Demenz-Risiko: Hamburger Ärzte fordern Kopfballverbot beim Fußball
Alzheimer und Demenz: Wie gefährlich sind Kopfbälle für Nachwuchsfußballer? Der Hamburger Fußball-Verband (HFV) verzichtet bei jüngeren Kindern auf Kopfbälle während der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ein vorsichtiges und altersgerechtes Training für angemessen hält. Fachärzte aus Hamburg dagegen fordern jetzt, das Kopfball-Training eindeutig zu verbieten.
Fachärzte der Hamburger Asklepios Klinik Nord haben ein Verbot von Kopfbällen im Fußball mit Kindern unter zwölf Jahren gefordert. Die Mediziner – darunter Neurologen, Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten und Kinderchirurgen – kritisierten zugleich die Haltung des DFB, der auf altersgemäße Regelungen setzt. „Die Experten der Klinik sind sich einig darin, dass ein klares Verbot von Kopfbällen die deutlich verantwortungsvollere Version wäre“, teilte ein Sprecher der Asklepios Kliniken mit.
Hamburger Fußball-Verband trainiert Kopfballspiel mit Luftballons
In Hamburger Fußballvereinen will man mit gutem Beispiel voran gehen. Carsten Byernetzki, Sprecher des HFV, betont, dass erst die D-Junioren (10- bis 12-Jährige) das Kopfballspiel mit Luftballons und leichten Bällen aktiv im Training erlernen sollen. „In jedem Fall sind Kollisionen beim versuchten Kopfballspiel von Coaches und Physiotherapeuten ernst zu nehmen und sollten eher mit Vorsicht und Auswechslungen samt Behandlungen des/der Spieler*in einher gehen“, versichert Byernetzki angesprochen auf Kopfverletzungen am Spieltag.
„Bis zum zwölften Lebensjahr im Kinderfußball trainieren wir keine Kopfbälle“, sagt Friederike von der Laan, Pressesprecherin des Eimsbüttler Turnvereins (ETV). „Bei Verletzungen sind wir sensibilisiert“, pflichtet von der Laan bei. Physiotherapeuten seien vor Ort. „Im Zweifel wechseln wir den verletzten Spieler aus“, versichert sie.
„Im Zweifel wechseln wir den verletzten Spieler aus“
Jugendliche des Niendorfer Turn- und Sportvereins (NTSV), des SC Victoria Hamburg (SCVH) und des HSV trainieren mit 14 Jahren aktiv Kopfbälle. Leichtere Bälle seien eine weitere Maßnahme, um die Gesundheit der Spieler zu schützen. „Kritischer sind normale Bälle im Herrenfußball“, versichert Karel Segner, Fußballabteilungsleiter des NTSV. Physiotherapeuten seien bei Spielen ab der C-Jugend vor Ort, berichtet er.
Der HSV schickt einen Physiotherapeuten zu den Spielen ihrer Jugendmannschaften, der SCVH versucht nach Möglichkeit, in jeder Mannschaft einen Arzt im Umfeld zu haben. „Zusätzlich wollen wir unsere ehrenamtlich angestellten Trainer auf Verletzungen sensibilisieren“, ergänzt David Eybächer, Leiter der Fußballabteilung des SCVH aus. Jährlich fände dazu ein Erste-Hilfe-Kurs unser Trainer mit kooperierenden Ärzten statt.
DFB hält weiter an Kopfbällen im Kinderfußball-Training fest
Der DFB hält an den Kopfbällen fest und empfiehlt für das Training in den jüngeren Jugendklassen leichte Bälle – teils aus Schaumstoff – sowie eine geringe Zahl von Kopfball-Wiederholungen pro Training. Kleine Spielfelder bei den Jüngeren und Mini-Tore sollen dazu beitragen, dass die Bälle flach gespielt werden.
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Der Teamarzt der Deutschen Nationalmannschaft und Leiter der medizinischen Kommission des DFB, Tim Meyer, hatte Ende Januar vor unüberlegten Verboten gewarnt: „So ein Kopfball zieht in der Regel kein greifbares medizinisches Krankheitsbild nach sich.“ Gehirnerschütterungen könnten zwar vereinzelt bei Kopfbällen auftreten. „Meistens ist es nicht der Ball, der diese Gehirnerschütterung auslöst, sondern der Kontakt mit dem Kopf des Gegners, der Schulter, der Pfosten oder dem Boden“, sagte Meyer.
Die Ärzte der Hamburger Asklepios Klinik riefen den DFB auf, sofort Position gegen das frühe Kopfballspiel zu beziehen und das Kopfball-Training für Kinder unter zwölf Jahren auszusetzen. „Sich auf Kommissar Zufall zu verlassen in dem Sinne, dass sich das Problem durch veränderte Spielformen im Kleinfeld praktisch von selbst erledigt, halten wir nicht für einen ausreichenden Schutz zur langfristigen Gesunderhaltung unserer Kinder“, erklärte der Chefarzt der Kinderklinik am Asklepios Nord, Markus Kemper.
Studie: So fatal sind die Folgen von Kopfbällen
Die britische Wohltätigkeitsorganisation Alzheimer’s Research UK untersuchte in einer sechs-monatigen Studie – die Anfang November 2021 startete – das Risiko zwischen Sport und einer Alzheimer-Erkrankung. Teil dieser Studie sollen neben Ärzten und Epidemiologen auch ein Vertretungsorgan aus Sportlern und Funktionären sein. Eine Anfang August veröffentlichte Studie der Universität Glasgow hat den Zusammenhang zwischen Kopfbällen und späteren gesundheitlichen Folgen untersucht. Fazit: Das Risiko für Feldspieler, Demenz und andere neurodegenerativen Erkrankungen zu bekommen, ist viermal-, bei Verteidigern sogar fünfmal höher als in der durchschnittlichen Bevölkerung. Nur bei Torhütern ist sie gleich hoch. An der Studie haben 8000 schottischer Fußballer teilgenommen.
Schläge gegen den Kopf lösen Tauproteine
Ursächlich für das erhöhte Risiko einer Demenzerkrankung ist die Chronische traumatische Enzephalopathie (CTE). Sie entwickelt sich durch wiederholte Stöße gegen den Kopf. Dabei werden Nerven zerstört und Tauproteine freigesetzt, die die Nerven besetzen und die Funktionen des Gehirns beeinträchtigen.
Prof. Dr. med. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie hebt die positiven Effekte des Sports auf die Gesundheit hervor. „Wahrscheinlich überwiegt insgesamt der Nutzen die Risiken“, so Berlit. „Dies sollte uns aber nicht davon abhalten, potenzielle Risiken bestimmter Sportarten zu minimieren“, schließt Berlit.
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Ein kopfballloses Spiel – umgesetzt Ende September 2021 bei einem Benefizspiel im Nordosten Englands – ist bei den Vereinen und dem HFV kein Thema. Byernetzki vom HFV führt aus: „Wir unterstützen derzeit die Vorplanungen der Medical School in Hamburg bei der Kopfball-Studie mit Hamburger Teams, die ihre finalen Ergebnisse zum Sommer 2022 erbringen soll – mit dem Ziel die Gefahr bzw. Verträglichkeit von Kopfbällen zu ermitteln“. (mp/dpa/mk)