Stabile Seelenlage – Hamburgs Kurse für psychologische Ersthelfer:innen
Notruf, Stabile Seitenlage, Herzmassage: Was bei einem Unfall zu tun ist, lernen viele Hamburger:innen spätestens im Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein. Wie aber reagieren, wenn sich Freunde plötzlich verändern oder Suizidgedanken äußern? In Hamburg gibt es jetzt Erste-Hilfe-Kurse für die Seele.
„Fast jeder kennt Fälle in seinem persönlichen Umfeld, in denen sich plötzlich jemand stark verändert oder zurückzieht“, sagt Claudia Duwe von der Hamburgischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V (HAG). „Oft wissen Laien nicht, wie sie in so einem Fall reagieren sollen und sagen nichts. Doch je eher die Behandlung beginnen kann, desto besser ist die Prognose bei psychischen Erkrankungen.“
Erste Hilfe für die Seele
„Mental Health First Aid“, kurz MHFA, heißt das Programm, das weltweit Erste-Hilfe-Kurse für seelische Gesundheit anbietet. Es entstand im Jahr 2000 in Australien und wird mittlerweile in über 24 Ländern angeboten. Seit Anfang dieses Jahres gibt es die Kurse auch in Hamburg. Die Startphase wurde von der Sozialbehörde im Rahmen des Paktes für Prävention gefördert.
Claudia Duwe ist ausgebildete MHFA-Trainerin und vermittelt den Teilnehmern das Wissen und die Fertigkeiten, um Menschen mit psychischen Problemen helfen zu können. „Die Erste-Hilfe-Kurse sollen auch zum Abbau von Stigmata und Unsicherheiten gegenüber Betroffenen beitragen“, sagt Duwe.
Psychologische Hilfe: Aufklärung über Vorurteile
Zu den Inhalten gehört auch ein Basiswissen über die häufigsten psychischen Gesundheitsprobleme: Depression, Psychose, Angststörung und Abhängigkeit. „Wir klären über Mythen auf, zeigen wie diese Krankheiten entstehen und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt“, so Duwe.
Zu Therapeut:innen sollen die Teilnehmer:innen des zwölfstündigen Kurses aber nicht werden. Die Laienhelfer:innen bilden eine Brücke ins Hilfesystem. „Die Teilnehmer üben, wie sie in ihrem Umfeld Anzeichen für diese Krankheiten erkennen, auf Betroffene zugehen und Hilfestellung anbieten“, sagt Duwe. „Wie und wo spreche ich die Person an? Wie kann ich ihr helfen und wann rufe ich lieber gleich den Rettungswagen?“ Auch der psychische Selbstschutz ist wichtig. „Natürlich sollen sich die Ersthelfer dabei nicht selbst belasten. Wir vermitteln auch, wie man eigene Grenzen erkennt und einen Ausgleich schafft nach der Hilfeleistung“, so Duwe.
Hamburgerin bildet sich zur psychischen Ersthelferin weiter
Nina Bastian aus Heimfeld hat im Frühjahr an einem der Ersthelfer:innenkurse teilgenommen. Vorher hat sie das Thema auch schon beruflich und privat beschäftigt. Die 27-Jährige arbeitet in einer Firma, die Unternehmens- und Personalberatung in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft anbietet.
„Seit Beginn der Corona-Pandemie haben wir das Thema psychische Gesundheit auch im Betrieb noch mehr auf dem Schirm“, sagt Bastian. Sie beschreibt eine Situation auf der Arbeit, die sie heute nach dem Kurs anders gelöst hätte: „Ein Kollege, der immer sehr positiv und motiviert war, wirkte plötzlich überfordert und gestresst. Ich wusste in dem Moment aber nicht, wie ich ihn darauf ansprechen sollte.“ Im Nachhinein, sagt sie, würde sie sich das jetzt trauen. Einfach auf denjenigen zugehen und in einem ruhigen Moment sagen: „Hey, ich habe das Gefühl, dir geht es gerade nicht gut.“
Einfach auf das Bauchgefühl vertrauen
Als zentrale Erkenntnis habe Bastian aus dem MHFA-Kurs mitgenommen, dass es wichtig ist, Hemmungen abzulegen und auf sein Bauchgefühl zu vertrauen. „Wenn ich glaube, es geht jemanden in meiner Umgebung nicht gut, dann sollte ich denjenigen ansprechen. Das kann oft sogar leichter sein bei Menschen, denen man nicht nahesteht“, sagt sie. Wichtig sei nur, sich selbst nicht zu belasten und zu akzeptieren, wenn jemand keine Hilfe annehmen möchte.
Psychische Probleme: Es gibt vorher oft Anzeichen
„Nach dem Kurs habe ich tatsächlich schon im Alltag einige Tipps anwenden können“, so Bastian. Einer Freundin von ihr gehe es bereits länger nicht gut und sie habe nach einer längeren Zeit ohne Kontakt noch mal versucht, auf sie zuzugehen.
„Ich denke, es würden viel mehr psychische Probleme nicht eskalieren, wenn man sie vorher anspricht. Wenn ein Kollege wegen eines Burnouts ausfällt, dann gab es dafür vorher oft Anzeichen. Deshalb halte ich es auch für sinnvoll, wenn sich noch mehr Menschen zu Ersthelfern ausbilden lassen.“
Wer Interesse an einem der Erste-Hilfe-Kurse für die Seele hat, kann sich auf der Webseite der HAG über Veranstaltungen und Preise informieren. Aktuell werden die Kurse hauptsächlich in digitaler Form angeboten.
Hilfe in schweren Stunden
Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Hier finden Sie Beratungs- und Seelsorgeangebote:
Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de
Kinder- und Jugendtelefon: Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an junge Menschen. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Samstags nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de.
Muslimisches Seelsorge-Telefon: Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 – 44 35 09 821 zu erreichen. Viele sprechen Türkisch. mutes.de
Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention: Unter suizidprophylaxe.de gibt es eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland.