Hamburgs Grüne wollen Neubestimmung des Sagbaren in der Bürgerschaft
Was darf man in einer Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft sagen und was nicht? Immer wieder kassieren Abgeordnete einen Ordnungsruf, weil sie gegen den parlamentarischen Sprachgebrauch verstoßen. Doch was ist das überhaupt? Die Grünen sehen Klärungsbedarf.
Nach wiederholten Ordnungsrufen gegen Abgeordnete im Zusammenhang mit Kritik an der AfD wollen die Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft eine Neubestimmung des Sagbaren erreichen. Es könne nicht sein, dass rassistische Inhalte in Debattenbeiträgen nicht als solche benannt werden dürfen, sagte Fraktionschefin Jenny Jasberg der Deutschen Presse-Agentur. Begriffe wie rassistisch oder Rassismus seien per se kein Verstoß gegen den parlamentarischen Sprachgebrauch. „Das Präsidium scheint die Benutzung allerdings pauschal zu unterbinden. Und das kritisieren wir.“
Zuletzt war CDU-Fraktionschef Dennis Thering in der Aktuellen Stunde zum 90. Jahrestag der Machtergreifung der Nationalsozialisten von Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit zur Ordnung gerufen worden, weil er die AfD als rassistische und in Teilen antisemitische Partei bezeichnet hatte. Ordnungsrufe aus ähnlichem Anlass gab es auch schon gegen Abgeordnete der Grünen, der Linken und der SPD.
Jasberg sieht in Therings Äußerung kein Problem, da sie sich nicht gegen eine Person, sondern gegen die Politik einer Partei gerichtet habe, die auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz 2021 als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde – eine Ansicht, die später in erster Instanz auch das Verwaltungsgericht Köln bestätigte. Die AfD setzt sich dagegen weiter juristisch zur Wehr.
Grüne: Verhalten der AfD ist „Versuch einer Diskursverschiebung“
Und auch in der Bürgerschaft wird nach entsprechenden Vorwürfen regelmäßig die Einberufung des Ältestenrates verlangt. „Als grüne Fraktion sehen wir in dem Verhalten der AfD den Versuch einer Diskursverschiebung“, sagte Jasberg. Wenn Inhalte der AfD als rassistisch bezeichnet würden, „haben wir eine AfD, die Zeter und Mordio schreit“. Das sei „schräg, weil die Partei zugleich so tut, als sei sie die einzige, die für die freie Meinungsäußerung eintritt.“ Es seien aber Abgeordnete der AfD, die durch „gruppenbezogene feindliche Äußerungen“ auffielen – sei es gegen Geflüchtete oder Transpersonen.
Die Haltung des Bürgerschaftspräsidiums, „dass das Wort rassistisch als politische Bewertung im parlamentarischen Sprachgebrauch nichts zu suchen hat, scheint es schon viele Jahre zu geben“, sagte Jasberg. „Dass man das dann nicht äußern dürfen soll, aufgrund eines historisch gewachsenen Umgangs mit diesem Begriff, ist für mich kein hinreichendes Argument.“
Ihre Fraktion wolle den Umgang mit dem, was in der Bürgerschaft sagbar ist, deshalb im Ältestenrat thematisieren. Dazu solle auf juristischer Ebene zunächst intern herausgearbeitet werden, „inwiefern Meinungsäußerungen von Abgeordneten durch das Hausrecht des Präsidiums eingeschränkt werden können“, sagte sie. „Die Erfahrung zeigt ja, dass es in anderen Parlamenten anders gehandhabt wird als in Hamburg.“
Veit: Politischer Streit Teil des demokratischen Prozesses
Für Bürgerschaftspräsidentin Veit ist politischer Streit Teil des demokratischen Prozesses. „Dabei darf die eigene Position argumentativ zugespitzt werden, schließlich wollen und sollen Abgeordnete ihr Stimmverhalten ja erklären“, sagte sie der dpa. Werturteile müssten aber aus dem Kontext hergeleitet und fair vorgetragen werden. „Personengruppen pauschal zu diskriminieren oder herabzuwürdigen, geht gar nicht und führt im Zweifel auch zu Konsequenzen wie einem Ordnungsruf oder einer Rüge.“
Über den Umgang mit dem Sprachgebrauch mit allen Fraktionen im Ältestenrat zu diskutieren, sei notwendig, sagte Veit, die der SPD angehört. „Was uns nicht weiterbringt, sind Verlagerungen der Debatte darüber in die sozialen Netzwerke.“
Die Grünen-Landeschefin und Abgeordnete Maryam Blumenthal hatte Mitte Januar bei einer Debatte über die Silvesterkrawalle einen Ordnungsruf kassiert. Sie habe während der Rede des AfD-Fraktionsvorsitzenden Dirk Nockemann „das Kind beim Namen genannt: EKELHAFTER Rassismus“, ließ sie anschließend bei Twitter wissen und: „Ich wiederhole das gern. Jederzeit.“
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Oppositionschef Dennis Thering hält es für das Parlament grundsätzlich für begrüßenswert, „wenn es regelmäßig die eigenen Ansprüche und den eigenen Rahmen des Sagbaren überprüft“, wie er der dpa sagte. „Für uns gilt weiterhin: Hart in der Sache, fair im Ton. Durch diesen Grundsatz funktioniert eine demokratische Auseinandersetzung im Parlament und dieser sollte auch in Zukunft weiterhin gelten.“
Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein erinnerte daran, dass die Bürgerschaft den Antirassismus gerade „mit gutem Grund als Verfassungsziel“ beschlossen habe. „Dann sollte man in der Bürgerschaft rassistische Haltungen auch als solche benennen dürfen. Mein Eindruck ist, dass ein sparsamer Umgang mit Ordnungsrufen an der richtigen Stelle engagierten Debatten im Parlament gut tut.“