „mit Freude“ zurückkehrten.
Anwalt: „Eine sozialverträgliche Lösung muss her“
„In zwei Jahren bin ich 96“, sagt Christa Antoni. „Wer weiß, was dann mit mir ist.“ Ihr Schwiegersohn Wolfgang Ahrens macht sich Sorgen: „Die Stimmung im Heim ist bedrückt. Die Frauen gehören einer Generation an, die zur Anpassung erzogen wurden. Sie sind verzweifelt und in Panik, aber sie sagen nichts. Jedes Unternehmen muss wirtschaftlich sein. Aber hier geht es um Menschlichkeit.“ Ahrens hat sich mit anderen Angehörigen zusammengetan und den Bezirk informiert. Der Seniorenbeirat Hamburg-Nord will sich der Sache annehmen. Auch der Verein „Mieter helfen Mietern“ ist eingeschaltet.
„Die Leute wurden von der vhw nicht richtig aufgeklärt“, sagt Anwalt Jan Michelson von „Mieter helfen Mietern“. Auch bei einer Modernisierungmaßnahme bestünden die Mietverträge fort. Den Senioren sei jedoch vermittelt worden, dass der Umzug unausweichlich sei. Sie würden dazu gedrängt, Aufhebungsverträge zu unterschreiben. „Diese Menschen sind zum Teil im Methusalem-Alter. Sie haben nicht die Kraft, sich gegen so etwas aufzulehnen“, empört sich Michelson. Auch den Zeitdruck kritisiert der Anwalt: „Die vhw weiß seit 2012, dass sie modernisieren muss. Warum informieren sie erst jetzt?“ Nächste Woche hat Michelson einen Termin bei der vhw. Seine Hoffnung: „Man kann die Maßnahme auch im Bestand verwirklichen. Ich hoffe, dass wir eine sozialverträgliche Lösung finden.“