Hamburgs Kultursenator: Können alle Kulturschaffenden gerettet werden, Herr Brosda?
In Zeiten der Pandemie entsteht immer wieder der Eindruck, dass Museen, Theater und Kinos nicht so wichtig sind. Er kämpft derzeit besonders um das Überleben der Hamburger Kulturlandschaft: Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD). Die MOPO sprach mit ihm darüber, warum Künstler in diesen Zeiten dringend eine Perspektive brauchen, wie sich die Branche durch Corona verändern wird und ob alle Kulturschaffenden die Krise überstehen können.
MOPO: Herr Brosda, Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Länderchefs wollen nächsten Mittwoch besprechen, ob Kultureinrichtungen im Dezember weiterhin geschlossen bleiben. Gibt es da schon eine Tendenz?
Carsten Brosda: Zunächst ist entscheidend, ob sich der bisher leichte Rückgang des Infektionsgeschehens so weiterentwickelt und wir vielleicht sogar zu einer deutlicheren Reduktion der Infektionszahlen kommen. Das ist aber jetzt noch nicht absehbar und deswegen müssen wir noch ein bisschen Geduld haben, bis am 25. November die Lage bewertet wird und Entscheidungen getroffen werden können.
Welche Entscheidung würden Sie denn treffen?
Solche Entscheidungen trifft man zum Glück nicht allein. Natürlich ist es die Perspektive eines Kultursenators – sonst würde er seinen Job nicht gut machen – dass Kultur, wann immer es möglich ist, stattfinden muss. Diese Grundhaltung ist aber abzuwägen gegen die ebenso berechtigten Hinweise von Gesundheitspolitikern und vielen anderen Experten zum aktuellen Infektionsgeschehen. Und dann ist es durchaus sinnvoll, gleiche Maßstäbe und Regeln im ganzen Bundesgebiet zu schaffen. Insofern ist es vielleicht auch richtig, dass der Kultursenator das in Hamburg nicht allein entscheiden kann.
Zuvor wurden ja monatelang Hygienekonzepte ausgetüftelt, und jetzt kommen sie doch nicht mehr zum Einsatz. War das alles umsonst?
Die Schwierigkeit dieses Beschlusses war, dass man die Kultur gar nicht als eigenständige Dimension adressiert hat. Wir schließen öffentliche Orte, an denen wir uns als Gesellschaft begegnen und verhandeln, wie wir miteinander leben wollen. Insofern sind für mich Kulturorte deutlich näher an Kirchen, Schulen und Hochschulen als an den Orten der Freizeit und der Zerstreuung.
Dieser Dimension des Sinnstiftenden in der Kultur sind wir nicht ausreichend gerecht geworden. Darüber müssen wir aber sprechen, wenn es Akzeptanz für unsere Beschlüsse geben soll. Das würde das Vertrauen darin stärken, dass wir die Beschränkungen keinen Tag länger machen, als es unbedingt notwendig ist.
Haben Sie den Eindruck, dass das Vertrauen von Kulturschaffenden in die Politik gesunken ist?
Dass eine zweite Schließung nochmal notwendig wird, war für viele ein schwerer Schlag. Ich nehme im Vergleich zum Beginn der Pandemie aber eine viel differenziertere Reaktion darauf wahr. Im Großen und Ganzen überwiegt das Verständnis für die Notwendigkeit der Maßnahmen, aber es wird auch gefragt: Begreift ihr, was ihr uns damit antut? Und seid ihr in der Lage, die Hilfssysteme so aufzubauen, dass wir durch diese Zeit mit den harten Beschlüssen kommen? Das gehört dazu und das muss man in einer Demokratie miteinander diskutieren.
Sie haben auf Twitter auch das Video von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann kritisiert. Da wurde die Botschaft vermittelt: „Lernt was Anständiges.“ Warum ist diese Botschaft so falsch?
Fast jeder, der einen kreativen Beruf wählt, kennt diese Gespräche wahrscheinlich. Mir geht es nicht um den konkreten Lebensweg des jungen Mannes, der in dem Spot dargestellt worden ist. Was ich irritierend finde ist, wenn Politiker sich die Haltung zu eigen machen und Künstlern sagen, sie könnten ja auch etwas ganz anderes machen. Ich finde, daraus spricht am Ende eine Missachtung gegenüber der Leistung von Künstlern, die in einer aufgeklärten und freien Gesellschaft nicht denkbar sein sollte. Wir müssen uns darum kümmern, dass Menschen, die sich für kreative Berufe entschieden haben, gerade jetzt eine Perspektive haben.
Für Kulturschaffende gibt es ja Finanzhilfen, die sie durch die Krise bringen sollen. Können damit alle gerettet werden oder wird es Verlierer geben?
Wir bemühen uns, möglichst allen durch diese Zeit zu helfen. In Hamburg haben wir sehr früh begonnen daran zu arbeiten. Es wird schwieriger, je weiter man weg ist von den Bereichen, in denen der Staat traditionell fördert. Da brauchen wir die Hilfe des Bundes und ich bin dankbar, dass mit den Novemberhilfen und der Überbrückungshilfe III, die gerade in Arbeit ist, diese Perspektiven in den Blick genommen werden.
Für die Solo-Selbstständigen, für die wir mit der Grundsicherung das Existenzminimum sichern, hatten wir – abgesehen von unserer Soforthilfe und der Neustartprämie hier in Hamburg – bisher noch keine ausreichende Lösung. Jetzt sollen pauschale Betriebskostenzuschüsse über den Bund kommen. Das ergänzt unsere Bemühungen, mit Kulturförderung die Beschäftigungsperspektiven aufrechtzuerhalten. Wir müssen sicherstellen, dass auch die Arbeit der Künstler weitergehen kann.
Wird sich die Kulturbranche in Hamburg durch die Coronakrise am Ende verändern?
Ich hoffe, dass wir nicht weniger Vielfalt haben, sondern uns die neu entwickelten Strategien und Techniken erhalten bleiben. Die Entdeckung des Digitalen als ein weiterer kultureller Raum hat aus der Not heraus eine extreme Beschleunigung erfahren. Das begegnet mir auch im Gespräch mit Künstlern: Den Umstand, dass sie so viel kurzfristiger reagieren müssen und zum Beispiel nicht vorher festlegen können, welches Konzertprogramm im Frühjahr 2023 gespielt wird, empfinden sie auch als Befreiung.
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Das ist nichts Selbstgewähltes, sondern aus der Not Entstandenes. Ich hoffe, dass wir uns im Kulturbetrieb angucken, was wir sinnhaft verändern wollen und wo sich gerade Chancen dafür auftun, weil wir vieles momentan nicht so machen können wie bisher. Wenn wir es klug gestalten, wird der Kulturbetrieb durch die Veränderungen nicht schwächer oder unattraktiver, sondern er wird aus dieser Zeit Qualitäten mitnehmen.