• Angelique Mundt ist seit zehn Jahren Teil des Kriseninterventionsteams des DRK Hamburg-Harburg.
  • Foto: Florian Quandt

Im Katastrophenfall zur Stelle: Hamburgs Retterin der Seelen

Ein Mann wird am Straßenrand von einem Auto erfasst und in den Graben geschleudert. Der Täter flieht, das Opfer stirbt. Seine Frau steht unbeachtet mitten im Chaos der Rettungsarbeiten. Bis ihr jemand die Hand reicht: Wir sind jetzt nur für Sie da! Angelique Mundt ist Teil des Kriseninterventionsteams Hamburg (KIT), ein stiller Helfer in der Not mit erster Hilfe für die Seele.

Seit zehn Jahren arbeitet die Psychologin ehrenamtlich für das Kriseninterventionsteam Hamburg vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) Kreisverband Hamburg-Harburg. Das KIT kümmert sich um Angehörige von Opfern oder Augenzeugen, die mit einem plötzlichen Unfall konfrontiert sind. Sie kennt die Schattenseiten der Stadt und kann Geschichten erzählen, die wir niemals selbst erleben wollen.

Feuerwehrleute und Sanitäter stehen in Reinbek an der Unfallstelle.

Feuerwehrleute und Sanitäter stehen in Reinbek an der Unfallstelle, an der ein Fußgänger angefahren und tödlich verletzt worden war. Das Seelsorge-Team kümmert sich um die Ehefrau.

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dpa

Wie sagt man einem Kind, dass seine Mutter gestorben ist?

Mit einer gelb-blauen Jacke, die an die Kleidung von Sanitätern erinnert, betrat Angélique Mundt vor einigen Jahren einen Kindergarten. Die Geschwister, ein vierjähriges Mädchen und ein zweijähriger Junge, saßen alleine zwischen den Spielsachen. Einige Stunden zuvor hatte ihr Vater die Mutter erstochen. Mundt setzt sich zu ihnen, nimmt den Jungen auf den Arm: „Eure Mama wurde schwer verletzt und ist im Krankenhaus gestorben.“

Die Vierjährige hört zu, schaut weg und spielt erst einmal weiter. „Sie hat irgendwann Fragen gestellt. Kluge Fragen! Wo wird sie schlafen? Wer feiert mit ihr Geburtstag? Wo sind ihre Geschenke?“ Die Mutter tot, der Vater in Haft, Verwandte gab es nicht. Angélique Mundt bleibt so lange, bis alles geklärt ist, auch wenn das 24 Stunden dauert. Hier wurden die Kinder dem Jugendamt übergeben, damit endete der Einsatz für diese Schicht.

Jeder kann Teil des Kriseninterventionsteams Hamburg werden – nach harter Ausbildung

Mundts Arbeit ist ehrenamtlich. Jeder kann Teil des KIT-Teams sein, aber einfach ist der Weg dahin nicht: Zuerst müssen 180 Stunden Theorie gepaukt werden, danach begleiten die Anwärter für ein Jahr einen erfahrenen KIT-Mitarbeiter. Auch ein Besuch in der Rechtsmedizin gehört zur Ausbildung. Erträgt man den Anblick eines Toten überhaupt? „Ich musste auch erst einmal raus finden, ob ich das kann“, sagt Mundt. Ein Bereitschaftsdienst dauert 24 Stunden, jederzeit kann die Ruhe durch den speziellen Klingelton unterbrochen werden, den Mundt auf ihrem Telefon für KIT-Einsätze eingerichtet hat. 

2011 war sie bei dem schweren Verkehrsunfall in Eppendorf vor Ort, bei dem der Sozialwissenschaftler Günter Amendt, der Schauspieler Dietmar Mues und dessen Ehefrau Sibylle starben. Der Unfallort glich einem Trümmerfeld. Verletzte Menschen wurden versorgt, Tote wurden mit Laken abgedeckt. In der Menge der Schaulustigen entdeckte Mundt eine Frau, blass und am Zittern.

In einer Schock-Starre wissen viele nicht mehr, was sie getan haben

Mundt sprach sie an: Die zitternde Frau erklärte, dass sie Ärztin sei und schauen wollte, ob hier ein Unfall passiert war. Es stellte sich heraus, dass sie zuvor eines der Opfer reanimiert hatte. Nach dem Eintreffen der Rettungskräfte war sie unter Schock erst einmal nach Hause gegangen. Irgendwann begann ihr Gehirn wieder zu arbeiten und sie erinnerte sich dumpf an den Unfall. „Die habe ich natürlich sofort aus der Menge herausgeholt und zur Seite genommen“, sagt Mundt.

Die Psychologin Angelique Mundt ist steht zur Seite, wenn es sonst kein anderer tut.

Die Psychologin Angelique Mundt ist steht zur Seite, wenn es sonst kein anderer tut.

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Leimig; Sun

Verzweifeltes Schreien, Weinen, Zusammenbrechen. Kühl bleiben, das Schlimme nicht wahrhaben wollen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. „All diese Reaktionen sind normal. Es gibt kein richtig oder falsch“, sagt Mundt. „Meine Sorge gilt den Überlebenden“, sagt sie. Auch sie selbst lässt ihre Gefühle zu. „Ich darf weinen, aber nicht verzweifelt schluchzen.“ Ein Balanceakt zwischen Nähe und Distanz.

„Der Unfall im Haushalt ist manchmal der unglaubwürdigste“

Wenn der spezielle Klingelton ihres Handys ertönt, muss Mundt sich immer wieder auf neue Situationen einstellen. „Der Unfall im Haushalt ist manchmal der unfassbarste“, sagt Mundt. Die Mutter räumt die Geschirrspülmaschine aus, hat den Besteckkorb in der Hand, das Kind rennt um die Ecke, fällt und landet direkt auf dem Korb. Die Messer standen nach oben. „So kann man doch gar nicht sterben und dann passiert es doch!“

Warum macht jemand eine solch schwere Arbeit freiwillig? Mundt sagt, sie habe mit der Arbeit beim KIT begonnen, um dafür zu sorgen, dass Menschen, die schlimmes Leid erfahren mussten, später vielleicht keine Therapie benötigen. Sie leistet Soforthilfe, wo die Not am größten ist. Doch auch Mundt muss die Eindrücke verarbeiten: Sie spricht mit Kollegen vom KIT über die Einsätze. Auch mit ihrem Ehemann kann sie sich austauschen, als Wasserschutzpolizist hat er ähnliche Erfahrungen gemacht.

Die Arbeit beim Kriseninterventionsteam in Hamburg hat sie verändert

Diese Arbeit verändert: „Ich setze andere Prioritäten, denn ich habe schmerzhaft gelernt, wie schnell das Leben wieder vorbei sein kann“, sagt Mundt. Sie tut Dinge, die sie erfüllen, auch wenn das nicht immer die Dinge seien, die andere von ihr erwarten würden. Neben ihrem Leben als Retterin der Seelen verarbeitet sie ihre Gefühle beim Schreiben, lenkt die Gedanken in die richtigen Bahnen.

„Wenn wir kommen, ist die Katastrophe in Gang“, sagt Mundt. Doch genau in diesen Momenten würden Menschen ungeahnte Kräfte entwickeln. „Ich habe wundervolle Sätze gehört, die jemand in höchster Not gesprochen hat“, sagt Mundt. „Gesten gesehen, die so menschlich waren, dass es mich zu Tränen gerührt hat.“

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