Dieser Hamburger will mit Öko-Kondomen Wälder aufforsten
Bennet Müllem (36) hat schon so einige Gründungsideen hinter sich. Ein Promille-Rechner auf dem Handy, eine Warteschlangen-App für Taxifahrer. Der Mann winkt lachend ab. „Die Ideen kamen nicht mal bei meinen Freunden gut an.“ Bei seiner Kondom-Vision hingegen kam nur positives Feedback. So schmiss Bennet seine sichere Festanstellung hin und gründete „Releaf“. Ein Start-up aus Barmbek, das baumpflanzende Kondome anbietet. „Für jedes Kondom, das der Kunde kauft und hoffentlich benutzt, wird ein Baum gepflanzt.“
Es begann am Hamburger Flughafen. Bennet hatte Durst. Kurz vor dem Abflug kaufte er sich schnell noch eine Flasche Wasser. Das erste Mal Viva con Agua. Mit einer kleinen Kaufentscheidung etwas Gutes zu tun – das begeisterte ihn. „Ich wollte auch mit einem Produkt einen Beitrag leisten zum größten Problem unserer Zeit. Die Welt ein kleines bisschen weniger beschissen machen.“
„Klimaschutz positiv besetzen mit etwas Schönem“
Dass er Bäume pflanzen will, war ihm schnell klar. Aber welches Produkt sollte es sein? Bennet streifte durch Supermärkte und Drogerien. Baumpflanzende Q-Tips? Oder vielleicht Kaugummis? Er war wenig überzeugt. Irgendwann stellte der frisch verheiratete Mann seine Suche erst einmal ein. Kurz darauf ging es in die Flitterwochen. „Zu der Zeit hatte ich noch keinen Kinderwunsch und brauchte Kondome.“ Die Packung in der Hand, wusste er sofort: Das ist es. „Klimaschutz positiv besetzen mit etwas Schönem, das Spaß macht.“
Die Entscheidung alles hinter sich zu lassen und ins Ungewisse zu starten, fiel ihm nicht leicht. Als er den Schritt jedoch gemacht hatte, sei es unheimlich befreiend gewesen. Jahrelang saß Bennet tagein tagaus am Schreibtisch – als IT-Projektmanager. Ein guter Job. Jedoch ohne größeren Sinn. Lange Entscheidungsprozesse. Enorme Budges. Bennet hatte keine Lust mehr. „Ich möchte in 30 Jahren zurückblicken können und stolz darauf sein, was ich gemacht habe.“
Von den Flitterwochen bis zum Verkauf seines ersten Kondoms im April 2020 vergingen neun Monate. Bennet musste erst einmal rechnen: Kann er mit einem Kondom einen Baum finanzieren oder kostet das Gummi dann am Ende fünf Euro? Wie und wo wird die Ware produziert und vertrieben? Für ihn das Wichtigste: Die Kondome sollten nachhaltig produziert werden. Er fand eine Kleinbauernkooperative in Thailand, die das Latex für seine Kondome nachhaltig gewinnt. Mit „Eden Reforestation Projects“ gewann er einen Partner für die Aufforstung. Eine gemeinnützige Organisation, die seit 2004 weltweit bereits mehr als 900 Millionen Bäume gepflanzt hat und Menschen beschäftigt, deren Heimat stark von Abholzung betroffen ist. Der Großteil der Bäume wird in Mosambik, Madagaskar, Kenia, Mittelamerika und Indonesien gepflanzt. Pro Baum zahlt Bennet 15 Cent. Das Kondom kostet je nach bestellter Menge etwas mehr als einen Euro.
10.000 Euro für Projekte mit Zukunft
Wie kommt man drauf? Wie funktioniert das? Wie hält man das durch? Wofür braucht man das? Die MOPO und About You stellen Hamburger Macher:innen und ihre nachhaltigen Start-Ups vor. Jeden zweiten Freitag in der Zeitung. Und im Netz unter mopo.de/gruenegruender. Hier gibt’s auch den Podcast im Elevator-Pitch-Format. Im Herbst küren die MOPO und About You-Mitgründer Tarek Müller das vielversprechendste Projekt von allen vorgestellten Gründer:innen. Es gibt ein Preisgeld von 10.000 Euro.
Geld verdient Bennet mit seinen Kondomen, die im Internet und in einigen Bioläden und Sexshops in Hamburg verkauft werden, bisher nur wenig. „Ich zahle mir ein sehr bescheidenes Gehalt aus, stecke so viel wie möglich ins Marketing, um Releaf bekannter zu machen.“ Damit das Geld am Ende des Monats reicht, arbeitet der Unternehmer zusätzlich als Freelancer im IT-Bereich. „Trotz meines Zugangs zu Kondomen bin ich vor einem Jahr Vater einer Tochter geworden. Ich muss nebenbei arbeiten, sonst reicht es nicht. Noch nicht.“
Bennet brennt für sein Unternehmen. Begeistert berichtet er von den unterschiedlichen Aufforstungsmethoden. Wo sein Start-up in fünf Jahren steht? Darauf antwortet er nicht, wie sonst gerne mal üblich, mit der massiv gestiegenen Anzahl an Mitarbeitern und dem stetig wachsenden Umsatz. Das scheint ihm weniger wichtig. Er antwortet mit seiner großen Hoffnung. „Dann haben wir hoffentlich eine ein- bis zweistellige Millionenanzahl an Bäumen gepflanzt.“ Aktuell sind es knapp eine halbe Million. Allerdings hofft er ebenfalls, in fünf Jahren nicht mehr nebenbei arbeiten und alles alleine machen zu müssen. Zwar holt er sich Hilfe von externen Mitarbeitern für Logistik, Fotografie und Social Media – ansonsten ist sein Unternehmen jedoch ein Ein-Mann-Betrieb.
Zahlen, Daten, Fakten über „Releaf“
Idee: Juni 2019
Gründung: Oktober 2019
Mitarbeiter heute: Einer plus zwei Freelancer und ein externes Logistikunternehmen
Startkapital: 25.000 Euro
Mitarbeiter in fünf Jahren: vielleicht 10
Dass sein Start-up funktioniert – davon ist der Gründer überzeugt. „Die Idee, das Schöne mit dem Guten zu verbinden, kommt an.“ Viele Kunden geben ihm Feedback. Sie mögen den Gedanken dahinter. Und die originellen Sprüche auf den Kondom-Folien. „Wildwuchs statt Nachwuchs“. „Komm Horst, wir tun´s für den Forst“. Oder „Ein Bums. Ein Baum.“ Bennets Lieblingsspruch ist „Schniedel Woods“. Einfach. Prägnant. Wie seine Vision.