Henriette Hell über ihre Zoom-Selbsthilfegruppe: „Nur Singles haben Zutritt“
Die Erwartungen an Frauen ab 30 Jahren sind hoch, findet die Hamburger Bestsellerautorin Henriette Hell (36). Verheiratet sollten sie sein, möglichst schon Mutter – und auch noch Karriere machen. Dabei kann man ihrer Meinung nach auch wunderbar ohne all das glücklich werden: In ihrem neuen Buch „Ihr könnt mich mal… So nehmen wie ich bin – Mein ziemlich geiles Leben ohne Kind und Karriere“ schreibt Hell über ihr Leben als unverheiratete und kinderlose Mittdreißigerin und räumt mit überholten Rollenklischees auf. Dieser Text stammt aus dem Kapitel „Liebe und Wahnsinn“.
Dienstag, 21 Uhr. Zeit für meine wöchentliche Zoom-Selbsthilfegruppe mit Freundinnen. Die goldene Regel lautet: Nur Singles haben Zutritt. Denn wir machen uns hier jedes Mal komplett nackig. Da haben die gut gemeinten Ratschläge glücklicher Verliebter REIN GAR NICHTS verloren. Schlichtweg aus Prinzip. Diese Woche hat es mal wieder in sich.
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Françoise, 39, eine elegante Modeeinkäuferin aus München, packt als Erste aus. Über Silvester war sie mit ihrem neuen Lover auf die Malediven gereist. Wir hatten sie alle deswegen beneidet. Zwei Wochen in einem Fünfsternehotel direkt am Strand – das bedeutete in unserer Vorstellung vor allem eins: ein Vögelmarathon par excellence. Aber denkste! „Ich wollte, dass alles perfekt wird“, stöhnt Françoise. Insgeheim hatte sie sich schon ausgemalt, wie er ihr bei Sonnenuntergang einen Antrag am Strand macht. Aber daraus wurde nichts. „Es ging schon im Flugzeug los. Er wollte unbedingt am Fenster sitzen und hat deswegen einen völlig Fremden minutenlang angebettelt. Das ging dann den ganzen Urlaub so weiter…“
Urlaub auf den Malediven: Tschüss, Romantik! Hallo, Realität!
Im Taxi: „Du schuldest mir noch zwei Dollar für die Cola vorhin.“ Nach zwei Minuten am Pool: „Mir ist langweilig.“ Beim Sonnenuntergang: „Ob die hier wohl irgendwo Champions League zeigen?“ Zwischendurch: „Ich hätte schon Lust, es mal mit einer Einheimischen zu treiben.“ Wir schütteln entsetzt die Köpfe. „Was für ein Penner!“, entfährt es mir. Leider ist es oft ein himmelweiter Unterschied, ob du jemanden bloß ab und zu für ein paar prickelnde, champagnerdurchtränkte Stunden triffst – oder 24/7 mit ihm abhängst. Tschüss, Romantik! Hallo, Realität! Wenn du Pech hast, bist du plötzlich Babysitter, Psychologin und Animateurin in einem.
Françoise ist noch lange nicht fertig. „Die Krönung war ja, dass ich die ganze Zeit um Sex betteln musste. Ich dachte mir halt, wenn wir schon mal da sind, will ich wenigstens flachgelegt werden. Aber Pustekuchen! Dafür war er entweder immer zu besoffen, zu müde oder zu vollgefressen. Eines Tages komme ich zurück ins Hotel – ihr glaubt es nicht –, da erwische ich den Perversling doch glatt beim Wichsen im Whirlpool. Mit Pornos auf dem Handy. Ich nur so: ‚Waaaah!‘ Vor lauter Schreck ist ihm das Ding ins Wasser geplumpst und ICH wurde dafür auch noch angemault: ‚Kannst du nicht anklopfen?‘ Damit war die Sache für mich erledigt. Mal ehrlich, wofür fahre ich denn mit meinem Lover in die Südsee, wenn der sich lieber einen von der Palme wedelt, als mich unter Palmen zu nehmen?!“
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Wir lächeln Françoise aufmunternd zu. „Das Problem war wohl“, ergänzt meine Freundin tapfer, „dass ich mir so sehr wünschte, dass er der Richtige für mich ist. Ich hatte einfach keinen Bock mehr weiterzusuchen.“ Verständnisvolles Nicken. „Aber mittlerweile bin ich echt froh, diesen pornosüchtigen, stillosen, alkoholkranken Lurch los zu sein.“ Szenenapplaus in der Runde.
Henriette Hell schreibt über den männlichen Jagdinstinkt
Ich räuspere mich. „Kennt ihr das? Zuerst seid ihr Ewigkeiten auf der Suche nach der großen oder wenigstens irgendeiner Liebe und werdet dabei immer wieder enttäuscht, verletzt, gedemütigt. Monatelang herrscht Ebbe in Sachen Love. Doch dann, eines Tages, erhört Gott eure Gebete und schickt euch einen tollen Mann. Ihr seid endlich wieder glücklich! In derselben Sekunde kommen plötzlich sämtliche alten Verehrer, Ex-Freunde und Männer, die ihr irgendwann mal gedatet habt, wie Orks aus ihren Löchern, um euch mit sehnsüchtigen Nachrichten, Einladungen und Angeboten zu bombardieren. Deine Affäre von vor drei Jahren hat spontan seine Verlobte verlassen, weil er erkannt hat, dass doch DU die Richtige für ihn bist. Sogar Kai-Uwe aus der Buchhaltung schickt dir plötzlich Blumen! Und du denkst nur so: Hä? Weshalb erkennen diese Trottel erst jetzt, was für eine Granate ich bin?!“
Sabbel schmunzelt wissend. „Das ist der männliche Jagdinstinkt. Die Tatsache, dass du frisch in einer Beziehung bist, verleiht dir eine Art Gütesiegel. Als Single warst du bloß eine Option – aber die hat jetzt ein anderer. Das macht die Männer wahnsinnig, weil sie ihre Felle davonschwimmen sehen.“
„Aus demselben Grund flirten viele Frauen übrigens so gerne mit verheirateten Typen“, ergänzt Françoise. „Allein der Gedanke daran, dass diese Männer wegen ihnen für einen kurzen Moment zumindest gedanklich ihre Ehe aufs Spiel setzen, törnt sie an.“ „Das ist doch krank“, empöre ich mich. „Die Leute wollen immer bloß das, was schwer zu kriegen ist. Das ist so dumm.“
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Zufällig greifen wir alle gleichzeitig nach unseren Weinflaschen und gießen unsere Gläser noch mal randvoll. „Ich muss euch ein Geständnis machen“, murmelt Kaja und macht eine dramatische Pause. „Mein neuer Lover – es läuft richtig gut mit uns, wisst ihr ja. Aber im Bett, da hat der bisher noch nie einen richtigen Steifen bekommen. Könnt ihr euch das vorstellen? Ich gebe seit vier Monaten echt alles, aber sobald ich mit dem Kondom winke – zack! –, ist der Zauber vorbei.“
Mittdreißigerin über romantische Dates und Designerbabys
„Vielleicht sind das unbewusste Reaktionen auf neueste Fortschritte in der Wissenschaft. Mittlerweile ist es möglich, Kinder komplett im Labor zu zeugen“, erzähle ich. „2019 kam in China das erste ‚Designerbaby‘ zur Welt. Unsere Körper werden demnächst quasi überflüssig!“ Das behauptet zumindest der Bioethiker und Jurist Hank Greely von der Universität Stanford in Kalifornien. Bald würde es genügen, eine Hautprobe zu entnehmen und diese in eine Reproduktionsklinik zu senden, wo die enthaltenen Zellen zu Stammzellen umprogrammiert würden. Der fertige Embryo könne wahlweise von einer Leihmutter ausgetragen oder in einen künstlichen Uterus implantiert werden. „Ich glaube, ich nehme einfach das Baby aus dem Labor und gut ist es“, merkt Kaja an. Damit ist für heute alles gesagt.
„Moment noch, was ist eigentlich aus diesem Italiener geworden?“, schiebt Sabbel schnell hinterher. „Ihr hattet doch vor drei Wochen oder so ein richtig tolles, romantisches Date!“ „Ja, schon“, grummelt Kaja. „Aber seitdem hat er sich … irgendwie nicht mehr … gemeldet.“ Alle Frauen im Chor: „Uff.“
Das Buch „Ihr könnt mich mal… So nehmen wie ich bin – Mein ziemlich geiles Leben ohne Kind und Karriere“ von Bestsellerautorin Henriette Hell gibt es für 14,99 Euro beim Gräfe und Unzer Verlag und in diversen Buchhandlungen zu kaufen.