334 Jahre Hamburger Opernhaus: Aufstände, Proteste, Duelle – und wunderbare Arien
1678 spielt der Glaube in Hamburg noch eine große Rolle, und die Pastorenschaft hat sehr viel Einfluss. Als eine Gruppe kunstsinniger Bürger ein Opernhaus gründen will, da bricht er los: der Sturm der Empörung. Ein Teil von Hamburgs Pastoren – vor allem die von St. Jacobi und St. Nikolai, die dem Pietismus zuneigen – wettern von der Kanzel herab gegen die Pläne und verfassen Streitschrift um Streitschrift. Für sie ist klar: Schauspielerei ist, wie überhaupt jede Art von Müßiggang, Teufelswerk.
Die lutherisch-orthodoxen Pastoren – einige von ihnen spielen selbst Theater – ergreifen Partei für die Opern-Befürworter, schreiben ihrerseits Streitschriften und Pamphlete. Der Konflikt, der als „Hamburgischer Theaterstreit“ in die Geschichte eingeht, endet schließlich mit einem Kompromiss: Weder an Sonn- und Feiertagen noch an dem jeweiligen Tag davor darf gespielt werden. Außerdem ist es verboten, Anstößiges auf die Bühne zu bringen.
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Pastoren versuchen die Operngründung zu verhindern: „Schauspielerei ist Teufelswerk!“
Unter diesen Bedingungen kann es am 2. Januar 1678 eröffnet werden: das erste privatwirtschaftlich geführte Opernhaus Deutschlands. Es ist auch das erste Opernhaus im Land, das nicht von Fürsten zur Erbauung des eigenen Hofstaats gegründet wird, sondern von Bürgern für Bürger.
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Gespielt wird anfangs dreimal die Woche, und zwar in einem äußerlich unscheinbaren, im Innern dafür umso reicher ausgestatteten Fachwerkbau am Gänsemarkt, der Platz für 2000 Besucher bietet. 25 Meter tief ist die Bühne. Schnell zählt das Haus zu den führenden musikalischen Zentren in Europa.
Namhafte Künstler sind dort tätig: Georg Philipp Telemann (1681-1767) beispielsweise hat ab 1721 das Amt des Stadtmusikdirektors inne und komponiert zahlreiche Opern. Er ist es auch, der den damals 18-jährigen Georg Friedrich Händel (1685-1759), der in seiner Heimatstadt Halle als Organist von sich reden gemacht hat, nach Hamburg holt. Hier soll er als Geiger am Opernhaus anfangen.
Georg Friedrich Händel liefert sich ein Duell mit einem Konkurrenten
Natürlich ahnt Telemann nicht, was für ein Drama er durch diese Personalie auslöst: Alles beginnt damit, dass sich Händel mit Johann Mattheson (1681-1764) anfreundet, einem ebenfalls hochbegabten, vier Jahre älteren Musiker aus Hamburg. Aus Freundschaft wird Hass. Missgunst und Neid entzweien die beiden: Händel verkraftet es nicht, dass Mattheson das Orchester leitet, während er selbst nur die zweite Geige spielt.
Zum Showdown kommt es, als Matthesons Oper „Die unglückselige Cleopatra“ auf dem Spielplan steht. Mattheson hat bei den Aufführungen zwei Funktionen: Er ist Dirigent und singt außerdem den Part des Marc Anton. Solange Mattheson auf der Bühne steht, darf Händel die Orchesterleitung übernehmen. Sobald aber Marc Anton den Bühnentod gestorben ist, saust Mattheson nach unten und löst den „Ersatzmann“ wieder ab. Für Händel eine große Schmach.
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Am Abend der letzten Aufführung – es ist der 5. Dezember 1704 – will Händel es Mattheson mal so richtig zeigen und weigert sich, das Feld zu räumen. Vor versammeltem Publikum brüllen die Musiker einander an. Es setzt Ohrfeigen. Schließlich duellieren sich die beiden draußen auf dem Gänsemarkt – und das Volk schaut zu.
Händel hat Glück: Ein Metallknopf an seinem Rock rettet ihm das Leben
Händel hat Glück: Als Mattheson mit dem Degen zusticht, trifft er nicht Händels Herz, sondern erwischt einen großen metallenen Knopf an dessen Rock, woraufhin die Klinge schnalzend zerspringt. Ein paar Millimeter mehr rechts oder links, oben oder unten, und Händel hätte den Kampf nicht überlebt – der Nachwelt wären seine einzigartigen Oratorien und die herrliche Wassermusik vorenthalten geblieben.
Nach dem Kampf versöhnen sich die beiden zwar wieder, doch mit der Freundschaft ist es nicht mehr weit her. Mattheson stellt bald danach das Singen ein, konzentriert sich aufs Komponieren. Händel schreibt noch ein, zwei Opern, verlässt dann die Stadt, um in Italien Furore zu machen. Er wird der erste deutsche Musiker mit Weltruhm.
Mit Hamburgs Opernhaus geht es derweil bergab. Als es durch finanzielle Misswirtschaft und mangelndes Publikumsinteresse in seiner Existenz bedroht ist, sehen sich die Pietisten – sie waren ja immer schon gegen Schauspielerei – bestätigt, sodass das Haus 1738 als selbstständiges Unternehmen geschlossen wird. Bis zum endgültigen Abriss im Jahr 1763 dient es noch durchziehenden Komödiantentruppen als Spielort.
Lessing schreibt die „Hamburgische Dramaturgie“ und begründet das bürgerliche Trauerspiel
1765 gibt es – abermals auf dem Gänsemarkt – einen Neuanfang: Das „Ackermann’sche Comödiantenhaus“ wird eröffnet und bietet ein gemischtes Schauspiel- und Opernprogramm. Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) folgt dem Ruf nach Hamburg und verfasst mit der „Hamburgischen Dramaturgie“ das Programm des modernen Theaters. Unter seinem Einfluss wird das Haus in „Deutsches Nationaltheater“ umbenannt, gespielt werden Dramen von Schiller, Goethe und Shakespeare, außerdem Opern, die Lessing’schen Ansprüchen genügen: „Entführung aus dem Serail“, „Don Giovanni“, „Die Hochzeit des Figaro“ und „Die Zauberflöte“. Es folgen Rossinis „Barbier von Sevilla“, Beethovens „Fidelio“ und Webers „Freischütz“.
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1827 wird das „Stadttheater“ erbaut, das die Nazis in „Staatsoper“ umbenennen
1827 hat der alte Holzbau am Gänsemarkt ausgedient. Das neue „Stadttheater“ an der Dammtorstraße mit einem Fassungsvermögen von 2800 Sitzen eröffnet am 3. Mai 1827 mit Goethes „Egmont“. Immer wieder droht der Ruin, bis es Bernhard Pollini (1838-1897) – seit 1873 Direktor des Hauses – gelingt, die Stadt davon zu überzeugen, das Theater finanziell zu fördern.
Pollini ist sicherlich einer der herausragendsten Direktoren überhaupt. Er verpflichtet bedeutende Musiker. 1891 macht er Gustav Mahler (1860-1911), einen der bedeutendsten Komponisten der Spätromantik, zum Ersten Kapellmeister. Giacomo Puccini (1858-1924) und Peter Tschaikowsky (1840-1893) kommen und dirigieren ihre eigenen Werke.
1955: Mit der „Zauberflöte“ wird die neue Staatsoper eingeweiht
Nachdem die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernommen haben, wird das „Stadttheater“ 1934 in „Hamburgische Staatsoper“ umbenannt. Ein Bombenangriff in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1943 zerstört Teile des Gebäudes. Das Bühnenhaus dagegen bleibt weitgehend unversehrt. Es dient bei der Wiederaufnahme des Spielbetriebes ab 1946 als provisorischer Zuschauerraum.
Im bitterkalten Winter 1946/47 – dem härtesten seit Menschengedenken – droht die Bühnentechnik unwiederbringlich Schaden zu nehmen. SPD-Bürgermeister Max Brauer (1887-1973) sieht sich außerstande zu helfen. Es gibt in der Stadt einfach keine Kohle mehr. In dieser Situation kommen Schauspielhaus-Verwaltungsdirektor Otto Burrmeister und der Betriebsratsvorsitzende der Staatsoper, Karl Rosengart, auf die Idee, mit zwei holzgasbetriebenen Lkw ins Ruhrgebiet zu fahren und vor Ort um Hilfe zu bitten. Die Zeche König Ludwig in Recklinghausen erklärt sich bereit – unter Umgehung alliierter Kontrollen.
Der Volksmund frotzelt: Die Oper sehe aus wie ein Schwimmbad oder eine Keksfabrik
Als Dank für die Kohlelieferung veranstalten im Juni 1947 Schauspieler der drei Hamburger Staatsbühnen ein mehrtägiges Theater-Gastspiel vor Recklinghausener Bergarbeitern. Was als einmaliger Event gedacht ist, wird zur Institution: Die Ruhrfestspiele entstehen, bis heute eines der größten Theaterfestivals in Europa.
Die Ruine der alten Staatsoper wird Anfang der 50er Jahre abgerissen, gleichzeitig sammeln wohlhabende Hamburger Bürger – allen voran Mäzen Alfred C. Toepfer (1894-1993) – Geld für den Wiederaufbau. Tombolas werden veranstaltet, bei denen Autos, Fernseher und Motorräder als Preise winken. 7,4 Millionen Mark kostet der Neubau – am Ende steuert die Stiftung die Hälfte davon bei, den Rest zahlt die Stadt.
Plácido Domingo debütierte 1967 in Hamburg – und startet seine Weltkarriere
Die Einweihung am 15. Oktober 1955 ist das bis dahin größte gesellschaftliche Ereignis im Nachkriegs-Hamburg. Tausende von Schaulustigen finden sich am Stephansplatz ein, drängen sich hinter den Polizeiabsperrungen. Alle wollen einen Blick erhaschen auf die Prominenz: den Fürsten von Bismarck und seine Frau und Schauspielhaus-Intendant Gustaf Gründgens (1899-1963), der zur Feier des Tages sein Bundesverdienstkreuz angelegt hat.
Insgesamt 800 Nobelkarossen fahren vor, spucken Männer aus in Frack und Zylinder und Frauen in wallenden Kleidern. So viele Pelzstolen umschmeicheln die Hälse der Damen, dass wohl ganze Nerzfarmen dran glauben mussten. Ehrengast ist Bundespräsident Theodor Heuss (1884-1963), der im Foyer bei einer Zigarre ausplaudert, das sei nun schon das sechste Mal in seiner Amtszeit, dass ihm die „Zauberflöte“ vorgesetzt werde …
Aber es wird trotzdem ein schöner Abend: Rudolf Schock (1915-1986) als Tamino und Anneliese Rothenberger (1919-2010) als spritzig leichtfüßige Papagena stehen auf der Bühne. Rasender Applaus.
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1967 ist der Schah zu Besuch und die Studenten gehen auf die Barrikade
Sosehr wie das Stück begeistert, so sehr gehen die Meinungen über das Opern-Gebäude auseinander. „Schwimmbad“ oder „Keksfabrik“, so spottet der Volksmund. Die Fassade ist ziemlich schlicht, sachlich und zweckmäßig, ohne jeden Schnörkel. Auch innen ist alles anders, als es die Leute von klassischen Opernhäusern gewohnt sind. Kein goldenes Hufeisen mehr, vor allem kein Logen-Balkon für die Auserwählten. Es gibt Einheitslogen, die ein bisschen an Schubladen erinnern – dahinter steckt auch eine politische Aussage. Sozusagen demokratische Architektur.
Zwölf Jahre nach dieser feierlichen Einweihung bekommt die Staatsoper erneut hohen Besuch: der persische Schah Reza Pahlavi (1919-1980), der als Verbündeter im Westen hofiert wird, aber von den Studenten der Außerparlamentarischen Opposition (APO) als Unterdrücker seiner eigenen Bevölkerung verhasst ist. Und die Wut ist am 3. Juni 1967 besonders groß, denn tags zuvor hat beim Schah-Besuch in Berlin ein Polizist den Studenten Benno Ohnesorg erschossen.
Hamburgs Staatsoper gehört zu den renommiertesten Opernhäusern der Welt
Als das Kaiserpaar gegen 19 Uhr vor der Hamburgischen Staatsoper vorfährt, brüllen die Demonstranten: „Nieder mit dem Schah!“ Ein Ei zerspritzt an der Seitenscheibe des schwarzen Mercedes 600. Während Reza Pahlavi wenig später im ersten Rang der Oper neben SPD-Bürgermeister Herbert Weichmann (1896-1983) die Ovationen des Publikums entgegennimmt, gibt auf der Dammtorstraße der Polizei-Einsatzleiter das Kommando: „Pferde marsch!“ Drinnen schweben grazile Balletttänzerinnen in karierten Röcken zu den Klängen von Felix Mendelssohn-Bartholdys „Schottischer Sinfonie“ über die Bühne. Draußen sprengt die Reiterstaffel in die Menschenmenge. Schreiend flüchten Demonstranten Richtung Stephansplatz, von den Polizeireitern verfolgt, die mit ihren Pferden die Menschen vor sich hertreiben, an Häuserwände drücken, vom Sattel aus in den Rücken treten.
- dpa Die Rossini-Oper „Guillaume Tell“ in einer Inszenierung von Roger Vontobel feiert am 6. März 2016 Premiere
- MOPO Bildarchiv Gewagtes Opern-Experiment 1973: Urauführung von „Kyldex I“. Es gibt sogar Striptease.
- dpa 2007 wird die die Oper „Les Contes d'Hoffmann“ aufgeführt. Der italienische Operntenor Giuseppe Filianoti (l.) in der Rolle des Hoffmann und die georgische Mezzosopranistin Nino Surguladze (2.v.l) als Nicklausse.
- Arno Declair 1997: Aufführung der Oper „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von Helmut Lachenmann.
- hfr Dolores Ortiz tanzt 2002 die Carmen in der Hamburgischen Staatsoper.
- Corinna Smolka Flamenco, Tanztheater in zwei Akten. Ein Gastspiel des Balletts Teatro Espanol de Rafael Aguilar im Jahr 2002.
- Moenkebild „Dialogues des Carmélites“ von Francis Poulenc bei der Premiere am 26. Januar 2003.
- dpa Der Tänzer Alexandre Riabko in einer Szene des Ballettstücks „Sylvia“ ein Schild mit der Aufschrift „Rettet den Wald“. Eine Aufnahme aus dem Jahr 2009.
- dpa Die Tänzer Edvin Revazov als Der König" und Anna Laudere als "Prinzessin Odette" tanzen auf der Fotoprobe von "Illusionen-wie Schwanensee". Die Wiederaufnahme des 1976 uraufgeführten Balletts von J. Neumeier fand am 8. März 2018 an der Staatsoper Hamburg statt.
Umbrüche, Proteste, Duelle, Aufstände – für all das dient die Hamburgische Staatsoper in ihrer 344-jährigen Geschichte als Kulisse. Während es vor dem Gebäude manchmal drunter und drüber geht, gibt es im Innern in dieser langen Zeit stets musikalischen Hochgenuss. Wunderbare Arien, vorgetragen von den besten Künstlern der Welt.
Kent Nagano und Georges Delnon – die Doppelspitze ist ein Glücksfall für Hamburgs Kultur
Wer hat nicht alles auf dieser Bühne gestanden! Der berühmte Enrico Caruso (1873-1921). Oder Plácido Domingo – er debütiert hier 1967 als Cavaradossi in „Tosca“ und startet in Hamburg seine Weltkarriere. Außerdem: Montserrat Caballé, Luciano Pavarotti, Mirella Freni, Martha Mödl, Birgit Nilsson …
Heute ist die Hamburgische Staatsoper eines der renommiertesten Opernhäuser der Welt. Generalmusikdirektor Kent Nagano sowie Opern- und Orchesterintendant Georges Delnon haben dazu viel beigetragen. Die beiden bilden seit 2015 die Doppelspitze und sind ein Glücksfall für Hamburgs Kultur.