Hamburgerin packt aus: Wie Frauen mit Behinderung ihren Arbeitsalltag erleben
Bahrenfeld –
Wenig Gehalt, kaum Aufstiegschancen: Frauen mit Behinderungen erleben in der Arbeitswelt oft Diskriminierung und Benachteiligung. Nur wenige Unternehmen zeigen, wie Inklusion funktionieren kann. Bei einem hat es die Hamburgerin Tatjana Halawa nach vielen Jahren endlich geschafft, einen Job zu finden, bei dem sie sein darf, wie sie ist.
Sie besetzen die wenigsten Vollzeit- und Führungspositionen, bekommen den geringsten Lohn und sind durch Haushalts- und Familienaufgaben besonders belastet: Frauen mit Behinderungen bilden das Schlusslicht in der Arbeitswelt. Das zeigt eine aktuelle Studie von „Aktion Mensch“, die die Erwerbssituation von Frauen mit und ohne Schwerbehinderung sowie den entsprechenden männlichen Gruppen systematisch vergleicht.
Hamburgerin packt aus: Wie Frauen mit Behinderung ihren Arbeitsalltag erleben
Dabei zeigt sich: Diese Frauen erleben nicht nur aufgrund ihrer Behinderung eine Benachteiligung, sondern weiterhin auch wegen ihres Geschlechts. „Für viele Frauen mit Behinderung äußert sich die derzeitige Situation als ein Kampf um das berufliche Überleben – um sich im Arbeitsleben zu behaupten, müssen sie einer gleich zweifachen strukturellen Benachteiligung entgegentreten“, erklärt Christina Marx, Sprecherin der „Aktion Mensch“.
Der Studie zufolge sind Frauen mit Behinderung am häufigsten in der Einkommenskategorie unter 1.000 Euro netto vertreten – mit fast einem Drittel. Zudem verdienen sie durchschnittlich 667 Euro netto weniger im Monat als Männer mit Behinderung. Die weiblichen Erwerbstätigen arbeiten auch weniger als die Vergleichsgruppen: 37 Prozent der Frauen mit Behinderung sind in einer Teilzeit-Position beschäftigt, daneben sind sie viel stärker in den Haushalt und Familienaufgaben eingebunden als ihre männlichen Pendants. Das sorgt bei rund einem Drittel für Unzufriedenheit und Frustration.
Inklusions-Unternehmen kämpft für faire Arbeitsplätze
Das gemeinnützige Inklusions-Unternehmen „Lecker hoch drei“ zeigt, wie es besser funktionieren kann. Von 33 Mitarbeitern haben 19 eine schwere Behinderung, acht davon sind Frauen. Das Unternehmen gehört zu „Hamburg Work“ und versorgt seit 2018 Kitas mit rund 4000 Mahlzeiten täglich. Es hat es sich zur Aufgabe gemacht, sowohl abwechslungsreiches und frisches Essen zu kochen als auch faire Arbeitsplätze zu schaffen. Um diese Ziele zu erreichen, sei „Lecker hoch drei“ zwar auf Spendengelder angewiesen, verkaufe und produziere aber auch selbstständig, erklärt Geschäftsführer Kai Gosslar der MOPO.
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Bei „Lecker hoch drei“ arbeitet auch die Hamburgerin Tatjana Halawa seit zweieinhalb Jahren – als Küchenhilfe, fünf Tage die Woche, jeweils von 10 bis 15.30 Uhr. Die 52-Jährige leidet unter organischem Nervenleiden und Bewegungsstörungen und gilt damit als schwerbehindert. Dadurch sind unter anderem ihre Feinmotorik und ihre Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt.
Hamburgerin: „Mein Chef hat mich jahrelang gemobbt“
Mit ihrer Schwerbehinderung hatte Halawa es nicht leicht auf dem Arbeitsmarkt: Sie hangelte sich immer wieder von einem Zeitvertrag zum nächsten. Bei ihrem letzten Arbeitgeber wurde die 52-Jährige diskriminiert: „Mein damaliger Chef hat mich jahrelang gemobbt und oft frauenfeindliche Bemerkungen gemacht. Daneben kamen immer wieder Sprüche, dass ich zu langsam bin – dabei bin ich aufgrund meiner Behinderung einfach nicht so schnell“, erklärt sie im Gespräch mit der MOPO.
Stress und Leistungsdruck kennt laut den Ergebnissen der Studie die Mehrheit (52 Prozent) der Arbeitnehmerinnen mit Behinderung. Oft werden diese Gefühle durch Konkurrenzdruck und die Angst, den Arbeitsplatz wieder zu verlieren, hervorgerufen. „Für eine chancengerechte Teilhabe am Erwerbsleben ist zwingend ein Kultur- und Bewusstseinswandel erforderlich“, sagt Christina Marx. Sie fordert einen Arbeitsmarkt, der individuelle Stärken und Qualifikationen erkennt – und Themen wie Inklusion und Gendergerechtigkeit zum Leitsatz erklärt.
Arbeiten mit Behinderung: Weniger Druck, mehr Leistungsfähigkeit
Für Tatjana Halawa hat sich das 2018 endlich erfüllt. Sie kündigte ihren Job und ist dankbar, bei „Lecker hoch drei“ zu arbeiten. Dort werde mehr Rücksicht auf ihre Behinderungen genommen und weniger Druck ausgeübt. „Ich habe das Gefühl, dass dadurch meine Leistungsfähigkeit sogar angestiegen ist“, so die 52-Jährige. Zudem habe sie nun einen Job gefunden, der gut zu ihr passe – und bei dem sie nicht auf Feinmotorik angewiesen sei. „Ich fühle mich bei meiner jetzigen Arbeitsstelle sehr angenommen. Hier kann man sein, wie man ist.“