Ist der Lockdown sinnvoll?: Das sagen Experten und Betroffene zu den Corona-Maßnahmen
Die Corona-Infektionszahlen steigen rasant an – nun haben Bund und Länder die Notbremse gezogen: Ab kommendem Montag, 2. November, gibt es einen teilweisen Lockdown. Doch was die Schließung von Gastronomie, Kulturstätten und Sportvereinen bringt, ist umstritten – auch in Hamburg.
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut auf St. Pauli findet den beschlossenen Teil-Lockdown im November in mancher Hinsicht überzogen.
Er und einige seiner Kollegen seien nicht gegen alle Maßnahmen, „aber bei bestimmten Maßnahmen stellt sich einfach die Frage der Verhältnismäßigkeit und ob sie auch zielgerichtet sind und das bezwecken, was wir eigentlich erreichen wollen – also eine Stabilisierung der Lage“, sagte er am Mittwochabend in den ARD-„Tagesthemen“.
Hamburger Virologe Schmidt-Chanasit: „Elphi-Schließung nicht zielführend“
So sei beispielsweise die Schließung der Elbphilharmonie, deren Hygienekonzept er gut kenne, nicht zielführend. „Es ist aus virologischer Sicht nahezu unvorstellbar, dass dort massenhaft Infektionen aufgetreten sind. Insofern stellt sich hier die Frage der Verhältnismäßigkeit, ob man so eine Einrichtung wirklich schließen sollte, wo eben Infektionen mit aller Wahrscheinlichkeit nicht aufgetreten sind.“
Das könnte Sie auch interessieren:Alles zur Corona-Entwicklung in Hamburg und im Norden im Ticker
Anderer Meinung ist Schmidt-Chanasits Mediziner-Kollege Stefan Kluge vom UKE. Der Leiter der Intensivmedizin schätzt die starke Zunahme der Corona-Infektionen als „absolut besorgniserregend“ ein und fordert mit Blick auf die neuen Kontaktbeschränkungen: „Wir müssen diesen Trend stoppen, die Politik muss handeln. Uns bleibt keine andere Wahl.“
Kluge warnt vor einer Überlastung der Krankenhäuser und Intensivstationen. In Berlin, Bayern und Nordrhein-Westfalen seien einige Kliniken schon mit vielen Covid-19-Patienten belegt, andere Erkrankte würden bereits verdrängt. Eine Reihe von Krankenhausmitarbeitern habe sich infiziert.
Hamburger Fußballverband gegen Sport-Verbot
Der Präsident des Hamburger Fußballverbandes, Dirk Fischer, hält das vorübergehende Aus für den Amateursport für falsch. Es sei „schwer vermittelbar, dass Kinder und Jugendliche in der Schule zusammensitzen und dann draußen an frischer Luft keinen Sport zusammen treiben dürfen.“
Auch der Amateursport werde seinen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten müssen. Der Sport auf dem Platz sei aber „nicht Treiber der Infektionen“.
Corona-Lockdown: Der Gastro-Branche droht eine Pleitewelle
Die Folgen des neuen Lockdowns im November für die Gastro-Branche sind derzeit nur zu erahnen – und diese Ahnungen sind düster: Die Hamburger Wirtschaftsauskunftei Crif Bürgel warnt vor einer Pleitewelle in der Gastronomie im Norden. Stand Ende Oktober seien allein in Hamburg mehr als 15 Prozent der Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés insolvenzgefährdet, heißt es in einer Analyse vom heutigen Donnerstag. Das sei im Vergleich zu der Zeit vor Corona eine Zunahme um etwa 71,1 Prozent.
Das könnte Sie auch interessieren: Gastronomen unter Schock: Das sagen Henssler, Mälzer und Co.
Knapp 14 Prozent der untersuchten Gastronomiebetriebe sind der Analyse zufolge Ende Oktober in Schleswig-Holstein von einer Insolvenz bedroht. Das ist demnach ein Anstieg von 47,5 Prozent im Vergleich zum Februar – bevor Gastronomen das erste Mal wegen des Virus schließen mussten.
Hamburger Wirtschafts-Experten erwarten deutschlandweit 18.000 Firmenpleiten wegen Corona
Auch außerhalb der Gastronomie rechnet Crif Bürgel in den kommenden Monaten mit einem sprunghaften Anstieg der Firmenpleiten in Deutschland. Denn die coronabedingte Sonderregelung für zahlungsunfähige Unternehmen ist Ende September ausgelaufen, seit dem 1.10. gilt in solchen Fällen wieder eine Pflicht zum Insolvenzantrag.
Die Insolvenzwelle werde „noch weit ins Jahr 2021 hineinreichen“, prognostiziert die Wirtschaftsauskunftei. Für das Gesamtjahr 2020 rechnet Crif Bürgel mit bis zu 18.000 Firmenpleiten in Deutschland. Besonders gefährdet seien neben der Gastronomie auch Unternehmen aus den Branchen Touristik (zum Beispiel Reisebüros), Entertainment (zum Beispiel Kinos) sowie Messebauer.