Diese Orte machen Hamburgs Radfahrern Angst
Hamburg soll Fahrradstadt werden, so hat es sich Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) auf die Fahne geschrieben. Die Ziele sind ehrgeizig: 30 Prozent der Wege sollen bis 2030 mit dem Fahrrad zurückgelegt werden und 100 Kilometer Radweg bald jährlich entstehen. Das sind hehre Vorhaben. Nur sicher fühlen sich viele Hamburger:innen bislang nicht, wenn sie mit dem Fahrrad unterwegs sind.
Die MOPO hatte zuletzt ihre Leser:innen um Hinweise auf besonders gefährliche Straßen für Radfahrer:innen gebeten. Die Rückmeldung ist erdrückend, knapp 100 Straßen kamen in nur wenigen Tagen zusammen. Unsichere Radwege finden sich demnach in allen Stadtteilen, von Altona über Steilshoop bis auf die Veddel.
Radfahrer berichten von Nahtoderfahrungen
In vielen Leserbriefen ist von „Nahtoderfahrungen“ mit dem Fahrrad die Rede. Andere Radfahrer:innen nutzen regelmäßig trotz Verbots abschnittweise Bürgersteige, weil sie es sich aus Sicherheitsgründen nicht zumuten wollen, auf der Straße zu fahren. Eine Leserin schreibt: „Ich frage mich immer am Ende, wie meine sechsjährige Tochter und ich es geschafft haben, zu überleben“, wenn sie den Lessingtunnel befahre.
Hamburg, das ergibt auch eine regelmäßige Umfrage des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), ist im Städtevergleich keine fahrradfreundliche Stadt. Lediglich Platz 7 von 14 springt für die Hansestadt bei den größten deutschen Städten heraus. Schulnote: 4. Besonders schlecht werden die Ampelschaltung, Falschparkerkontrolle auf Radwegen und Breite der (Rad)wege bewertet.
Das macht Radverkehr in Hamburg unsicher
Und auch das subjektive Sicherheitsgefühl ist gelinde gesprochen ausbaufähig. So setzte Hamburg zum Beispiel in den vergangenen Jahren verstärkt auf sogenannte Radfahrstreifen in Mittellage (RiM), auch Fahrradweichen genannt. Dabei handelt es sich um Fahrradspuren auf der Straße, die zwischen Autospuren hindurchführen. Mittlerweile gibt es eine dreistellige Zahl von ihnen in der Stadt. Radfahrer:innen müssen nicht selten inmitten von Autos, Bussen oder Lkw im Sandwich fahren und laufen Gefahr von rechtsabbiegenden Fahrzeugen abgeräumt zu werden. Die Abbieger müssen nämlich den Fahrradstreifen queren, schauen sie dabei nicht ordentlich hin, kommt es zu folgenschweren Zusammenstößen.
Besonders heikel ist dies zum Beispiel am Alsenplatz/Augustenburgerstraße. Ein Ort, den viele Leser:innen auch der MOPO nannten. Hier kreuzen sich Fahrräder mit Rechtsabbiegern und sich wieder einfädelnden Bussen. Jüngst kam es an einer Fahrradweiche zu einem tödlichen Unfall in der Habichtstraße. Ein Lkw hatte beim Rechtsabbiegen einen 47-jährigen Radfahrer überrollt. RiM sollen in Hamburg künftig nicht mehr geplant und die vorhandenen rot angemalt werden, heißt es aus der Verkehrsbehörde.
Polizei: Enges Überholen ist ein Problem
Ebenfalls immer wieder bemängelt wird, dass Autofahrer:innen häufig viel zu eng überholen würden. Vorgeschrieben sind eigentlich mindestens 1,5 Meter Abstand – das scheint eiligen Autofahrer:innen häufig jedoch egal zu sein. Auch die Polizei bestätigt: „Im Rahmen des täglichen Diensts stellen Polizisten wiederholt fest, dass Kraftfahrzeugführer den Seitenabstand nicht einhalten.“ Man führe deshalb regelmäßig Schwerpunktkontrollen durch.
Ein weiteres gefährliches Ärgernis: Autofahrer:innen, die Radfahrstreifen auf der Straße als erweiterte Parkzonen interpretieren. Das sorgt für gefährliche Ausweichmanöver und führt das Konzept Radweg auf der Straße ad absurdum.
Und dann sind da noch die Fahrradspuren, die zunächst auf der Straße eingezeichnet sind und dann plötzlich verschwinden. So zum Beispiel auf der Reeperbahn.
Das will die Politik ändern
Bei der Radfahrinfrastruktur sieht die Verkehrsbehörde um Senator Anjes Tjarks (Grüne) derzeit den größten Handlungsdruck. „Aktuell folgen auf Strecken mit guter Radinfrastruktur immer noch zu häufig Stellen mit nicht gut ausgebauter Radinfrastruktur. Das wollen wir natürlich ändern, unter anderem durch den weiteren Ausbau der Velorouten, aber auch weiteren Radwegen, besonders in wichtigen Verbindungsstücken“, so Sprecher Dennis Heinert zur MOPO.
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Auch, wenn es vielen, die tagtäglich mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren, zu langsam gehen mag. Man kann Senator Tjarks tatsächlich nicht vorwerfen, nichts für die Fahrradinfrastruktur zu tun. Die Verkehrspolitik der vergangenen Jahrzehnte lässt sich nun einmal nicht über Nacht ungeschehen machen. „Zumindest an wichtigen Radverkehrsstrecken ist es unser Ziel, Radverkehr und Autoverkehr perspektivisch getrennt voneinander zu führen“, sagt Heinert. Das Thema Sicherheit sei ein ganz wichtiges, vor allem die Trennung des Verkehrs. „Beispiele dafür sind die Hannoversche Straße, die Esplanade oder die Königsstraße, die 2022 umgebaut wird.“ Auch die Elbchaussee soll nach Kopenhagener Vorbild umgebaut werden.
ADFC nennt Sofortmaßnahmen
Wie schon kurzfristig die Sicherheitslage des Radverkehrs verbessert werden könnte, dazu hat Thomas Lütke vom ADFC Hamburg einige Ideen. So sollte ein „Überholverbot für Autos auf einstreifigen Fahrbahnen“ erlassen werden. Das Überholen von Fahrrädern solle außerdem grundsätzlich nur über einen zweiten Fahrstreifen erfolgen und man solle wie nun an der Kieler Straße geplant, wo möglich, ganze Straßenspuren zur Fahrradspur deklarieren.
So wie es jetzt ist darf und wird es auf jeden Fall nicht bleiben.
Sie fahren regelmäßig mit dem Fahrrad durch Hamburg und kennen Straßenabschnitte, die für Radler:innen besonders gefährlich sind? Die MOPO ruft ihre Leser:innen dazu auf, ihr solche Orte zuzuschicken. Schreiben Sie gerne an frederik.mittendorff@mopo.de