Herzlos-Behörde: Vater liegt im Koma – Sohn muss ausreisen
Wie herzlos kann man sein? Der Landkreis Pinneberg drängt einen 36-jährigen Türken zur Ausreise und droht mit Abschiebung. Und dass, obwohl dessen Vater seit November in Hamburg im Koma liegt. Sein Sohn ist die einzige Bezugsperson für ihn.
Uysal Ince arbeitet seit 20 Jahren in Deutschland als Bauarbeiter. Am 3. November 2020 geschah das Unglück: Der 61-Jährige war mit einem Kleinlaster seiner Baufirma auf der B1 zwischen Stapelfeld und Ahrensburg (Kreis Stormarn) unterwegs, als er von einem mit Bäumen beladenen Sattelschlepper gerammt wurde. Der Kleinlaster wurde bei dem Unfall zerquetscht. Uysal Ince wurde schwer verletzt und musste von den Ersthelfern reanimiert werden. Anschließend wurde er ins Unfallkrankenhaus Boberg gebracht, wo die Ärzte ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit Sauerstoffmangelschaden des Gehirns feststellten. Ince fiel ins Wachkoma. Ein Zustand, aus dem er bis heute nicht erwacht ist.
Das Touristenvisum ist abgelaufen. Keine Chance auf Verlängerung
Inces Sohn Mehmet reiste, so schnell er konnte, aus der Türkei nach Hamburg und eilte an die Seite seines Vaters, von der er seitdem nur zum Essen und Schlafen gewichen ist. Problem: Das Touristenvisum, mit dem der 36-Jährige eingereist ist, ist abgelaufen. Die Ausländerbehörde im Landkreis Pinneberg hat Mehmet Ince am 7. Juni einen Brief zugestellt, in dem er zur sofortigen Ausreise aufgefordert wird. Als Frist wird darin der 11. Juni festgelegt. Zitat: „Sofern Sie nicht fristgerecht ausreisen oder die Ausreise nicht wie vorgeschrieben nachweisen, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden. In diesem Fall werden Sie im Fahndungssystem zur Einreiseverweigerung und zur Festnahme ausgeschrieben.“
Mehmet Ince ist geschockt. „Meine Heimat ist die Türkei. Dort lebt meine Familie, meine zwei Kinder. Dort habe ich eine Firma. Es ist nicht mein Ziel, mich in Deutschland niederzulassen. Ich will doch nur bei meinem Vater sein!“
Besuche wichtig: Klinikum stellt Attest aus und bittet um Visums-Verlängerung
Das BG Klinikum in Boberg hat ein Ärztliches Attest ausgestellt, dass die Anwesenheit des Sohnes als wichtig für die Genesung des Vaters ausweist. „Eine noch monatelange Behandlung hier im BG Klinikum Hamburg und später in Behandlungspflege ist erforderlich. Besuche der nächsten Angehörigen können die Heilung fördern und sind daher aus neurologischer Sicht wünschenswert. Zudem müssen für den weiteren Verbleib des Patienten Vorkehrungen getroffen werden, was nur durch die nächsten Angehörigen erfolgen kann“, schreibt der zuständige Oberarzt am 11. Mai. Er bitte daher um die Verlängerung des Visums, so der Mediziner.
Bei der Ausländerbehörde im Landkreis Pinneberg stieß das BG Klinikum dabei auf taube Ohren. Auch ein ärztliches Attest, das Mehmet Ince für sich selbst vorlegte und das ihm Panikattacken und Angststörungen ob der schwierigen familiären Situation bescheinigt, lässt die Beamten offenbar kalt.
Behörde: „Fall befindet sich noch in der Klärung“
Gegenüber der MOPO gibt sich die Behörde versöhnlich. „Der Fall befindet sich noch in der Klärung. Es sind noch nicht alle Türen zu“, erklärte Sprecherin Silke Linne. Das Visum sei zwar nicht verlängerbar, es gebe aber noch andere Möglichkeiten, den Aufenthalt von Mehmet Ince zu legalisieren. Etwa, indem er eine Duldung beantragt oder eine befristete Aufenthaltsgenehmigung kurzfristiger Art. Dafür müsse Ince allerdings noch Unterlagen vorlegen, was er bisher nicht getan habe. Welche Unterlagen, das wollte die Sprecherin aus Datenschutzgründen nicht sagen.
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Der Journalist Adil Yigit, der Mehmet Ince unterstützt, ist sauer: „Das ist ein Ablenkungsmanöver! Die Behörde verlangt ein Attest, das belegt, dass sich der Vater in einem lebensbedrohlichen Zustand befindet. Das ist aber nicht der Fall. Uysal Ince liegt seit sechs Tagen in einem Pflegeheim in Wedel. Der Zustand ist nicht so kritisch, dass er morgen stirbt.“ Die Behörde habe nur die Wahl gelassen – Attest oder Flugticket.
Mehmet Ince: „Mein Vater soll nicht alleine bleiben“
Mehmet Ince sieht nur noch eine Lösung: Seine Ausreise so lange wie möglich hinauszuzögern. So lange, bis seine Mutter ihn bei der Betreuung ablösen kann. Dafür muss die Mutter allerdings erstmal aus der Kleinstadt Uşak nach Izmir reisen, um dort beim Konsulat ein Visum zu beantragen. Das kann dauern. Deshalb hat Ince am heutigen Donnerstag Widerspruch gegen die Ausreise-Aufforderung eingelegt. „Mein Vater soll nicht alleine bleiben.“