In der HafenCity: Hamburgs Sinti sind geschockt über diesen Mieter
HafenCity –
Im geplanten Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof in der HafenCity soll den während des Dritten Reichs Deportierten aus Hamburg und Norddeutschland gedacht werden. Künftiger Mieter der darüberliegenden Räumlichkeiten wird die Wintershall Dea. Dabei hat das Unternehmen eine zwielichtige Rolle vor und während des Zweiten Weltkriegs gespielt.
Der Landesverein der Sinti in Hamburg e.V. ist entsetzt über den neuen Mieter in der HafenCity. Dass die Wintershall Dea GmbH „genau an diesem Ort einzieht, zeugt von einer unglaublichen Unsensibiltät gegenüber den Opfern des Nazi-Regimes“, erklärt eine Sprecherin im Gespräch mit der MOPO.
Das Unternehmen soll ab 2022 die Büroräume über dem Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof nutzen. Auf dem Gelände des ehemaligen Bahnhofs soll an alle aus Hamburg und Norddeutschland deportierten Juden, Sinti und Roma erinnert werden. Zwischen 1940 und 1945 wurden circa 8000 Menschen über diesen Bahnhof zwangsverschickt. Die meisten Opfer wurden in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht und ermordet.
Hamburger Sinti schockiert: NS-Profiteur zieht über Gedenkstätte ein
In der HafenCity wird nun ein Ort geschaffen, an dem an jeden einzelnen Menschen namentlich erinnert werden soll. „Niemand soll vergessen werden“, so der Landesverein der Sinti. Die Fertigstellung des Dokumentationszentrums, das eine Fläche von circa 800 Quadratmetern haben wird, ist für 2023 geplant. Darauf werden Ausstellungs- und Veranstaltungsräume mit visuellem Bezug zum Gedenkort errichtet.
Vergangenheit als Pflicht für die Gegenwart
Michael Sasse, Unternehmenssprecher der Wintershall Dea, sieht in der Nachbarschaft vor allem eine Chance. Er betont, dass das Dokumentationszentrum nicht nur ein Ort des Gedenkens, sondern auch ein Ort des Lernens werden soll. Man wolle durch gemeinsame Veranstaltungen und Kooperationen die Verantwortung von Unternehmen in den Fokus nehmen, sagt er der MOPO.
Der Vorstandsvorstandsvorsitzende Mario Mehren hebt hervor, dass man sich der Vergangenheit „bewusst und transparent“ stelle. Aus dem Vergangenen resultiere eine Pflicht für die Gegenwart. Das Unternehmen setze sich seit Jahren bewusst für mehr Respekt und Toleranz und für ein friedliches Miteinander ein.
Tiefbraune Vergangenheit der Wintershall
Die Wintershall GmbH ist ein weltweit aktives Öl- und Gasunternehmen, das im Mai 2019 mit der Deutsche Erdöl AG (Dea) fusionierte. Die ehemalige Wintershall wurde 1894 in Kamen gegründet. Vom Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war August Rosterg der Generaldirektor.
Forschungsergebnisse namhafter Historiker wie Manfred Grieger zeigen: Die Führung der Wintershall war eng mit der NSDAP verstrickt und unterstützte deren Aufstieg mit finanziellen Mitteln. Das Unternehmen profitierte maßgeblich von der Kriegsindustrie der Nationalsozialisten und beschäftigte tausende Zwangsarbeiter aus dem KZ Buchenwald in einem seiner Werke.
Auch die Dea war eng mit den Nationalsozialisten verbandelt und profitierte von ihnen. Das Unternehmen bezog millionenschwere Zuschüsse zur Erdölförderung und ließ Häftlingskommandos für sich arbeiten.
Hamburger Kulturbehörde fühlt sich übergangen
Über den geplanten Einzug über das Dokumentationszentrum zeigt sich selbst die Hamburger Kulturbehörde irritiert. Bauherr Harm Müller-Spreer habe ohne Rücksprache mit der Behörde oder den Opferverbänden die Wintershall Dea als künftigen Mieter ausgesucht. So sagt der Sprecher der Kulturbehörde zur MOPO, dass es „gut gewesen wäre“, wenn die Behörde und die Opferverbände in die Entscheidung des Bauherrn mit eingebunden worden wären. Zumal diese seit 15 Jahren „die Planungen zum Dokumentationszentrum denk.mal Hannoverscher Bahnhof sehr eng mit den Opferverbänden“ vorantreiben.
Bauherr hat Konflikt nicht kommen sehen
In den Vertrag zwischen der Kulturbehörde und dem Privatinvestor wurde extra eine Klausel aufgenommen, die Unstimmigkeiten verhindern sollte. Demnach ist der Bauherr dazu verpflichtet, die Räumlichkeiten so zu nutzen, dass der Gebrauch nicht im Konflikt zu dem Zweck der Gedenkstätte steht. Dabei sollen die Interessen von den Opfern des Nazi-Regimes und deren Verbänden berücksichtigt werden.
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Laut Müller-Spreer sah man bei Vertragsschluss einen solchen Konflikt nicht. Das Unternehmen sei beispielhaft für den Umgang mit seiner nationalsozialistischen Historie, erklärt er im Gespräch mit der MOPO.
Die Wintershall Dea engagiere sich seit Jahren politisch und setze sich mit der Initiative „Offen für Vielfalt“ gegen Ausgrenzung ein. Die Ergebnisse der Aufarbeitung hat die Wintershall Dea 2019 in der Konferenz „Wintershall im Nationalsozialismus“ bekanntgegeben und zusätzlich ein Buch unter dem Namen „Expansion um jeden Preis“ veröffentlicht.
Ein Unternehmen solle nicht nur an der Vergangenheit, sondern vor allem an seinem heutigen Handeln gemessen werden, so Müller-Spreer. Die Wintershall Dea sei sich ihrer historischen Verantwortung bewusst. Vor allem dürfe man nicht vergessen, dass die Wintershall Dea „heute ein anderes Unternehmen als damals“ sei. Laut dem Vorstandsvorsitzenden Mario Mehren brauche die Gesellschaft das politische Engagement von Unternehmen – gerade in Zeiten von Hass und Extremismus.
Landesverband der Sinti: „Dialog kommt für uns nicht in Frage!“
Dieses Engagement reicht dem Landesverband der Sinti jedoch nicht aus. Nach Angaben des Vorsitzenden sei die veröffentlichte Studie gerade kein Ausweis für eine gute Nachbarschaft. Es gehe um den Respekt, der einer solchen Gedenkstätte gebührt.
Ein Unternehmen, das in solch einem Maß von einem Unrechtsregime profitiert hat, solle an diesem Ort nicht einziehen dürfen. So beklagt eine Sprecherin des Verbandes: „Die Bundesrepublik ist so groß, warum muss die Wintershall ausgerechnet hier ihre Büros haben?“. Für einen Diskurs und eine Zusammenarbeit mit der Wintershall Dea sei man erst bereit, wenn die letzten Überlebenden und Nachkommen der ersten Generation verstorben sind.