„Hitler-Tagebücher“: Wie es zu diesem Skandal kommen konnte
Es schien die Sensation des Jahrhunderts zu sein. Endlich würde ganz Privates vom schlimmsten Verbrecher der Menschheitsgeschichte öffentlich werden: Adolf Hitler. Am 28. April 1983 begann der „Stern“ mit der Veröffentlichung der sogenannten „Hitler-Tagebücher“ – und blamierte sich bis auf die Knochen. Ein genialer Fälscher und ein sensationsgeiler Reporter sind die Hauptfiguren in dieser Affäre, die in der deutschen Mediengeschichte beispiellos ist. Der eine heißt Konrad Kujau. Der andere Gerd Heidemann.
Heidemann gilt als Starreporter des „Sterns“, hat aber einen ganz gehörigen Spleen: Er ist verrückt nach allem, was mit der NS-Zeit zu tun hat. Für viel Geld hat er sich sogar die „Carin II“ gekauft, die Motoryacht von Reichsmarschall Hermann Göring.
So traf Starreporter Heidemann auf Star-Fälscher Kujau
Weil Heidemann total verschuldet ist, bietet er den Kahn 1980 Fritz Stiefel zum Kauf an: Der Industrielle teilt Heidemanns Leidenschaft, hat eine riesige Militaria-Sammlung. Zwar will er Heidemanns Yacht nicht, aber bei dem Treffen hat er etwas dabei, was den Reporter elektrisiert: ein Tagebuch Hitlers. Heidemann glaubt an eine Sensation.
Stiefel hat die schwarze Kladde ein Jahr zuvor von einem Mann gekauft, der sich Konrad Fischer nennt. Nach dem Treffen mit Heidemann nimmt Stiefel wieder Kontakt zu Fischer auf, teilt ihm mit, dass der Journalist großes Interesse an den Tagebüchern habe. Doch Fischer erbittet zunächst Bedenkzeit.
Heidemann geht die Geschichte nicht mehr aus dem Kopf. Er erzählt in der „Stern“-Redaktion davon, erhält den Auftrag, weiter zu recherchieren. Er glaubt zu wissen, was in den letzten Kriegstagen mit den Tagebüchern passiert ist. Am 23. April 1945 soll ein Flugzeug mit wichtigen persönlichen Unterlagen des „Führers“ in Berlin gestartet, dann aber abgestürzt sein. Heidemann findet den Absturzort: Börnersdorf bei Dresden. Sogar die Gräber der Besatzungsmitglieder macht er ausfindig.
Der „Stern“ zahlt neun Millionen D-Mark für die Fälschungen
Im Januar 1981 ist Fischer bereit, sich mit Heidemann zu treffen. Fischer, bei dem es sich in Wahrheit um den Fälscher Konrad Kujau handelt, der wegen Urkundenfälschung vorbestraft ist, baut die Geschichte vom abgestürzten Flugzeug, die Heidemann ihm erzählt, geschickt in sein Lügenmärchen ein. Er behauptet, dass es weitere Bände gibt und dass sein Bruder, angeblich ein DDR-General, dabei helfen werde, sie in den Westen zu schmuggeln.
Ingesamt 62 Kladden liefert Kujau alias Fischer in den folgenden zwei Jahren. Niemand ahnt, dass er jede einzelne Zeile selbst verfasst. Als der „Stern“ einen Gutachter beauftragen will, um sicherzugehen, dass es sich um die Handschrift Hitlers handelt, fälscht Kujau auch die Schriftprobe. Kein Wunder, dass die Experten feststellen: Die Schriftprobe und die Tagebücher sind von derselben Person geschrieben. Der „Stern“ ist zufrieden, zahlt neun Millionen Mark. Bei Kujau kommt allerdings nur ein Teil an. Heidemann zweigt ein großes Sümmchen für sich ab.
Am 28. April 1983 titelt der Stern: „Hitlers Tagebücher entdeckt“. Chefredakteur Peter Koch schreibt im Editorial: „Die Geschichte des Dritten Reichs muss teilweise neu geschrieben werden.“ Doch nach Folge zwei fliegt der ganze Schwindel auf.
Weil der Kölner Historiker Andreas Hillgruber Zweifel an der Authentizität der Tagebücher äußert, lässt der Verlag Gruner + Jahr eine chemisch-physikalische Echtheitheitsprüfung durchführen. Das Gutachten des Bundeskriminalamts und der Bundesanstalt für Materialforschung liegt am 6. Mai vor: Für das Papier wurden Weißmacher verwendet, die erst seit 1950 verwendet werden. Die roten Siegelkordeln enthalten einen Farbstoff, der erst seit 1965 in Gebrauch ist. Die Hitler-Tagebücher sind also gefälscht.
Die „Stern“-Chefredaktion tritt geschlossen zurück. Heidemann wird gefeuert und später zu vier Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Kujau halten die Richter ein „erhebliches Mitverschulden“ von Verlag und Redaktion zugute. Er kommt mit viereinhalb Jahren Haft davon.
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