Hamburgs Eltern am Limit: Wann dürfen endlich alle Kinder zur Kita, Frau Senatorin?
Hamburgs Eltern haben nervenaufreibende Wochen hinter sich. Wegen der Corona-Krise mussten die Kitas weitestgehend schließen, tausende Kinder zu Hause betreut werden. Seit dem 16. März gibt es lediglich eine Notbetreuung, die nach und nach ausgeweitet wurde – aber längst nicht für alle! Im gemeinsamen Talk von der MOPO und ONE Hamburg erklärt Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) wie es mit den Kitas weitergeht und was das Virus mit der Stadt gemacht hat.
Frau Leonhard, die Bundesregierung öffnet die Kassen, beschenkt Familien für jedes mit 300 Euro. Ist das jetzt die große Lösung für die Corona-Krise?
Es ist natürlich eine Hilfe, gar keine Frage. 300 Euro pro Kind und Familie ist nicht nichts. Aber es gibt eine ganze Menge mehr Themen, die die Eltern bewegen.
Die Öffnung der Kitas zum Beispiel. Wann können endlich alle Kinder zurück in die Einrichtungen?
Wenn alles gut läuft. Wir haben uns in Hamburg für eine schrittweise Öffnung entschieden. Und im Moment läuft es ganz gut. Unser Wunsch ist, dass wir Ende Juni – wie auch immer – alle Kinder wieder in den Kitas begrüßen dürfen, zumindest stundenweise.
Können Sie verstehen, dass Eltern wütend und verzweifelt sind, weil sie sich im Stich gelassen fühlen?
Das ist eine total schwierige Situation, keine Frage. Ich bin selbst davon betroffen, dass ich keine vollständige Kinderbetreuung in Anspruch nehmen kann. Und man sitzt da als Eltern zwischen allen Stühlen. Man wird der Arbeit nicht so gerecht wie man möchte, man hat aber auch die Herausforderung, dass man den Druck, den man verspürt, nicht zeigen kann. Und die Kinder sind unzufrieden, weil sie ihre Freunde vermissen. Wir haben Familien in den letzten Wochen eine ganze Menge zugemutet, das ist uns schon klar.
Sie haben auch einen kleinen Sohn zu Hause, wie haben Sie die Zeit gemeistert?
Immer von Tag zu Tag, wie andere Familien auch. Mal bin ich später losgegangen, mal mein Mann früher nach Hause gekommen. Zum Teil haben wir parallel im Homeoffice gearbeitet – unter Hinzuziehung sämtlicher Hörspiele und Spielideen, die einem da so einfallen. Immer mit dem ehrlichen Eingeständnis, dass man dann bestimmte Dinge nicht schafft. Auch bei mir stapeln sich die Wäscheberge, auch bei mir klappt mal was nicht, auch bei mir ist das Kind unzufrieden. Deswegen weiß ich sehr gut, wie Familien sich fühlen.
Nicht nur für Familien, auch für die Beschäftigten in der Kita ist die Situation besonders. Dort gibt es keine Maskenpflicht, weil die Mimik für den Umgang mit Kindern wichtig ist. Wie wird der Corona-Schutz gewährleistet?
Der wichtigste Schutz sind tatsächlich feste Gruppen, weil dadurch das Infektionsrisiko so gut wie möglich minimiert wird. Seit dieser Brief zum Umgang mit Masken in Kitas geschrieben wurde, sind ja auch schon einige Wochen vergangenen. Und damit gibt es eine Menge neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Wir wissen zum Beispiel, dass das Infektionsrisiko im Freien radikal minimiert wird. Inzwischen wissen wir auch, dass Kinder keine „Superspreader“ sind. Davon sind wir ja Anfang März aufgrund von Überlegungen in der Wissenschaft ausgegangen.
Hätte man – mit dem jetzigen Wissen – die Kitas so radikal geschlossen?
Es gab damals zwei Überlegungen. Die eine war die „Superspreader-Theorie“. Kinder wären besonders infektiös, so wie es bei Masern und der Grippe ist. Die andere Überlegung war, Kontakte zu minimieren.
Video: Sozialsenatorin Melanie Loenhard im MOPO-Talk
Und da sind Schule und Kita zwei Bereiche, die genau das Gegenteil von Kontaktminimierung sind. Wir haben die sehr einschneidenden Entscheidungen vor dem Hintergrund dieser zwei Überlegungen getroffen. Wir hatten damals sogar die Debatte, ob wir die Entscheidung zu spät treffen. Im Lichte der Erkenntnisse, die wir heute haben, hätte man es vielleicht anders bewertet.
Ähnlich hatte sich zuletzt auch Gesundheitssenatorin Cornelia-Prüfer Storcks geäußert…
Ja, aber wir sind aber eben darauf angewiesen, immer in unserer Zeit zu entscheiden. Und mit den Erkenntnissen, die zu dem Zeitpunkt vorliegen. Alles andere wäre unverantwortlich
Vor ein paar Wochen hieß es mal, dass 8000 Kinder in der Notbetreuung versorgt worden sind – es gab aber lediglich fünf Infektionsfälle. Wie sieht es aktuell aus?
Inzwischen betreuen wir wieder mehrere zehntausend Kinder in der erweiterten Notbetreuung. Und wir sind genau bei dieser Zahl an Infektionsfällen geblieben. Das spricht sehr dafür, dass diejenigen bestätigt werden, die gesagt haben, Kinder sind doch nicht so stark betroffen wie andere.
Was passiert eigentlich, wenn die Erzieher keinen Kontakt mehr zu Kindern haben, die zu Hause betreut werden müssen. Schrillen dann die Alarmglocken?
Es gibt Kinder, wo wir eine Vereinbarung haben, dass die Kita dafür sorgen muss, dass sie regelmäßig Kontakt zu den Kindern hat. Ist das nicht der Fall, muss eine Meldung erfolgen und dann müssen wir Hausbesuche machen – Corona hin oder her. Und das passiert leider auch.
Die Corona-Krise macht ja etwas mit den Menschen, sorgt für psychische Probleme. Wie hilft die Stadt da weiter?
Wir haben Hilfsangebote wie das Hilfetelefon, sogar eines, dass extra für Senioren eingerichtet wurde. Und wir haben auch die ganzen professionellen Angebote, die in nicht erst seit den Corona-Zeiten eng mit Menschen zusammenarbeiten. Die haben sich Möglichkeiten überlegt, Spaziergänge draußen oder Gespräche per Videotelefonie.
Auch die Telefonseelsorge wird aktuell gut angenommen, dabei war sie zuletzt vielleicht ein total unterschätztes Instrument.
Ganz viele Instrumente werden unterschätzt. Ich kann mich erinnern, dass letztes Jahr der Tod des Briefes herbeigeschworen wurde. Wir haben jetzt in der Krise erlebt, dass tolle Projekte initiiert werden, die Leute wieder anfangen zu schreiben – weil es nämlich eine große Freude ist, an den Briefkasten zu gehen und einen physischen Gruß in der Hand zu halten.
Bringt dir Krise Menschen zusammen oder entfremdet man sich eher?
Ich lerne viele gesellschaftliche Bereiche kennen, wo man sich unterstützt, Betreuungsgemeinschaften zum Beispiel oder die privat organisierten Einkaufsdienste. Das schweißt uns zusammen. Es gibt aber auch Entwicklungen, wo wir ein starkes auseinanderfallen feststellen. Es gibt Familien, die die Straßenseite wechseln, weil Kinder irgendwo laufen. Weil die in dem Ruf stehen, besonders infektiös zu sein. Und es gibt junge Leute, die sich davon belästigt fühlen, dass nur weil wir „Risikogruppen“ schützen müssen, für sie weiter der Club zu ist. Da merken wir, dass sich Egoismen Bahnen brechen, die eine ganze Gesellschaft in Misskredit bringen kann.
Wann glauben Sie, ist die Krise vorbei?
Ich hoffe bald. Auch ich wünsche mir nichts sehnlicher, als viele Freunde wiedertreffen zu können. Oder auch Sitzungen wieder mit Menschen und nicht per Video machen zu können. Deswegen hoffe ich sehr auf die Impfstoffforschung. Ich hoffe vielleicht auch auf ein kleines, virologisches Wunder – das nicht passieren wird – und ich hoffe, dass wir keinen Tag länger als nötig eingeschränkt sein werden.
Das hoffen auch viele Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Dort hat die Corona-Krise längst ihre Spuren hinterlassen.
Rund 19.000 Unternehmen in Hamburg haben Kurzarbeit angemeldet. Dahinter stecken hunderttausende Arbeitnehmer. Was das für jeden einzelnen bedeutet, mag man sich gar nicht vorstellen. Es gibt Menschen, die haben ihre Arbeit schlicht verloren und die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen. Und das ist etwas, wo wir den Fokus drauflegen müssen. Wir müssen Qualifizierungen anbieten und Möglichkeiten schaffen, wieder Teil des Arbeitsmarktes zu werden.
Vor allem junge Menschen leiden unter der Krise. Und zwar doppelt. Sie finden keine Jobs, müssen aber in Zukunft die Corona-Schulden abzahlen.
Das ist so. Gerade bei den Arbeitsmarktzahlen ist es unübersehbar, dass diese Gruppe besonders betroffen ist. Deswegen ist es wichtig, dass die Bundesregierung jetzt ein Paket auf den Weg gebracht hat mit Unterstützungsleistungen für kleinere und mittlere Unternehmen, mit Bonuszahlungen für Unternehmen, die Ausbildungsplätze nicht kündigen. Wir dürfen aus dieser Krise nicht mit einem heftigen Generationenkonflikt herausgehen, sonst ist unser gesellschaftlicher Zusammenhalt gefährdet.
Es geht ja nicht nur um Ausbildungsplätze. Auch Menschen, die jahrelang studiert haben, finden nach ihrem Abschluss keinen Job mehr.
Das ist sehr bitter. Hier muss man aber die Zwölf-Monats-Perspektive betrachten, nämlich dass mehr Personen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden als nachkommen. Und dass dieser demografische Effekt viele Chancen ermöglicht. Für diese Menschen gilt es jetzt, nicht zu resignieren und sich möglicherweise noch weiter zu qualifizieren. Dann wird es für sie viele Chancen geben, da bin ich sehr sicher.