Hamburger Traditionswerft kann Arbeiter nicht mehr bezahlen
Die rund 290 Angestellten der Pella Sietas Werft in Neuenfelde haben seit Ende April keine Bezahlung mehr bekommen. Dass ein Unternehmen nicht einmal mehr genug Kapital aufbringen kann, um das Kurzarbeitergeld vorzustrecken, ist selten. Läuft Pella Sietas auf Grund? Die Belegschaft ist höchst alarmiert, die Geschäftsführung gibt sich optimistisch.
„Im Mai und im Juni haben wir kein Geld bekommen, im Juli kommt bestimmt auch nichts“, sagt ein Werft-Mitarbeiter zur MOPO. Er will anonym bleiben, schildert die dramatische Lage am Standort in Neuenfelde: „Die Lager sind leer, es gibt kein Material mehr, am Eisbrecher soll erst im nächsten Jahr weitergebaut werden. Die Krankenkassen haben unsere Sozialleistungen schon gestundet, weil wir absolut kein Einkommen haben.“
Hamburg: Sietas Werft kann keine Gehälter mehr zahlen
Was ist los bei der ältesten noch bestehenden Werft Deutschlands, die 2014 von der russischen Werft Pella Shipyard gekauft wurde? „In den Monaten Mai 2021 und Juni 2021 konnten wir keine Löhne und Gehälter auszahlen“, bestätigt Alexander Voigtsberger von der Finanzabteilung der Werft: „Dies betrifft alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, einschließlich des Managements und der Geschäftsführung.“ Grund seien die Pandemie und die „wirtschaftliche Situation im deutschen Schiffbau“.
Dabei wurde noch im Oktober 2020 die Kiellegung des mächtigen Eisbrechers öffentlich gefeiert. Der Auftrag des russischen Staatsunternehmens Rosmport galt als „echter Glücksgriff“.
Ina Morgenroth, Geschäftsführerin der IG Metall Regio Hamburg, sieht es als besorgniserregend an, dass ein Unternehmen das Kurzarbeitergeld nicht einmal kurzfristig vorstrecken kann: „Das habe ich in 20 Jahren bei der IG Metall noch nicht erlebt.“ Kurzarbeitergeld wird den Unternehmen von der Agentur für Arbeit erstattet.
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Hamburger Traditionswerft in Schieflage
Die Spezialwerft im Alten Land hatte in der Vergangenheit immer mal wieder Schlagseite. Meistens ging es dabei um Hafenschlick, der die Werftzufahrt verstopfte, und um die Frage, wer den wegbaggern muss – die HPA, der Bund oder die Werft. Dass die Pella-Sietas-Belegschaft seit Monaten kein Kurzarbeitergeld bekomme, damit habe der Streit um den Schlick nichts zutun, betont die Wirtschaftsbehörde auf MOPO-Anfrage. Die Vertiefungen seien wie vereinbart durchgeführt worden.
Auch der Bau einer gasbetriebenen Autofähre für den Bodensee lief nicht reibungslos, es gab Streit um eine erhöhte Rechnung, die die Konstanzer Stadtwerke nicht zahlen wollten. Erst vor wenigen Wochen meldetet das Badische Tageblatt, das man sich geeinigt habe und die Werft 2,5 Millionen Euro mehr bekommt, womit die Kosten auf 20,5 Millionen Euro gestiegen seien. In der Vergangenheit wurde das Traditionsunternehmen immer wieder umfangreich unterstützt, aktuell läuft eine Bürgschaft von Stadt und Bund.
Der Werftarbeiter beschreibt der MOPO, wie es sich anfühlt, finanziell keine Handbreit Wasser mehr unterm Kiel zu haben: „Das zermürbt uns. Man kann ein, zwei Monate von Ersparnissen leben, aber die Kosten laufen ja weiter, und irgendwann ist das Konto leer. Da leiden Familien, Ehen gehen auseinander.“
Trotzdem seien die meisten Kollegen weiterhin zur Arbeit gegangen, auch wenn es „nur noch Kleckerkram“ zu tun gab. Der Finanzchef der Werft schildert das Gegenteil von „Kleckerkram“: „Die Auftragsbücher von Pella Sietas sind sehr gut gefüllt. Wir blicken deshalb mit großer Zuversicht in die Zukunft.“ Die MOPO-Frage, ob im Juli Gehälter gezahlt werden, ließ Voigtsberger unbeantwortet.