Schauspielerin Angelika Richter spielt während der Generalprobe zu „Der Geheimagent“ auf der Bühne im Deutschen Schauspielhaus.
  • Schauspielerin Angelika Richter spielt während der Generalprobe zu „Der Geheimagent“ auf der Bühne im Deutschen Schauspielhaus.
  • Foto: picture alliance/dpa/Marcus Brandt

Schauspielhaus: Frank Castorf meldet sich zurück – mit sinnlichem Sozial-Drama

Regisseur Frank Castorf hat sich am Freitagabend mit einem mehr als fünfstündigen Theaterabend zurückgemeldet. Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg zeigt er Joseph Conrads Roman „Der Geheimagent“ (1907) als sinnliches Noir-Sozial-Drama.

Die verschachtelte Drehbühne von Aleksandar Denic aus viel Backstein mit dauerqualmenden Schornsteinen ist eine Wucht. Sie offenbart Einblicke in private Räume, die bis ins Detail mit originalgetreuen Gegenständen des 19. Jahrhunderts vollgestopft sind. Einmal zeigt sie den Laden des Kleinbürgers Adolf Verloc mit seinen historischen Porno-Heftchen. Dann wieder die legendäre Adresse Downing Street No. 10, Sitz des britischen Premierministers.

„Der Geheimagent“ als Noir-Sozial-Drama

Es sind zwei Welten, die Castorf aufeinanderprallen lässt, die der Mächtigen und die des kleinen Mannes, der zum Opfer eines dunklen Spiels wird. Charly Hübners Verloc ist ein in London lebender Ex-Militär mit französischen Wurzeln, gutgläubig und ein wenig behäbig. Sein Leben teilt er mit Ehefrau Winnie (Anne Müller) und deren geistig beeinträchtigtem Bruder Stevie (Paul Behren). Der Laden läuft schlecht. Da verspricht ein bisschen Agententätigkeit für eine Gesandtschaft Aufbesserung. Doch dann läuft eine geplante Sprengstoff-Aktion schief.

Der Regisseur Frank Castorf meldet sich zurück – nämlich im Hamburger Schauspielhaus. (Archivfoto) picture alliance/dpa | Jörg Carstensen
Der Regisseur Frank Castorf meldet sich zurück. (Archivfoto)
Der Regisseur Frank Castorf meldet sich zurück – am Hamburger Schauspielhaus. (Archivfoto)

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Castorf: Exkurse in die Bibel, den Brexit, über die Liebe

Nachdem sich Castorf in seiner produktiven Phase Anfang der 2000er-Jahre mit den Folgen des Stalinismus auseinandergesetzt hatte, stehen seit längerem die Auswirkungen des Kolonialismus im Fokus seines Interesses. Die Inszenierung „Der Geheimagent“ reichert er mit Auszügen aus Conrads entlarvendem Dschungel-Roman „Herz der Finsternis“ an. Da sitzen Josef Ostendorf als Herr Vladimir von der Gesandtschaft und Hübners Verloc gemütlich in ihren Empire-Sesseln und erzählen sich dunkle Begebenheiten aus dem Kongo. Castorf führt die Folgen dieses grausamen Kapitels unerbittlich mit Conrad vor Augen. Auch die Anarchisten mischen noch mit. Ein Unschuldiger stirbt. Eine Familie wird zerstört.

Castorf am Schauspielhaus: Viel Nebel und raue Blues-Musik

Die lineare Erzählung ist von Castorf gewohnt dekonstruiert und neu montiert, mit Versatzstücken aus anderen Conrad-Schriften angereichert, mit Exkursen in die Bibel, in den Brexit, über die Liebe. Das Ganze ist per Live-Kamera auf eine gigantische Leinwand projiziert – versehen mit viel Nebel und rauer Blues-Musik.

Generalprobe zu „Der Geheimagent“ auf der Bühne im Deutschen Schauspielhaus. picture alliance/dpa/Marcus Brandt
Generalprobe zu „Der Geheimagent“ auf der Bühne im Deutschen Schauspielhaus.
Generalprobe zu „Der Geheimagent“ auf der Bühne im Deutschen Schauspielhaus.

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Charly Hübner stattet seinen Adolf Verloc mit maximaler Menschlichkeit aus. Ein gutmütiger Kerl, der sich im Dschungel der Begehrlichkeiten nicht mehr zurechtfindet. Anne Müller als seine Frau Winnie ist eine scharf argumentierende Naturgewalt. Von ihren offenherzigen Kostümen (Adriana Braga Peretzki), Feder-Boas und Domina-Ketten sollte man sich nicht blenden lassen. Ihre Fürsorge für den geistig beeinträchtigten Bruder ist berührend. Am Ende wird sie zu einem furchtbaren Rache-Engel.

„Der Geheimagent“: Momente voll Verzweiflung und Komik

Der feinnervige Paul Behren überzeugt als emotional instabiler Stevie. Und als idealistischer Anarchist. Wenn er am Ende wiederholt in die Tasten eines Keyboards greift, ist das ergreifend. Josef Ostendorf glänzt mit beißender Ironie, Angelika Richter mit hellem Sopran. Matti Krause übernimmt am Premierenabend auch noch die Figuren eines ausgefallenen Kollegen und lädt am Ende Winnie zu einem furiosen Totentanz. Da ist der Abend längst bei einem blutigen Mysterienspiel angelangt.

Von dem Ensemble verlangt das Castorf-Theater absolute Verausgabung. Den Zuschauer belohnt es – von ein paar Längen abgesehen – mit grandiosen Momenten voll Verzweiflung und Komik.

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