Klimawandel und Migration: Forscher erklärt Gründe fürs Auswandern der Flüchtlinge
Dürre, Hitze, Überschwemmungen, Monsterstürme – der Klimawandel zwingt immer mehr Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Alarmierende Berichte von hunderten Millionen „Klimaflüchtlingen“, die sich auf den Weg nach Europa machen, sind aber nicht realistisch und versperren den Blick auf die komplexen Hintergründe der Klimamigration, erklärt Jürgen Scheffran, Professor für Integrative Geographie an der Universität Hamburg.
Geregelte Migration, so der Wissenschaftler, kann sogar eine wirksame Anpassungsstrategie an den Klimawandel sein. „Zwei Faktoren bestimmen, ob Menschen auswandern: Sie müssen es wollen und sie müssen es können“, erklärt der Klima- und Migrationsforscher im Gespräch mit der MOPO: „Selbst wenn hunderte Millionen Menschen betroffen sind, werden die meisten in ihrer Region bleiben, weil sie keine Mittel für eine weite Flucht haben.“ Gerade die Ärmsten leiden am meisten, wenn die Äcker vertrocknen und das Vieh verdurstet. Sie kommen in der Regel nicht weit.
Klimawandel: Die Ärmsten können sich eine Flucht nicht leisten und bleiben in ihrem Land
„Wenn Migration im Kontext klimatischen Wandels stattfindet, dann sind Begrifflichkeiten wie Massenmigration oder Exodus deutlich fehl am Platze“, sagt auch Benjamin Schraven vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in der „Zeit“.
Jürgen Scheffran spricht von „Umweltvertriebenen“, deren Zahl die der Kriegsflüchtlinge bereits übersteigt. Viele verlassen aufgrund von Naturkatastrophen zeitweise ihre Heimat, weichen gezwungenermaßen in die Nachbarregionen aus, andere werden zu permanent Vertriebenen, weil der ansteigende Meeresspiegel ihre Inseln überflutet.
Schuld an der Flucht beim Klimawandel ist häufig auch die Politik
Tatsächlich spielt der Klimawandel auch bei großen Fluchtbewegungen eine Rolle, eingebunden in ein Geflecht von Fluchtursachen: „Den Klimawandel für alle Weltprobleme verantwortlich zu machen, geht am Kern des Problems vorbei“, sagt Scheffran: „Das Fass zum Überlaufen bringt nicht erst der letzte Tropfen, sondern auch alle davor.“ Ob eine Naturkatastrophe ein System zum Kippen bringt, hängt demnach entscheidend von der Politik vor Ort ab, etwa im Syrien-Konflikt, den Scheffran „vertrackt“ nennt.
Viele Jahre bevor 2015 ein Elendstreck geflüchteter Menschen aus Syrien am Bahnhof von Budapest strandete, hatte es in Syrien eine Dürre gegeben, von 2007 bis 2009. Bauern mussten ihre Landwirtschaft aufgeben, drängten in die Städte. Kurz darauf erlebten Russland und China extreme Hitzewellen: Der Weizen, der eigentlich in den arabischen Raum exportiert werden sollte, verdorrte auf den Feldern. An den Börsen kam es zu Spekulationen mit Nahrungsmitteln, der Ölpreis stieg, auf immer mehr Ackerflächen wurden Pflanzen für „Biosprit“ angebaut.
Krieg in Syrien führte zu jahrelanger Massenflucht
Am Ende der Kette standen 2011 gewaltsame Proteste in der arabischen Welt, auch in Syrien, entzündet an den explodierenden Brotpreisen – die schließlich durch die drakonischen Reaktionen des Diktators Assad in einen jahrelangen Krieg mit einer Massenflucht auch Richtung Europa mündeten.
Das benachbarte Jordanien, das ebenso von der Dürre betroffen war, erlebte keine Gewalt, nahm sogar mehr als 666.000 syrische Flüchtlinge auf. Die meisten von ihnen werden nicht das veränderte Klima als Ursache ihres Elends sehen– und dennoch: „In Syrien hat auch der Klimawandel dazu beigetragen, dass die Regierung die Kontrolle verlor und die Gewaltspirale eskalierte“, so Scheffran: „Wenn ein System ohnehin schon an der Grenze zur Instabilität steht, dann kann ein klimatisches Ereignis zum Kipppunkt führen. Solche regionalen Flächenbrände könnten wir durch den Klimawandel in Zukunft öfter erleben.“
„Deutschland sollte Menschen die Möglichkeit zur anerkannten Einwanderung geben“
Wer Klimaflüchtlinge deshalb als Bedrohung für den Westen hochstilisiere oder die betroffene Bevölkerung nur als hilflose Opfer sehe, mache es sich allerdings zu einfach: „Migration kann eine wichtige Anpassungsstrategie an den Klimawandel sein, wenn sie in geregelten Bahnen verläuft“, sagt der Forscher: „Europa kann sich dagegen nicht dauerhaft abschotten, sondern sollte den Menschen die Möglichkeit zur anerkannten Einwanderung geben und von hier aus ihre Herkunftsregionen bei der Anpassung an die neuen klimatischen Gegebenheiten zu unterstützen.“
Eine wichtige Rolle hierbei spielen Geldüberweisungen an die Familien, mit denen diese etwa dürreresistentes Saatgut kaufen oder Wasserprojekte unterstützen können. Auch das Wissen, das Migranten bei ihrer Rückkehr mitbringen, über Landwirtschaft oder erneuerbare Energien, die Netzwerke, die sie vom Ausland aus aufbauen, all das kann die Widerstandskraft von Gemeinschaften gegen den Klimawandel stärken.
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Der Wissenschaftler nimmt den Westen in die Pflicht: „Die Politik kann sich nicht hinter der Komplexität verstecken. Die Industrienationen sind die Verursacher des Klimawandels, dessen Auswirkungen besonders der globale Süden zu spüren bekommt.“
Überraschend, sagt Scheffran, seien nicht die globalen Kettenreaktionen, die der Klimawandel auslöst, sondern, wie unvorbereitet die Politik darauf reagiere: „Statt immer hastigeres Krisenmanagement zu betreiben, ist es wichtiger, die Ursachen zu bearbeiten, die viel mit unseren eigenen Lebensstilen zu tun haben.“