Immer mehr Läden machen dicht: Standpunkt: „Die City stirbt — zum Glück!“
In Hamburgs Innenstadt ist die Lage angespannt. Karstadt und Kaufhof schließen Warenhäuser, die Passanten bleiben aufgrund der Corona-Pandemie aus. Mit der Umgestaltung des Jungfernstiegs soll die Attraktivität erhöht werden. Viel zu wenig, findet Gast-Autor Witali Späth (36). Der Stadtplaner aus Hamburg lebt und arbeitet in Zürich. Monokulturelle Citys langweilen ihn, er fordert ein radikaleres Umdenken bei der Gestaltung der Innenstädte.
Kommst du mit in die Stadt? Mit „Stadt“ meinen wir eigentlich das Zentrum mit seinem großen Waren- und Erlebnisangebot, welches in den Wohnquartieren zu fehlen scheint. Die Trennung hat sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts herausgebildet – stadträumlich und in unseren Köpfen.
Hamburger City: eine „Monokultur“
Für die Hamburger Innenstadt gilt das besonders, denn hier findet man fast ausschließlich Geschäfts- und Bürohäuser neben einigen etablierten Kultureinrichtungen vor. Eine „Monokultur“, die sich in den letzten Monaten rächte, denn als Geschäfte und Theater schließen mussten und die Büroarbeit fortan von zu Hause stattfand, blieb der Innenstadt – nichts.
Ja, schon vor Corona starb die City täglich nach Büro- und Ladenschluss aus. Doch die Pandemie zeigte zusätzlich auf, was zu erwarten ist, wenn es auch tagsüber keinen Grund mehr gibt, „in die Stadt“ zu gehen. Das durch den Onlinehandel schon länger andauernde Ladensterben wird dadurch verstärkt, dass im Lockdown selbst Onlinemuffel bleibende Erfahrungen machen konnten (oder mussten).
Die Entdeckung des Homeoffice wird die City verändern
Zu diesem sowieso schon schweren Stand des Einzelhandels kommt in der City ein weiterer Faktor hinzu: die Heimarbeit. Dass die gesamte Arbeitswelt auf einen Schlag und zur selben Zeit Erfahrungen mit Formen der digitalen (Zusammen-)Arbeit von zu Hause aus machen konnte, wird die Büroarbeit und damit auch die Regeln unseres Alltags gewaltig verschieben. Auch Geschäftsreisen dürften mit dem Digitalisierungsschub und bleibenden Reiseeinschränkungen dauerhaft abnehmen. Womit wir beim nächsten „Opfer“ wären: Da auch der zuletzt ausgeuferte Städtetourismus in dieser Form nicht mehr zu erwarten ist und die Städte dadurch wieder vor allem ihren Bewohnerinnen und Bewohnern gehören, werden auch Hotels eine saftige Korrektur erleben.
Krise der Innenstadt als reinigendes Gewitter
Das alles ist aus Umsatz- und Beschäftigungsperspektive zwar äußerst problematisch und fordert unsere von Konsum und Wirtschaftswachstum abhängige Gesellschaft mächtig heraus. Im Hinblick auf vielfältige, einzigartige und stärker ortsbezogene Nutzungen erscheint mir die Krise jedoch eher wie ein reinigendes Gewitter: Eine Stadt mit weniger Ladenketten, Büroflächen, Billighotels und Pendlerströmen klingt für mich nicht nach Krise, sondern sehr verlockend!
Wohnquartier und Stadtzentrum
Die Pandemie führt uns in vielerlei Hinsicht vor Augen, in welche Richtung nun zu denken ist: Wir sollten uns verabschieden von der plumpen Unterscheidung von ruhigem Wohnquartier und geschäftigem Stadtzentrum, zwischen denen morgens und abends gependelt wird. Stattdessen sollten wir die vielfältigen Lebensweisen der heutigen Stadtgesellschaft anerkennen und die Chancen sehen, die im gegenwärtigen Umbruch lauern. Eine auf die Wohnbevölkerung ausgerichtete Stadt darf und sollte eine andere sein. Sie wird lokaler und durchmischter sein, mit weniger motorisiertem Verkehr – auch im Zentrum.
Was an der Krise der City positiv ist
Positiv ist auch, dass die vom Büromarkt ausgehende Mietenkorrektur einen besseren Nutzungsmix erlaubt. Baulich wird man den Gebäuden weniger anerkennen können, ob es sich um Büros, Geschäfte, Ateliers, Coworking-Space, urbane Fabrik oder um Wohnungen handelt. Mit Quersubventionierungen lassen sich außerdem auch in den Erdgeschossen verschieden umsatzstarke Angebote nebeneinander ermöglichen.
Städtische oder gemeinnützige Gesellschaften setzen Impulse, indem sie einige oder auch alle Gewerbeflächen einer Straße anmieten und zu günstigen Konditionen gezielt an für den Ort geeignete Nutzungen und Ladenkonzepte vermieten, wie dies zum Beispiel in der Seestadt Aspern in Wien oder mit der „Semaest“ in Paris schon seit Jahren geschieht.
Innenstädte: Das hat uns das Virus gelehrt
Für derartige Ansätze braucht es jedoch politische Unterstützung und die Überzeugung, dass lebendige Stadträume eine Gemeinschaftsaufgabe sind. Und noch etwas hat uns das Virus beschert: dass wir den Außenraum wieder wertschätzen als Ort der Begegnung, des Aufenthalts und der Erholung, wofür vor allem das Mikroklima stimmen muss. Lärm und Abgase werden es in unseren Straßen daher zunehmend schwer haben – zum Glück!