Spektakuläre Bilder und Video: Hamburgs Neuanfang und Wiederaufbau nach dem Krieg
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Am 3. Mai 1945 kapituliert Hamburg. Britische Panzer rollen in die Stadt – aber kein Schuss fällt. Für die Hansestadt ist der Krieg, ist das sinnlose Morden vorbei. Zum 75. Jahrestag präsentiert der bekannte Hamburger Filmarchivar und Filmemacher Konstantin von zur Mühlen 45 Minuten Filmmaterial, das Hamburg in der Zeit von 1945 bis zur Sturmflut 1962 zeigt. Das Besondere daran: Das Material ist größtenteils in Farbe – und hat, das ist einzigartig, HD-Bildqualität.
Der Film geht gleich sensationell los: mit Bildern, die das zerstörte Hamburg zeigen. Der Zuschauer ist mit dabei, wie der Kameramann mit seinem Jeep über die Elbbrücken Richtung Innenstadt fährt. Wir sehen Trümmerfelder, in sich zusammengefallene Häuser, ausgelöschte Stadtteile. Fotos von den schweren Bombenschäden hat zwar jeder schon gesehen. Dies aber nun in bewegten Bildern und in Farbe zu erleben, ist etwas ganz anderes.
Wiederaufbau in Hamburg: Spektakuläre Fotos und Video
Von 500.000 Wohnungen Hamburgs sind 1945 mehr als die Hälfte zerstört. 45 Millionen Kubikmeter Schutt – genug um damit einen Güterzug zu beladen, der einmal um die Erde reicht – gilt es wegzuräumen. Bei Kriegsende gibt es Schätzungen, dass es wohl gut und gerne 30, 40 Jahre dauern wird, bis Hamburg – immerhin die am schwersten zerstörte Stadt Deutschlands – wieder aufgebaut sein wird. Niemand hätte für möglich gehalten, dass die Stadt nach nur 15 Jahren wieder eine pulsierende Großstadt sein wird.
Aber zunächst einmal sind es harte Jahre für die Bevölkerung, die ständig hungert und friert und in Notbehausungen wohnt: Die einen in den sogenannten Nissenhütten, andere in den Kellern ausgebombter Häuser. Lebensmittel gibt es – und zwar streng rationiert – auf Karte. Doch das ist zu viel zum Sterben und zum Leben zu wenig. Der Schwarzmarkthandel blüht: auf dem Hansaplatz in St. Georg und in der Talstraße in St. Pauli gehen die illegalen Geschäfte über die Bühne – manchmal gestört von britischer Militärpolizei, die wegen ihrer roten Mützen „Rotkäppchen“ genannt werden und ziemlich rücksichtslos sind mit dem Schlagstock.
Seit August 1945 sind die Schulen wieder geöffnet: Die Kinder werden in Schichten unterrichtet – die einen vormittags, die anderen nachmittags. Denn es gibt zu wenige intakte Schulgebäude. Im Sommer ermöglichen die Behörden Kindern aus besonders schwer zerstörten Stadtteilen Schiffsausflüge auf der Elbe – damit sie mal rauskommen aus dem Elend. Es gibt kaum ein Kind damals, das nicht Hunger leidet – Gott sei Dank, gibt es die Schulspeisungen. Ohne wären viele wohl verhungert.
Konstantin von zur Mühlens Film nimmt den Zuschauer auch mit in Hagenbecks Tierpark der Nachkriegsjahre: Hunderte von Tieren sind in den Bombennächten ums Leben gekommen – aber die Gehege sind trotzdem gut gefüllt. Nashörner, Giraffen und Löwen gibt es zu bestaunen. Zwei Elefanten aus Hagenbeck haben noch einen Nebenjob: Sie machen sich bei den Aufräumungsarbeiten nützlich. In Eimsbüttel hieven sie tonnenschwere Trümmerteile weg, was sonst nur ein Bagger schaffen würde. 40 Kilo Heu, das ist die Schwerarbeiterzulage, die die Dickhäuter dafür bekommen.
Die alliierte Militärregierung jagt Nazi-Verbrecher. In nord-deutschen Konzentrationslagern, vor allem in Bergen-Belsen, sind sie bei der Befreiung auf die Spuren unvorstellbarer Verbrechen gestoßen: auf Verbrennungsöfen etwa, in denen die Leichen Ermordeter eingeäschert worden sind. Und auch auf Berge von Schuhen und Kleidung – die Hinterlassenschaft zigtausender Nazi-Opfer. Im Hamburger Curio-Haus beginnen 1946 die Prozesse gegen die Wachmannschaft der Konzentrationslager Neuengamme und Ravensbrück. Eine norwegische Zeugin, Ex-Gefangene von Ravensbrück, sagt vor Gericht aus, es sei die „Hölle auf Erden“ gewesen.
1948: Immer noch sind die Spuren des Krieges deutlich zu sehen. Hamburg hat schon seit zwei Jahren eine freigewählte Bürgerschaft. Max Brauer (SPD) ist Bürgermeister. Und seit der Währungsreform im Juni sind die Läden wieder gut gefüllt – auch wenn sich der Normalbürger die Waren kaum leisten kann. Ein Bauboom setzt ein. Zerstörte Stadtteile werden wieder aufgebaut. Westlich der Alster entstehen die Grindelhochhäuser – Wohnungen für Tausende Bürger.
Hamburgs Hafen liegt weiter brach, aber die Stadtväter geben die Hoffnung nicht auf, dass die Alliierten das Schiffbauverbot zurücknehmen werden und die Werften an ihre alte Bedeutung anknüpfen können. Unterdessen geht in den Geschäftsviertel der Innenstadt der Handel wieder los. Das Alltagsleben normalisiert sich. Sogar die Prostitution blüht. In der Herbertstraße verkaufen Frauen ihren Körper an britische Soldaten – Preis: ein paar Dutzend Zigaretten.
Zehn Jahre später: Deutschland ist jetzt Wirtschaftswunderland. Hamburg hat so viele Einwohner wie vor dem Zweiten Weltkrieg: 1,8 Millionen Menschen leben und arbeiten in der Stadt. Auch der Hafen hat seine alte Rolle als wichtigster Arbeitgeber der Stadt zurück. Die Werften sind ausgelastet. Tankschiffe sind gerade sehr gefragt.
Kulturell ist es eine Blütezeit: Als Intendant verleiht Gustaf Gründgens dem Schauspielhaus Weltruhm. Seit 1955 ist die im Krieg völlig zerstörte Staatsoper neu errichtet. Auch die weniger Anspruchsvollen kommen auf ihre Kosten: Auf der Reeperbahn machen Vergnügungssüchtige die Nacht zum Tag. Und sonntags früh gibt es wieder den Fischmarkt, der zu einem Anziehungspunkt nicht nur für Nachtschwärmer wird.
Das Hamburg des Jahres 1959 ist wieder eine wundervolle, sehenswerte Stadt: An der Alster füttern Passanten Schwäne, Planten un Blomen lädt zum Sonntagsspaziergang ein und die Pferdesportbegeisterten zieht es auf die Galopprennbahn nach Horn, wo sie – wie in Vorkriegszeiten – ihr Geld auf das vermeintlich schnellste Pferd setzen können. In den Ausschnitten, die Konstantin von zur Mühlen an dieser Stelle verwendet – sie stammen von der damaligen Tourismuszentrale – macht die Stadt einen geradezu paradiesischen Eindruck.
Und genau in dieses Idyll platzt 1962 die größte Katastrophe der Nachkriegszeit – die Sturmflut. Ein Sechstel des Stadtgebiets wird unter Wasser gesetzt, die Deiche brechen. Für Tausende Menschen geht es um Leben oder Tod. Das ist der Moment, in dem ein gewisser Helmut Schmidt zur Legende wird. Die Bürger damals sind dankbar dafür, wie der Polizeisenator und spätere Bundeskanzler die Krise managt. Sein Einsatz hat möglicherweise vielen Menschen das Leben gerettet.
TV-Tipp: „Als der Frieden in den Norden kam“, ein Film von Nina Adler und Konstantin von zur Mühlen, NDR, 29. April, 21 Uhr, Do, 30. April, 6.35 Uhr und Sa, 9. Mai, 12 Uhr.
Filmrestaurierung mit künstlicher Intelligenz: Konstantin von zur Mühlen besitzt das größte private Filmarchiv Deutschlands
Das Filmmaterial, das Konstantin von zur Mühlen verwendet, ist 60, 70 Jahre alt – sieht aber so scharf und makellos aus, als wäre es eben erst gedreht. Was das Geheimnis dahinter ist? Von zur Mühlen, Inhaber von Kronos Media, verrät es uns: „Filmrestaurierung! Die wurde bisher manuell aufwendig mit unterschiedlichsten Programmen gemacht. Aber das wird jetzt anders.“
Der Cloud-basierte Filmwiederherstellungsservice „Recuro Media“ macht es mit „künstlicher Intelligenz“ möglich, schnell und kostengünstig verblichenes, zerkratztes Material in erstklassige Filme zu verwandeln. Kratzer und Bildrauschen werden entfernt, die Farben aufgefrischt und Verwacklungen und Flackern reduziert. Das System kann außerdem die Abspielgeschwindigkeit anpassen, Hintergrundrauschen reduzieren und die Sprachverständlichkeit erhöhen. Für all das würden Filmrestauratoren lange benötigen. „Das Programm erledigt es in Windeseile – und besser“, so Konstantin von zur Mühlen. „Das System wird von Profis genutzt und wird bald auch Privatnutzern zur Verfügung stehen.“
Der 49-jährige Hamburger besitzt das größte zeitgeschichtliche Filmarchiv Deutschlands. In den vergangenen Jahren hat er immer wieder tolles Filmmaterial zur Geschichte Hamburgs ausgegraben und daraus spannende Dokumentationen gemacht. Konstantin von zur Mühlen sagt von sich selbst, er habe Film und Geschichte „im Blut“. Seit den 90er Jahren produziert, gestaltet und vertreibt er zeitgeschichtliche Filme.
Macht Ihnen das alles Lust auf noch mehr bewegte Bilder aus Hamburgs Vergangenheit? Dann interessiert Sie vielleicht auch die DVD-Sammlung „Spirit of Hamburg“ mit 180 Minuten größtenteils unbekanntem Filmmaterial aus der Zeit von 1842 bis 1965. „Spirit of Hamburg“ ist im MOPO-Shop (www.mopo-shop.de) für 24,95 Euro zzgl. Versandkosten erhältlich.