Hitler in Hamburg: Der Diktator ist zu Besuch – und was macht dieser Hamburger?
Es hat sehr viel Mut dazugehört, das steht fest. Hunderte Arbeiter und Angestellte heben brav die rechte Hand zum Hitler-Gruß – nur einer steht da mit verschränkten Armen. So, als wollte er sagen: „Lieber lass ich mir den Arm abhacken, als ihn für dich zu erheben.“
Es ist der 13. Juni 1936. Hitler ist zu Besuch auf der Werft Blohm+Voss. Anlass ist der Stapellauf eines neuen Segelschulschiffes. Auf den Namen „Horst Wessel“ wird es getauft – nach einem 1930 ermordeten SA-Sturmführer, den die NS-Propaganda zum Märtyrer stilisiert. Der Besuch Hitlers ist Pflichttermin für die gesamte Belegschaft. Ein Fotograf hält den Moment fest, als alle den Hitler-Gruß machen. Alle bis auf den einen.
Zwei Männer sehen dem Hitler-Gruß-Verweigerer ähnlich
Wer er war, das ist nicht geklärt. Es könnte ein gewisser August Landmesser gewesen sein. Oder ein Mann namens Wolfgang Wegert. Gleich zwei Hamburger Familien wollen in dem couragierten Mann ihren Vorfahren erkannt haben. August Landmesser war mit einer Jüdin verlobt und wurde wegen „Rassenschande“ ins Gefängnis geworfen. Er sieht dem Mann auf dem Foto zum Verwechseln ähnlich.
Eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Hitler-Gruß-Verweigerer hat aber auch Wegert. Für ihn spricht außerdem, dass er – anders als Landmesser – zur fraglichen Zeit nachweislich bei Blohm+Voss beschäftigt war, nämlich als Schlosser.
Wer von beiden es nun war (oder jemand ganz anderes), wird sich wohl nie mehr klären lassen. Aber ganz unabhängig von der Frage der Identität des mutigen Mannes ist das Foto ein einmaliges Zeitdokument. Ein Symbolbild für Zivilcourage und Widerstand genauso wie für Gleichschaltung und Mitläufertum. Das Foto zeigt, dass es möglich war, sich zu widersetzen. Es zeigt aber auch, dass dazu nur wenige bereit oder mutig genug waren. In Hamburg war das nicht anders als anderswo.
Hitler hat kaum eine Stadt häufiger besucht als Hamburg
Die Legende, Adolf Hitler habe die Stadt gemieden, weil sie ihm einerseits zu „rot“, andererseits zu „hanseatisch“ war – sie ist längst dort, wo sie hingehört: auf dem Misthaufen der Geschichte. Hamburg war keine liberale Insel im Meer der braunen Barbarei, auch wenn die Hamburger nach dem Krieg dieses Märchen gerne erzählten – um sich selbst zu entlasten. In Hamburg waren die Nazis nicht weniger verbrecherisch als anderswo. Wenn Hitler nach Hamburg kam, wehten die Hakenkreuz-Fahnen, die Straßen waren gesäumt von jubelnden Menschen. So wie anderswo auch.
Hitler hat Hamburg auch nicht gemieden, wie oft behauptet wird. Er war im Gegenteil sogar besonders oft da. Zwischen 1926 und 1939 war Hitler 39 Mal in Hamburg zu Gast. Der Historiker Harald Sandner, der sich die Mühe gemacht hat, jeden Schritt Hitlers zu rekonstruieren und darüber das Buch mit dem schwierigen Titel „Hitler – das Itinerar“ (Itinerar = protokallarische Zusammenstellung von Reisen bekannter Personen) geschrieben hat, kann es sogar noch genauer sagen: Demnach hielt sich der Diktator im genannten Zeitraum an 75 Tagen in der Hansestadt auf. Abgesehen von den Städten wie Berlin, Nürnberg und München, die im NS-System eine besondere Funktion hatten, gab es nicht viele, die er häufiger besuchte.
Rechte Hamburger Kaufleute verhalfen Hitler an die Macht
Das erste Mal am 26. Februar 1926. Hitler quartiert sich im „Hotel Phönix“ an der Kirchenallee 56 ein. Anlass für die Reise ist eine Einladung des Hamburger Nationalclubs von 1919 – einer rechtskonservativen Herrenrunde, der Reeder, Kaufleute, Bankiers und Offiziere angehören. Beim Treffen im „Hotel Atlantic“ am 28. Februar 1926 wird der Gast mit den Worten begrüßt: „Sein mannhaftes Eintreten für seine Überzeugung hat ihm in den weitesten Kreisen Achtung, Verehrung und Bewunderung eingetragen.“
In den darauffolgenden Jahren wird Hitler noch häufiger vorm Nationalclub reden. Eines der Vorstandsmitglieder, der Reeder und Kaufmann Carl Vincent Krogmann, pflegt freundschaftliche Beziehungen zum Nazi-Führer und stellt der NSDAP Kontakt her zu betuchten Wirtschaftskreisen. Krogmann wird dafür später mit dem Bürgermeisteramt belohnt.
Hitler ist jetzt laufend in der Stadt, tritt bei Wahlkundgebungen mal in „Sagebiels Fährhaus“ auf, einem Ausflugslokal in Blankenese, mal im „Circus Busch“ auf St. Pauli. Hamburg dient Hitler als Basis auch für den Wahlkampf in den umliegenden Gebieten. Gelegentlich besucht er die Stadt sogar privat, wie etwa vom 15. bis 23. Juli 1928, als er begleitet wird von seiner Halbschwester Angela Raubal, deren Tochter Geli und dem späteren Propagandaminister Joseph Goebbels. Das Quartett unternimmt in dieser Zeit unter anderem einen Ausflug nach Helgoland.
Es fiel den Nazis anfangs schwer, in Hamburg Fuß zu fassen
Anders als in vielen anderen Teilen des Reiches tut sich die NSDAP in Hamburg zunächst schwer. Bei der Bürgerschaftswahl 1927 kommt sie mal gerade auf 1,5 Prozent. Entsprechend dürftig sieht auch die Parteizentrale aus, die sich im hinteren Teil eines Zigarrengeschäfts an der Grindelallee befindet und die dem damaligen Gauleiter Josef Klant gehört. Zwei Karteikästen und eine Zigarrenkiste als Kasse – das ist am Anfang alles.
Dass die Begeisterung der Menschen für die NSDAP zunimmt, ist aber bald auch in Hamburg unübersehbar. Hat Hitler bei Wahlkampfauftritten in der Hansestadt 1927 noch rund 3000 Besucher angezogen, sind es 1930 schon 15 000. Beim Reichstagswahlkampf 1932 reichen keine Säle mehr. Hitler tritt in Hagenbecks Tierpark auf, auf dem Victoria-Sportplatz an der Hoheluftchaussee und in den Ausstellungshallen Altona. 120 000 Menschen hören ihm zu, als er im April 1932 auf der Radrennbahn Stellingen spricht.
Nicht mal ein Jahr später ist Hitler Reichskanzler.
Schulfrei für die Kinder, damit sie Hitler zujubeln
Nach der Machtübernahme lässt er sich Zeit mit seinem Antrittsbesuch in Hamburg: Am 17. August 1934 landet er mit einer „Tante Ju“ in Fuhlsbüttel, wo er mit militärischen Ehren empfangen wird. Auf dem Weg in die Innenstadt steht der Diktator die meiste Zeit in seinem offenen Wagen und nimmt die Huldigungen der Bürger entgegen. Dass sich besonders viele Kinder auf den Bürgersteigen aufhalten, hat einen Grund: Gauleiter Karl Kaufmann hat die Anweisung ausgegeben, dass alle Schüler in die Innenstadt kommen und die Straßen säumen sollen.
Hitler besucht das Schlachtschiff „Schleswig-Holstein“ und betont in seiner Ansprache vor Mitarbeitern von Blohm + Voss, er werde dafür sorgen, dass in Deutschland wieder jeder in Lohn und Brot kommt. Außerdem betont er, Deutschland wolle mit allen anderen Völkern in Frieden leben … Der Jubel ist groß. Die Leute ahnen nicht, dass fünf Jahre später ausgerechnet das Schlachtschiff „Schleswig-Holstein“ mit Schüssen auf die Westerplatte bei Danzig den Zweiten Weltkrieg auslösen wird.
Im Festsaal des Rathauses hält Hitler eine Rundfunkrede
Abends hält Hitler im Festsaal des Rathauses noch eine Rede, die von sämtlichen Rundfunksendern übertragen wird und in der er vom Volk ein „Vertrauensvotum“ fordert: Bei einer Volksabstimmung zwei Tage später soll möglichst jeder dafür stimmen, dass die Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers zusammengelegt werden. Nach dem Tod Hindenburgs will Hitler nun auch Staatsoberhaupt werden.
Auch in den darauffolgenden Jahren stehen meist Hamburgs Werften im Mittelpunkt von Hitlers Besuchen: Vom Stapellauf der „Horst Wessel“ 1936, als ein Mann den Arm unten ließ, war schon die Rede. Am Rande dieses Besuchs, und zwar bei einer Rundfahrt durch den Hafen, kommt Hitler der Gedanke, aus Hamburg eine „Führerstadt“ zu machen. Mit einer monströsen Hängebrücke über der Elbe, einem Wolkenkratzer mit Adler und Hakenkreuz auf der Spitze, einer gigantomanischen Hafenrandbebauung, riesigen Hallen und Aufmarschplätzen. Der Krieg verhindert dann die Umsetzung dieses Wahnsinns.
Vor allem zu Stapelläufen kommt Hitler nach Hamburg
Elf Monate nach der „Horst Wessel“ läuft 1937 das Kreuzfahrtschiffes „Wilhelm Gustloff“ vom Stapel – Hitler ist mit dabei und lässt sich diesmal vom Volk als „Schöpfer Groß-Hamburgs“ feiern. Durch das Groß-Hamburg-Gesetz sind ab April 1937 die bisherigen preußischen Nachbarstädte Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg Teil der Hansestadt geworden.
Schließlich lässt sich Hitler im Februar 1939 auch die Taufe des Schlachtschiffs „Bismarck“ nicht entgehen. Er könne dem Schiff keinen „besseren Namen geben als den Namen des Mannes“, so donnert er ins Mikrofon, „der als ein wahrer Ritter ohne Furcht und Tadel Schöpfer jenes Deutschen Reiches war, dessen Wiederauferstehung aus bitterster Not und dessen wunderbare Vergrößerung uns die Vorsehung nun gestattet“. Kurz darauf stürzt er die Welt in den Krieg.
Das „Atlantic“ war seit 1930 das Lieblingshotel Hitlers
Nach dem 1. September 1939 besucht Hitler Hamburg nicht mehr. Im Foyer des „Hotels Atlantic“ – seit 1930 Hitlers Lieblingsherberge in der Stadt – hängt noch bis Mai 1945 ein mannshohes Porträt des „Führers“. Erst als am 3. Mai 1945 britische Panzer über die Elbbrücken rollen, lässt es irgendwer auf Nimmerwiedersehen verschwinden.