Junge Hamburgerin: Terrorisiert, deportiert und ermordet
Die Gebäude „arisiert“, die Bewohner deportiert und ermordet: In den Häusern Hoheluftchaussee 91 und 93 spielten sich vor 80 Jahren wahre Dramen ab. Die Gründerzeitbauten, in denen sie sich ereigneten, sind im Bombenhagel untergegangen. Heute stehen an selber Stelle schlichte Nachkriegsbauten. Ein trauriger Schauplatz deutscher Geschichte.
Gunter Demnig, ein Künstler aus Köln, verlegte vergangene Woche Stolpersteine auf dem Gehweg – damit die Schicksale dieser Menschen nie in Vergessenheit geraten: Bewohnerin Edith Jacobs wurde als 23-Jährige in Minsk ermordet. Die Spuren des Ehepaars Gertrud und Aron Feibel, das ebenfalls hier lebte, verlieren sich in Lettland.
Ehemalige und gegenwärtige Mitarbeiter der Bauer Media Group haben das Geld für die Stolpersteine aufgebracht. Sie fühlen sich stellvertretend für ihr Unternehmen dazu verpflichtet. Denn Alfred Bauer (1898-1984), der einstige Boss des Heinrich-Bauer-Verlags und Großvater der heutigen Verlegerin Yvonne Bauer, kam während der NS-Zeit auf wenig ruhmvolle Weise in den Besitz der beiden Häuser.
Menschen wurden terrorisiert, ausgebeutet und verjagt
Als in den 30er Jahren jüdische Mitbürger – drangsaliert von den Nazis – ihr Hab und Gut verkauften, um das Land so schnell wie möglich zu verlassen, da schlug Alfred Bauer, der selbst Mitglied der NSDAP war, zu und erwarb die Immobilien – zu Preisen weit unter Wert. Außer den Gebäuden Hoheluftchaussee 91 und 93 hat er sich auch noch weitere Häuser unter den Nagel gerissen.
In Hamburg wechselten während der NS-Diktatur Hunderte von Firmen und Tausende von Wohnungen und Häusern so den Besitzer. Die Nutznießer: meist Angehörige der Nazi-Elite, die sich die Filetstücke gegenseitig zuschanzten. „Arisierung“, so nannten die Nazis das.
Und was geschah mit den jüdischen Bewohnern der Häuser? Sie wurden ermordet.
Edith Jacobs: Die lebenslustige Frau wurde nur 23 Jahre alt
Edith Jacobs beispielsweise. Die lebenslustige und attraktive junge Frau stammte aus Gelsenkirchen, wo ihr Vater ein kleines Klempnergeschäft betrieb. 1939 zog Edith Jacobs nach Hamburg, wo sie als Haushaltshilfe und Kindermädchen bei der jüdischen Kaufmannsfamilie Löwenthal an der Haynstraße in Eppendorf anfing. Als allerdings die Löwenthals von den Nazis gezwungen wurden, ihre herrschaftliche Wohnung zu verlassen und in ein sogenanntes „Judenhaus“ zu ziehen, mietete sich Edith im Haus Hoheluftchaussee 93 ein Zimmer.
Nur ein Jahr hat sie dort gewohnt: Am 18. November 1941 deportierten die Nazis sie in das Ghetto im weißrussischen Minsk. Im Mai und im September 1943 wurden die aus Hamburg gekommenen Juden entweder erschossen oder in sogenannten Gaswagen erstickt. Welche Tötungsmethode bei Edith Jacobs zur Anwendung kam, ist unbekannt.
An Edith Jacobs erinnert heute in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ein Gedenkblatt – dafür hat ihre Schwester Hertha Rothschild gesorgt.
Die Spur des Ehepaars Feibel verliert sich in Lettland
Und das sind die anderen beiden Bewohner, für die Gunter Demnig einen Stolperstein verlegt hat: Aron und Gertrud Feibel. Sie lebten bereits seit 1933 in der Hoheluftchaussee 93. Er war 68 Jahre alt, sie 52, als sie am 6. Dezember 1941 ins lettische KZ Jungfernhof deportiert wurden. Der ehemalige Gutshof in der Nähe von Riga war für die Unterbringung von Tausenden Häftlingen nicht geeignet. Unbeschreiblich furchtbar die Lebensumstände.
Kann sein, dass das Hamburger Ehepaar an einer Krankheit starb, wie viele dort. Kann auch sein, dass sie im März 1942 zu den 1700 Menschen gehörten, die unter einem Vorwand in den Wald von Bikernieki transportiert und erschossen wurden. Ihr genaues Schicksal ist unbekannt.
Im Haus Hoheluftchaussee 93 war bis zu seiner Deportation auch noch Max Sommerfeld (Jahrgang 1909) wohnhaft. Der Kaufmann betrieb bis 1938 ein Geschäft für Wollwaren und Trikotagen. Während der Pogrome im November 1938 verhafteten ihn die Nazis, sperrten ihn zuerst ins Zuchthaus Fuhlsbüttel, später kam er ins KZ Sachsenhausen. 1939 wurde er zunächst entlassen, dann aber am 8. November 1941 gemeinsam mit vielen anderen Gefangenen in Viehwaggons gesperrt und nach Minsk deportiert.
Sein Leidensweg führte ihn noch durch etliche Nazi-Konzentrationslager. Aber er hatte unfassbares Glück: Am 5. Mai 1945 befreiten ihn die Amerikaner aus dem KZ Mauthausen in Österreich und er wanderte in die USA aus.
Nach dem Krieg klagte der Hauseigentümer auf Wiedergutmachung
Paul Dessauer, der ehemalige Hauseigentümer, hat die Nazi-Zeit übrigens auch überlebt. Nach dem Krieg klagte Dessauer gegen Alfred Bauer auf Wiedergutmachung. Er sei zum Verkauf gezwungen worden, so der Vorwurf. Der Kaufpreis habe 90.000 Mark betragen, also weniger als die Hälfte dessen, was das Geschäftshaus wert gewesen sei.
Selbst von dieser geringen Summe hat er übrigens so gut wie nichts bekommen: Die Nazis verlangten von ihm bei seiner Ausreise die Zahlung von „Reichsfluchtsteuer“ und eine sogenannte „Judenvermögensabgabe“. Ein typisches Beispiel dafür, wie Juden über erfundene schikanöse Gebühren ausgeplündert wurden.
Der Rechtsstreit zwischen Dessauer und Bauer endete Anfang der 50er Jahre mit einem Vergleich: Dessauer erhielt eine Entschädigung in Höhe von 54.000 Mark. Etwa zur selben Zeit dürfte es gewesen sein, dass Alfred Bauer die beiden im Krieg total zerstörten Häuser wieder aufbaute.
Alfred Bauer: Seine Familie rühmt seine Großzügigkeit und Bescheidenheit
Wer heute das Treppenhaus des Gebäudes mit der Nummer 91 betritt, wird erstaunt sein über eine gläserne Tafel an der Wand. Sie ist dem Alt-Verleger gewidmet: „in Dankbarkeit für seine Großzügigkeit bei persönlicher Bescheidenheit“, so heißt es da. Gezeichnet: Familie Heinrich Bauer.
Holger Artus von der Initiative „Kein Vergessen im Kontorhausviertel“ findet, dass dieses Schild „ein Schlag ins Gesicht der jüdischen Familien ist, denen diese Häuser geraubt wurden.“ Er fordert: „Das Schild muss weg.“
Artus sagt, er habe deshalb auch die Hausverwaltung Kluxen & Co. kontaktiert. Antwort erhielt er bislang nicht. Artus blieb hartnäckig, fragte nach, ob das Unternehmen vielleicht bereit sei, sich an den Kosten für die Stolpersteine zu beteiligen. Wieder keine Reaktion. Bis heute.