• Vor der „Ansons“-Filiale an der Mönckebergstraße schläft die Gruppe.
  • Foto: Schimkus

In klirrender Kälte: So war meine Nacht bei den Obdachlosen

In Hamburg herrscht klirrende Kälte, in den kommenden Nächten soll das Thermometer auf bis zu minus elf Grad sinken. Und doch müssen zahlreiche Obdachlose in der Stadt die Nächte im Freien verbringen. Wie sich das anfühlt, erlebte MOPO-Reporter Kristian Meyer vor drei Jahren mit, als er sich für eine Nacht zu Udo, Alexander und Markus gesellte. Die drei Obdachlosen ließen den MOPO-Reporter „bei sich“ übernachten. Sein Erlebnisbericht von damals:

Im Halbschlaf merke ich, dass sich eine dunkle Gestalt über unseren Schlafplatz beugt, offenbar auf der Suche nach Wertsachen. „Verpiss dich!“, ruft Markus aus der anderen Ecke unseres kleinen Reiches und greift nach dem Knüppel, den er zwischen Liegestatt und Rollstuhl platziert hat. Die Gestalt gehorcht. Ich will eine Nacht ansatzweise miterleben, was es heißt, als Obdachloser „Platte“ zu machen. Und hier sind wir: In der bisher kältesten Woche des Winters.

Hamburg: Eine Nacht mit Obdachlosen in der Kälte

Einige Tage vorher waren Udo (54) und Markus (32) schon einmal von der MOPO befragt worden: Wie halten Obdachlose die Eiseskälte aus? Meine Bedenken, dass sie es komisch finden könnten, wenn ich bei ihnen übernachten will, sind unbegründet: „Selbstverständlich! Du bekommst von mir einen nagelneuen Schlafsack geliehen und eine Isomatte“, sagt Udo. „Was willst du essen, trinken? Damit wir für dich mitplanen können. Du bist unser Gast,“ so Alexander (47), Spitzname BA, nach der Figur aus der TV-Serie „A-Team“.

Das Wichtigste auf der Straße? „Zusammenhalt!“, sagt BA. „Allerdings haben sich die Zeiten sehr geändert, heute gibt es viel mehr Idioten da draußen.“

Knapp zwölf Stunden verbringen wir miteinander. Die ganze Zeit ist klar: Heute gehöre ich zur Truppe. Das heißt: Alles wird geteilt, Essen, trinken, Rauchwaren, sogar die erbettelte „Beute“.

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Vor der „Ansons“-Filiale an der Mönckebergstraße schläft die Gruppe.

Foto:

Schimkus

Die drei Männer haben einige biografische Parallelen, vielleicht haben sie sich deshalb vergangenes Jahr zusammengetan. BA und Markus sind beide im Heim aufgewachsen, die Eltern sind früh gestorben. Beide hat es dann auf die Straße verschlagen, BA vor fast 30 Jahren, Markus vor 13. Der 32-Jährige ist vor knapp zwei Jahren an der S-Bahn-Haltestelle Sternschanze die Treppe hinuntergestürzt. Seitdem: 29 Operationen, vorübergehend Rollstuhl. BA, der Kopf der Truppe, nahm ihn unter seine Fittiche.

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„Heute Nacht halten wir die Hand über dich“, beteuert Udo. „Bei uns passiert dir nix.“ Meine erste Lektion: wo ich meine Schuhe, meine Jacke, mein Portemonnaie hinpacken soll, damit niemand mir die Sachen klauen kann. Und (sehr beruhigend…), welche Körperhaltung noch am gesündesten ist, wenn mich jemand zusammentritt. Der Spitzname von Markus’ Knüppel: „Die Hausordnung“.

Um zu erahnen, dass das alles keine Panikmache ist, muss man nur Udo ins Gesicht sehen: Die etwas schiefe Nase hat er sich in Frankreich zugezogen: „Ich wurde zusammengeschlagen.“ BA und Udo sind dennoch Fans des Nachbarlandes. Immer wieder lebten sie unabhängig voneinander in Paris, Straßburg, Marseille.

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Udo (v.l.), Alexander „BA“, Kristian und Markus.

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Schimkus

„Einfach in den nächsten Zug nach Süden steigen zu können – das ist für mich Freiheit“, schwärmt BA. Wird er ohne Fahrkarte rausgeschmissen, nimmt er eben den nächsten. Überhaupt sei er wie ein Tier, das sich eingesperrt fühle, sobald es vier Wände um sich hat. Keine Lust auf Käfige! Zu Udo sagt er aber: „Du musst dir langsam eine Wohnung suchen. Du bist einfach zu alt, Markus ist eigentlich zu jung. Ich aber bin dafür geboren, auf der Straße zu leben.“

Keine Angst, irgendwann auf der Straße zu sterben? „Doch, mit 50 sollte eigentlich Schluss sein.“ Drei Jahre hätte er dann noch. Dass das Leben auf der Straße ungesund ist, spüre ich trotz der kurzen Zeit.

Kälte in Hamburg: Im knirschenden Schnee hört man jeden Schritt

Das Thermometer zeigt minus acht Grad. Es ist bitterkalt. Aber: Ich bin gut ausgerüstet, meine Gastgeber haben den besten Platz der Platte für mich reserviert: Kein Windzug, ein zusätzlicher Schlafsack – nach der ersten Akklimatisierung wird es regelrecht muckelig. Allerdings: Jedes Jahr sterben Menschen auf der Straße. „Die Nässe ist dein Feind“, sagt Udo. An unserem Platz bleibt es trocken.

Dennoch schlafe ich die ganze Nacht kaum. Der Grund: Alle paar Minuten startet ein Nachtbus direkt an der Haltestelle vor uns. Außerdem sind nachts auf der Mö erstaunlich viele Menschen unterwegs. Die verhalten sich mal mehr, mal weniger respektvoll uns gegenüber. Einmal steht ein Mann plötzlich neben mir, erzählt mir, dass er seine Jacke im Taxi vergessen habe. Dann verabschiedet er sich ins Hotel. Ich wünsche ihm Glück und drehe mich wieder um. Nach den Warnungen meiner neuen Freunde schläft es sich eher unruhig. Im knirschenden Schnee hört man jeden Schritt.

Eine Nacht mit Obdachlosen auf der Straße in Hamburg

Immer wenn ich aufschrecke, ist Udo zur Stelle, beruhigt: „Alles gut, ich passe auf.“ So wie BA seit vergangenem Jahr auf ihn. Vorher hat er mit anderen Leuten „Platte gemacht“, mit wohl schlechten Erfahrungen.

Die drei hingegen sind ein eingespieltes Team. In seinem früheren Leben war Udo im Straßentiefbau tätig, hatte eine Wohnung, eine Freundin. Dann wechselte seine Firma den Besitzer, er sollte gekündigt werden, ging vors Arbeitsgericht und verlor. Die Folge: Schulden, Verlust der Wohnung, ein Leben auf der Straße.

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Der MOPO-Reporter und Alexander „BA“ auf dem Weg zur Übernachtung. In dem großen Beutel ist ein dicker Zweitschlafsack.

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Sein Wunsch: Er hätte gerne wieder ein Dach über dem Kopf, vielleicht erst mal im Jakob-Junker-Haus der Heilsarmee (Groß Borstel). Seine Kumpels würde er dann weiter besuchen. „Selbstverständlich!“ Markus hofft vor allem, dass er irgendwann wieder laufen kann. Und BA fiebert dem nächsten Trip nach Frankreich entgegen.

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Ich für meinen Teil wünsche mir am Morgen erst mal eine heiße Dusche. Und bin beeindruckt, wie diese feinen Kerle gemeinsam ihr Leben meistern. Jungs, ich drücke euch alle Daumen für eure Wünsche. Danke, dass ihr so tolle Gastgeber wart! 

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