Kann man sich etwa zweimal anstecken?: Das Rätsel um die Corona-Immunität
In der Corona-Pandemie hoffen viele Menschen auf Immunität – nach überstandener Infektion oder durch einen bald verfügbaren Impfstoff. Doch jetzt deuten viele Studien darauf hin, dass Menschen, die erkrankt waren und dabei nur wenige oder gar keine Symptome hatten, schon bald nach einer Infektion keine Antikörper mehr im Blut haben. Könnten sie sich also gleich wieder anstecken?
Bisher ist noch unklar, was das für eine mögliche Immunität bedeutet. Doch die Beobachtungen wecken Zweifel an der Aussagekraft von Antikörper-Tests und an den derzeit diskutierten Immunitäts-Pässen. Auch für die Entwicklung eines Impfstoffs wäre ein möglichst genaues Verständnis der sogenannten Immunantwort auf Corona-Virus zentral.
Corona: Immunantwort ist unterschiedlich
Die Immunantwort scheint bei Menschen uneinheitlich auszufallen. Grundsätzlich kann das Immunsystem etwa mit sogenannten T-Zellen auf Krankheitserreger reagieren. Manche T-Zellen aktivieren B-Zellen, die dann Antikörper bilden. Antikörper binden sich an bestimmte Merkmale von Erregern und können diese so inaktivieren.
Auf den ersten Blick scheint das Vorhandensein spezieller Antikörper ein guter Hinweis auf eine frühere Infektion zu sein. Allerdings fand eine Untersuchung des Universitätsspitals Zürich bei Menschen mit milden oder asymptomatischen Verläufen keine sogenannten IgG-Antikörper im Blut.
Lesen Sie auch: Corona-Lockerungen Das Ringen um das richtige Maß – wo liegt das überhaupt?
Diese sind wichtig für das Immungedächtnis – damit das Immunsystem bei erneutem Kontakt mit dem Erreger stärker und schneller reagiert. Die Studie ist bislang nur ein Preprint – ist also weder von Experten begutachtet noch in einem Fachjournal publiziert.
Teilweise keine Antikörper nach einer Infektion gefunden
Eine weitere als Preprint veröffentlichte Untersuchung des Lübecker Gesundheitsamts fand bei 30 Prozent von 110 Corona-Infizierten mit ebenfalls höchstens mäßigen Covid-19-Symptomen keine Antikörper. Und im Fachblatt „Nature Medicine“ berichten Forscher aus China, dass bei Infizierten ohne Symptome die Antikörper-Konzentration im Blut bereits nach kurzer Zeit deutlich sank.
Solche Studien lassen die Aussagekraft von Antikörper-Massentests, die das Ausmaß der Corona-Infektionswelle in der Bevölkerung klären sollen, fragwürdig erscheinen. Zudem könnte eine durch Antikörper gegebene Immunität bei vielen Sars-CoV-2-Infizierten schon nach kurzer Zeit wegfallen.
Entsprechend skeptisch sieht Thomas Jacobs vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) die Einführung von Immunitätspässen für Menschen, die eine Infektion mit Sars-CoV-2 hinter sich haben.
Lesen Sie auch: Hamburger Virologe erklärt Wo eine Maskenpflicht jetzt noch Sinn ergibt
Wissenschaftlich ist ohnehin nicht gesichert, dass die Präsenz von Antikörpern automatisch vor einer erneuten Infektion schützt. „Wir wissen generell noch nicht genau, wie Antikörper schützen“, stellt der Immunologe fest. Studien würden zwar einen solchen Schutz nahelegen, „aber wie hoch beispielsweise der Antikörper-Spiegel dafür sein muss, bleibt unklar“.
Immunschutz muss an der Realität gemessen werden
Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), betont, man müsse bei Antikörpern differenzieren: „Es gibt bei Antikörpern verschiedene Qualitäten, und nicht alle verhindern eine Infektion.“ Wichtig sei hier, harte Daten zu finden: „Ob ein Immunschutz entsteht, muss an der Realität gemessen werden.“
Ebenso wenig überraschen Jacobs die Studienresultate, laut denen gerade bei asymptomatischen Erkrankungen schnell wenige oder gar keine Antikörper mehr auffindbar sind: „Wenige Viren im Hals- und Rachenbereich genügen wahrscheinlich nicht, um eine große Antikörper-Antwort oder T-Zellen-Immunität auszulösen.“
Für das Immunsystem habe diese angepasste Reaktion durchaus Sinn, da wir im Alltag ständig Pathogenen ausgesetzt seien: „Wenn wir mit leichten Waffen antworten können, brauchen wir keine schweren Geschütze aufzufahren.“ Bei Covid-19-Erkrankungen mit schwereren Symptomen werde indes vermutlich schon ein längerfristiger Schutz aufgebaut.
Möglicherweise nur einige Monate Immunität
Studien zu anderen Coronaviren weisen darauf hin, dass eine erneute Sars-CoV-2-Infektionen komplett verhindernde Immunität vielleicht nur einige Monate bestehen bleibt, wie der Virologe Shane Crotty vom La Jolla Institute of Immunology in Kalifornien dem Fachmagazin „Nature“ erklärte. Eine Symptome abmildernde Immunität könnte es demnach länger geben.
Lesen Sie auch: Hamburger Virologe skeptisch „Den Superimpfstoff wird es nicht geben“
Ungewiss ist, welcher Teil der Immunabwehr besonders wichtig für diesen Schutz ist. „Neben den Antikörper bildenden B-Zellen kann die T-Zell-Antwort auf den Erreger genauso wichtig sein“, erklärt Jacobs. Welcher Mechanismus hier vor allem wirke, sei eine zentrale Frage für die Entwicklung eines Impfstoffs.
Neue Erkenntnisse aus Studien aus Deutschland und den USA
Dazu verweist der Infektionsforscher auf Studien aus den USA und Deutschland: Darin hatten bis zu 30 Prozent der Menschen, die nicht mit Sars-CoV-2 infiziert waren, dennoch bestimmte T-Helferzellen, die auf dieses Coronavirus reagierten: „Wahrscheinlich hatten sie schon einmal Kontakt mit sogenannten Common-Cold-Coronaviren“ – also mit anderen Coronaviren, die herkömmliche Erkältungen auslösen.
Ein solcher Kontakt könnte eine Teil-Immunität gegen Covid-19 bieten. „Das würde erklären, warum bei der Infektion so unterschiedliche Dynamiken und Symptome zu beobachten sind“, vermutet Jacobs. Noch ist allerdings unklar, ob und welchen Schutz diese sogenannte T-Zell-Reaktivität bieten könnte.