Hunderte Beweismittel vernichtet: Hamburg: Schwerverbrecher kommen ohne Strafe davon
Diese Frau wurde 1983 in Bramfeld ermordet. Beweismittel sind vernichtet worden.
Foto: Bildarchiv Morgenpost Verlag
Es geht um Messer, Schusswaffen, aber auch um einen Bademantel, Flaschen und Seile: Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat vor gut 20 Jahren in ihrer Asservatenkammer gründlich aufgeräumt und Hunderte Beweismittel vernichtet. Und das rächt sich jetzt bitter.
Die Hamburger „Cold Cases“-Einheit der Kripo rollt nämlich Dutzende alter Mordfälle neu auf. Dank modernster DNA-Technik können Täter heute viel leichter überführt werden als vor 30 oder 40 Jahren. Doch dafür braucht man „Spurenträger“ – und ebendiese wurden damals entsorgt.
Mord-Prozesse behindert: Hunderte Beweismittel vernichtet
Irgendwann Ende der 90er Jahre erging die „Aufräum-Order“ der Staatsanwaltschaft. Alle Staatsanwälte wurden aufgefordert, ihre Fälle daraufhin zu überprüfen, ob in der Asservatenkammer verwahrte Gegenstände für die Verfahren noch benötigt werden.
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Die Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft befindet sich im Keller des Strafjustizgebäudes am Sievekingplatz. Über die Jahre war es dort eng geworden.
In den Regalen stapelten sich Tausende Gegenstände, von der Maschinenpistole bis zur Zahnbürste. Statt weitere Räume zu nutzen, begann die fatale Aufräumaktion.
Aufräum-Aktion ohne Einbeziehung der Mordkomission
Damals wurden Kapitalverbrechen wie Tötungsdelikte noch nicht von spezialisierten Staatsanwälten bearbeitet. Die Fälle wurden nach Buchstaben der Verdächtigen willkürlich an Staatsanwälte vergeben. Diese hatten dann aber ohne jede Erfahrung mit Morden zu entscheiden, was entsorgt werden konnte.
Außerdem gibt es erst seit 1998 beim BKA eine zentrale DNA-Datei. Die Technik steckte damals noch in den Kinderschuhen. Viele Juristen erkannten ihre Bedeutung für die Überführung von Straftätern noch nicht.
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Noch schlimmer: Die Aufräum-Aktion fand ohne Einbeziehung der Mordkommission statt. Die Kripoleute raufen sich heute darüber die Haare und befürchten, dass viele alte Fälle deswegen nie mehr aufgeklärt werden können. Schon 2012 ist deswegen ein Prozess geplatzt. Es ging um den Mord an einer jungen Frau 1983.
Bei der Tat war ein Bademantel sichergestellt worden, den das Opfer getragen hatte. Und daran war damals das Haar eines Verdächtigen gefunden worden. Auch eine Gardinenkordel, die bei dem Mord eine Rolle gespielt hatte, war von der Staatsanwaltschaft entsorgt worden. Der Angeklagte wurde freigesprochen.
Messerattacken-Prozess: Verdächtiger freigesprochen
Aktuell geht es auch um den Aufsehen erregenden Prozess um eine fast tödliche Messerattacke auf ein 16-jähriges Mädchen 1980 in Steilshoop.
2018 war ein Verdächtiger von Steven Baack, dem damaligen Leiter der „Cold Cases“-Einheit, vor Gericht gebracht worden. Baack war dabei jedoch zu ehrgeizig vorgegangen. Wegen seiner Vernehmungs- und Ermittlungsmethoden hatte ihn die Richterin harsch kritisiert. Sie sprach den Angeklagten frei.
Auch in diesem Fall hätte es vielleicht nicht so weit kommen müssen, wenn nicht die Tatwaffe, ein großes Messer, noch 2001 vernichtet worden wäre. Das Beweismittel-Problem gibt es bundesweit: 2019 wurde in Bremen ein Mann freigesprochen, weil nach einem Mord 1984 die Tatwaffe, eine Kornflasche, vernichtet worden war.