Hamburger Musiker: Wie es ist, jetzt ein Album rauszubringen – und was nach Corona ist
Um die Liveshows der Hamburger Punkrock-Rap-Band Swiss & die Andern zusammenzufassen, reicht eigentlich ein Wort: Abriss. Viel Schweiß, viel Pogo, nicht viel Schnickschnack, aber ganz viel Exzess und Euphorie. Die Truppe hat sich mit jeder Menge Leidenschaft von den kleinen Bühnen auf die großen Festivals und in die großen Hallen gespielt. Jetzt, inmitten der Coronakrise, haben Swiss & Die Andern mit der Platte „Saunaclub“ ihr viertes Album rausgebracht – und hatten wie die meisten aktuell eigentlich ganz andere Pläne, wie Frontmann Swiss im Interview mit der MOPO erzählt.
Den Albumrelease hattet ihr euch anders vorgestellt, oder?
Swiss: Definitiv. Eigentlich wollten wir direkt nach der Veröffentlichung eine kleine Release-Tour spielen, mit kleinen Konzerten in kleinen Clubs. Kannste knicken. Genau wie den Festivalsommer. Stattdessen sind wir jetzt in dieser Situation, die sich irgendwie wie ein komischer Film anfühlt. Wenn mir vor nem halben Jahr jemand gesagt hätte: Im nächsten Frühsommer fahren alle mit Masken in der Bahn, dann hätte ich das nicht geglaubt. Und heute sitze ich wie alle anderen mit Maske in der Bahn und es ist halt so, notwendige Realität, mit der wir irgendwie umgehen müssen.
Was macht das mit dir als Musiker, der eigentlich dafür arbeitet, live spielen zu können?
Grundsätzlich will ich nicht rumheulen – wir als Band kommen irgendwie damit klar. Wir haben die letzten Jahre viel gespielt, deshalb ist die jetzige Situation für uns glücklicherweise nicht existenzbedrohend. Aber mir fehlt es natürlich, live zu spielen. Ich liebe Festivals. Gerade der Sommer – das ist immer wie Urlaub. Als Musiker fährst mit deinen Freunden im Nightliner durchs Land und hast eine gute Zeit. Was mich aber gerade mehr bewegt, als meine eigene Situation: Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr noch kleine Clubs haben und dass es überhaupt noch sowas wie Kleinkunst gibt. Dass nicht nur die ganz Großen überleben. Dass es die kleinen Läden in Hamburg schaffen, auch die, in die nur 50 Leute reinpassen.
Viele im Kulturbetrieb trifft die Situation gerade hart.
Total. Wenn ich an die ganzen selbstständigen Mischer, Soundmänner und andere in der Branche denke: Fuck. Es wird ohne Ende Kurzarbeitergeld rausgehauen, große Firmen werden mit Steuergeldern gestützt – die Kunstlandschaft geht gerade total unter. Es müsste meiner Meinung nach ein riesiger Kulturschirm gespannt werden, der die kleinen Clubs, die Selbstständigen rettet. Viele, die in diesem Bereich gerade gar nicht arbeiten können, bekommen aktuell vielleicht 2000 Euro. Aber davon kann niemand fünf, sechs Monate oder länger überbrücken. Die Kunst im Allgemeinen wird nicht so hoch angesehen, zumindest was finanzielle Unterstützung angeht. Die Leute werden fürchte ich in den nächsten Jahren merken, was auf einmal fehlt an vielen Orten – weil sie die Dinge, die sie lieben, vielleicht nicht mehr machen können: in kleine Läden zu Konzerten gehen oder in kleine Theater.
Kulturinstitutionen haben aktuell Solidaritätsprojekte ins Leben gerufen, es gibt Spendenaktionen, Künstler spielen Livestreams.
Finde ich cool. Aber das macht fürchte ich am Ende den Braten nicht fett. Das Geld, was beim streamen gespendet wird, wird leider nicht alle retten. Wir spielen gerade keine Streamingshows, weil wir glauben, dass unsere Show von dem Moment lebt, in dem die Leute vor uns stehen. Es gibt viele Künstler, denen steht das Streamingding gut. Und es ist schön, wenn es zumindest ein bisschen was bringt.
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Ihr wollt im Herbst auf Tour gehen. Wie gehen deine Fans mit Blick darauf um?
Mein Booker hat letztens gesagt: Ihr seid mit die einzige Band, deren Fans scheinbar keine riesige Angst vor Corona haben. Die Vorverkäufe sind mal für ein paar Wochen eingeknickt, haben sich jetzt aber wieder stabilisiert. Wir haben da großes Glück, bei vielen Bands ist es nicht so. Vielleicht ist es aber auch die Solidarität unserer Fans, die sich ein Ticket holen und damit sagen: Wir wollen euch supporten, wir wollen uns drauf freuen, euch wieder live spielen zu sehen. Mich freut, dass unsere Fans keine Aluhutträger sind, die alle Einschränkungen anzweifeln und als Schwachsinn abtun – aber dennoch so gelassen wie möglich mit der Situation umgehen.
In einigen deiner Songs – auch auf der neuen Platte –besingst du Hamburg, das Leben auf St. Pauli. Gefühlt eine andere Welt, als die, in der wir gerade leben. Wie erlebst du die Menschen in deiner Stadt aktuell?
Hamburg ist mir durch die Krise nicht fremd geworden, im Gegenteil. Ich hab bei vielen Hamburgern das Gefühl, dass sie vernünftig mit der Situation umgehen. Sie nehmen die Dinge cool. Das ist mein Hamburg, maximal unbeeindruckt.
Wenn du dir was wünschen könntest, wie es dieses Jahr weitergeht: Was wäre das?
Ich würde mir wünschen, dass eine zweite Infektionswelle ausbleibt, dass ab Spätsommer die Clubs wieder aufmachen dürfen, dass wieder ein bisschen Konzert- und Kulturleben kommt. Und dass die Menschen ein bisschen was aus der jetzigen Situation lernen: Wie schön es ist, einander zu haben, in Gesellschaft mit anderen zu sein. Dass man dafür nicht jedes Wochenende für nen Städtetrip irgendwo hinfliegen muss. Dass wir die Dekadenz, die wir auf allen Ebenen haben, die uns und unseren Planeten auffrisst, ein Stück weit aufgeben und mit dem zufrieden sind, was wir haben.
Und eine Nummer kleiner gedacht, auf dich und deine Band bezogen?
Ich hoffe, dass wir alle gesund bleiben, schnellstmöglich wieder auf die Bühne können, unsere Tour spielen, unser Jahresabschluss-Konzert in der Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg – dass wir wieder das tun können, was wir lieben.
Das Album „Saunaclub“ von Swiss & die Andern ist am 1. Mai auf dem Indie-Label „Missglückte Welt“ erschienen. Das Jahresabschlusskonzert Swiss & die Andern findet am 19. Dezember in der Sporthalle in Hamburg statt, präsentiert von der MOPO.