In diesem Supermarkt geht es um den Menschen – nicht um Profite
Ein Supermarkt, der seinen Kunden gehört. Der ohne Profite arbeitet. In dem alle mit anpacken und es keine Chefs gibt. Ein Laden, in dem alles regional und bio ist und trotzdem günstig. Das klingt nach Utopie. Nach 1970er-Jahre-Kooperative. Doch die Idee kommt aus New York und gewinnt mit ihrer Abkehr vom kapitalistischen Wachstumsprinzip immer mehr Nachahmer in Europa. Jetzt soll auch in Hamburg so ein Supermarkt entstehen, der anders ist als alles bisher da gewesene – der WirMarkt.
Barbara Knoben steht auf einer Baustelle in der Neuen Mitte Altona. Hier könnte der Lebensmittelladen entstehen, von dem sie träumt, seit sie ihren gut bezahlten Job als Unternehmensberaterin für die Chemie- und Pharmaindustrie an den Nagel gehängt hat. Jahrelang war Knoben eine knallharte Businessfrau und Jetsetterin. „Ich bin drei Mal die Woche geflogen. Die Weihnachtsfeier fand auf Mallorca statt. Irgendwann kamen mir Zweifel an diesem Lebensstil. Ich wollte etwas Soziales machen“, erzählt die 34-Jährige.
Hamburg: Im WirMarkt kann jeder Mitglied werden
Dieses Soziale – das wird der WirMarkt. Ein Bio-Markt, der besser ist als alle die anderen, die zwar auf Nachhaltigkeit setzen und das Tierwohl respektieren, die aber wieder große Ketten geworden sind und den marktüblichen Wettbewerbsdruck nur über höhere Preise ausgleichen können. So ist Bio in der Regel immer noch etwas für Besserverdienende. Der WirMarkt will sich davon lösen. Und das funktioniert so: Im WirMarkt ist nicht der Kunde, sondern das Mitglied König. Jeder, der mitmachen will, hat zwei Optionen: Entweder er zahlt einen solidarischen Beitrag, der am Einkommen bemessen wird und 1,5 Prozent vom Netto ausmacht. Oder er arbeitet pro Monat drei Stunden ehrenamtlich im Laden – an der Kasse, beim Regale einräumen oder (unverpackte) Ware abfüllen. Dafür bekommen die Mitglieder auf alles einen Rabatt von 20 Prozent. Nur für die Hauptschichten soll es Festangestellte geben.
„Jeder der mitmacht, ist Teil einer Gemeinschaft. So entsteht ein Wir-Gefühl“, sagt Barbara Knoben. Das sei wichtig, gerade in Zeiten, in denen viele denken, dass man als Einzelner ohnehin nichts tun kann für den Klimaschutz und dass die Politik die Dinge regeln muss. Knoben ist überzeugt: „Das ist eben nicht so: Man kann sowohl als Unternehmer die Verantwortung übernehmen als auch als Konsument!“
Neues Wirtschaftsmodell: Gemeinwohl statt Wachstum und Profite
Der WirMarkt will kein Wachstum. Er ist eine Genossenschaft und bleibt bewusst klein. Er verzichtet auf ein Überangebot aus verschiedenen Marken pro Produkt, hat aber dennoch ein Vollsortiment in den Regalen. Alle Preise sind transparent.
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Für ihr Projekt orientieren Barbara Knoben und ihre Mitstreiter Fabian Gebert und Kristina Sönnichsen sich an dem alternativen Wirtschaftsmodell der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Die 2010 gegründete Reform-Bewegung ist davon überzeugt, dass das marktwirtschaftliche Gewinn- und Profitsystem die Wurzel allen Übels ist. Das grenzenlose Wachstumsstreben führe zu immer billigeren Produktionsweisen, die zu Lasten von Mensch und Umwelt gehen. Die GWÖ kehrt das Prinzip daher um: Im Zentrum ökonomischen Handelns steht nach dieser Idee das Gemeinwohl. Unternehmen, die eine GWÖ-Zertifizierung tragen, wurden auf die Realisierung von vier Werten hin geprüft: Menschenwürde, sozialen Gerechtigkeit, ökologischen Nachhaltigkeit und Transparenz. In Hamburg gilt das zum Beispiel für den Klopapier-Hersteller Goldeimer, für den Tofu-Hersteller Tofu Nagel, den Messebauer Siebold, den Finanz- und Versicherungsmakler framtid, das Veranstaltungszentrum Markthalle und Naturkost Nord. Der WirMarkt könnte schon bald dazu gehören.
- Patrick Sun Die Tofu-Königin: Andrea Nagel mit ihrem Sohn Johannes.
Überall in Europa sprießen Mitmach-Supermärkte aus dem Boden
„Die Vision ist, dass Gemeinwohl-orientierte Unternehmen irgendwann Steuervergünstigungen bekommen, so dass Profitorientierung zum Nachteil wird“, sagt Barbara Knoben hoffnungsvoll. Hier müsse die Politik aktiv werden. Dass das alles keine Träumerei ist, zeigen die anderen Beispiele partizipativer Supermärkte wie „Park Slope“ in New York oder „La Louve“ in Paris, die tausende von Mitgliedern haben und sich seit Jahren selbst tragen. In Berlin hat erst vor vier Wochen der „Supercoop“ im Wedding eröffnet. In Wien entsteht gerade „Mila“, der Mitmach-Laden.
Ob es mit der Fläche in Altona klappt, steht noch nicht fest. Auch mit einem Vermieter in Barmbek gibt es bereits Gespräche. Ziel ist es, in möglichst vielen Stadtteilen Hamburgs einen WirMarkt zu eröffnen. Anfang 2022 soll es soweit sein. Knoben: „Es ist schwierig, Flächen zu einem fairen Mietpreis zu bekommen. Wir brauchen Vermieter, die unserer Idee wohlgesonnen sind.“