MOPO-Talk zur „Letzten Generation“: „Wir reden erst, wenn ihr zur Vernunft kommt“
Die Aktionen der „Letzten Generation“ sorgen regelmäßig für Wut und Empörung. Im Berufsverkehr Straßen blockieren, Urlaubsflieger am Abheben hindern, das Rathaus mit Farbe beschmieren: Notwendiger Ungehorsam oder krimineller „Ökoterror“? Darüber debattierten Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne), CDU-Landesvorsitzender Dennis Thering, Philipp Krüger von Amnesty International und Lea-Maria Rhein von der „Letzten Generation“ im MOPO-Talk am Montagabend im „Gausz“ in der Gaußstraße (Ottensen). Dabei wurde klar: Mit seinem Verständnis für die Aktivisten eckt der Umweltsenator sogar in seiner eigenen Partei an.
MOPO-Kolumnist Marco Carini stellt Jens Kerstan mit den Worten vor: „Wir wollten zwei Stühle für Sie hinstellen, damit Sie sich dazwischen setzen können.“ Der ist zwiegespalten und hält damit nicht hinter den Berg. „Es sorgt nicht für Klimaschutz-Akzeptanz, wenn man Familien stundenlang auf den Abflug in den Urlaub warten lässt. Aber ich würde die ,Letzte Generation‘ nicht pauschal verurteilen“, sagt der Umweltsenator.
Thering: „Deutschland ist Vorreiter in Sachen Klimaschutz“
Die Reihen vor dem Podium sind gut gefüllt, vornehmlich mit etwas älterem Publikum. Das applaudiert, während LG-Aktivistin Lea-Maria Rhein (22) ihre Positionen darlegt. „Es ist nicht unser Ziel, uns beliebt zu machen“, sagt sie. „Protest muss unangenehm sein und wehtun, damit er wirkt. Wir haben es mit Fridays For Future erfolglos auf die nette Art probiert, dafür haben wir einfach keine Zeit mehr.“
Dennis Thering von der CDU sieht das anders. „Deutschland ist Vorreiter in Sachen Klimaschutz“, sagt er. Ein leises Lachen geht durch die Reihen, Lea-Maria Rhein quittiert seine Aussage mit einem spöttischen Blick. Er fährt fort: „Das haben wir unter anderem Fridays For Future zu verdanken. Doch die ,Letzte Generation‘ konterkariert diese Erfolge.“ Laut einer aktuellen Infratest-Umfrage lehnen 85 Prozent der Deutschen deren Protestformen ab.
Kriminelle Aktivisten sollten zur Rechenschaft gezogen werden, so Thering. Philipp Krüger von Amnesty International betrachtet das deutlich gelassener. „Protest darf und muss stören“, sagt er. „In der deutschen Vergangenheit gab es deutlich krassere Protestformen, dagegen sind die Klimakleber harmlos.“
Kerstan anderer Meinung als Tschentscher und Fegebank
Jens Kerstan kann sich an diese Zeiten noch erinnern. „Die Demonstrationen meiner Jugend waren viel hitziger“, sagt der 57-Jährige. „Das ist vielleicht der Unterschied zu meiner Kollegin Katharina Fegebank: Sie hat diese intensiven Proteste nicht mehr miterlebt und deshalb weniger Verständnis für die ,Letzte Generation‘.“ Nicht das einzige Mal, dass Kerstan Spitzen gegen seine Parteikollegin setzt. Die ließ sich zum Thema ja mit den Worten zitieren: „Durch unsinnige Aktionen wird kein Gramm CO2 eingespart.“
Auch an Koalitionspartner und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) übt Kerstan Kritik. „Wir sind bekanntermaßen keine Freunde und müssen das auch nicht sein. Der Umgang mit Klimaaktivisten ist einer der Punkte, in denen wir uneins sind“, sagt er. Und legt mit einer umstrittenen Position nach: „Ich glaube, wir werden nicht drum herum kommen, irgendwann CO2 abzuscheiden. Wenn alle getroffenen Maßnahmen nicht ausreichen, kann das in einigen Jahren ein wichtiges Mittel sein.“ Er spricht damit die Möglichkeit an, CO2, das bei der Verbrennung von Kohle und Gas oder der Herstellung etwa von Zement entsteht, unterirdisch zu verpressen, etwa dort, wo ehemals Erdgas eingelagert war.
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Aktivistin Lea-Maria Rhein ist überzeugt: Die Politik macht zu wenig für den Klimaschutz und muss jetzt radikal handeln. „So lange werden wir mit unseren Protesten weitermachen“. Sie spart nicht mit Vergleichen zu Menschenrechtsaktivisten wie Martin Luther King oder den Suffragetten. Auch Dennis Thering bleibt hart: „Wir reden erst mit euch, wenn ihr zur Vernunft kommt“, sagt er. Jens Kerstan ist nachdenklicher: „Ich verstehe die jungen Leute. Wir müssen es nur irgendwie schaffen, die Bevölkerung mitzunehmen.“