Statt Feier: Köhlbrandbrücke wird zum 50. Geburtstag gesperrt
Die Köhlbrandbrücke wird 50 Jahre alt, doch offiziell mag niemand feiern. Ihr Schicksal scheint besiegelt – doch ein Verehrer der „Köhle“ glaubt, dass Totgesagte länger leben.
An ihrem 50. Geburtstag am kommenden Freitag erwartet die Köhlbrandbrücke tagsüber viel Trubel, abends Ruhe – und über allem schwebt der Gedanke an die Endlichkeit der Existenz. Der Jahrestag der Schrägseilbrücke fällt auf einen Wochentag, an dem der Verkehr meist besonders dicht ist. Anders als zum 25. Jubiläum wird es keine Feier geben, stattdessen wird die Brücke ab 21 Uhr gesperrt und das Wochenende über gewartet.
Solche Wartungen häufen sich, denn das Bauwerk muss trotz seines Alters zunehmende Lasten tragen. Die nächste Wartung folgt schon Ende September.
Hamburger Wahrzeichen: Köhlbrandbrücke wird 50
Täglich wird die Köhlbrandbrücke von rund 34.000 Fahrzeugen genutzt, darunter 12.700 Lastwagen. Die Verkehrsbelastung hat sich nach Angaben der Hafenbehörde HPA seit den 1970er Jahren verdoppelt.
Das Bauwerk ist nur drei Jahre jünger als die Dresdner Carolabrücke, die in der Nacht zum 11. September einstürzte. Der Zustand der Hamburger Hafenquerung ist seit über 15 Jahren ein Thema.
Um die Brücke zu schonen, hat die Hafenbehörde HPA Beschränkungen für den Verkehr erlassen. Seit 2012 gilt auf der Brücke ein Überholverbot, seit 2019 müssen Lastwagen einen Mindestabstand von 50 Metern einhalten.
Köhlbrandbrücke: Von Bundespräsident Scheel eingeweiht
Entworfen wurde das Bauwerk von dem Architekten Egon Jux (1927-2008). Im Mai 1970 begannen die Bauarbeiten. Am 20. September 1974 weihte Bundespräsident Walter Scheel die Brücke ein. Nach einem dreitägigen Volksfest wurde sie für den Verkehr freigegeben.
Seit 2013 steht das Hamburger Wahrzeichen unter Denkmalschutz. Doch nur wenige Menschen rechnen noch damit, dass die Brücke auf Dauer zum Stadtbild gehören wird. Nach langer Abwägung einer Tunnellösung hat sich der Senat für einen Brückenneubau entschieden. Er soll bis 2042 entstehen und deutlich höher werden, um Megafrachtern die Anfahrt zum Containerterminal Altenwerder hinter der Brücke zu ermöglichen.
Der Bau eines Tunnels unter dem Köhlbrand, der ein Teil der Süderelbe ist, wurde aus Kostengründen verworfen. Damit wiederholt sich ein Prozess, der auch dem Bau der Köhlbrandbrücke vorausging.
Hamburg: Ursprünglich waren zwei Köhlbrandbrücken geplant
Wie der Journalist Frank Hofmann in einem neuen Buch „Hamburgs Köhlbrandbrücke – Geschichte und Geschichten“ schreibt, hatte der Senat 1967 einen Tunnel mit fünf Röhren unter dem Elbarm bauen wollen. Eine davon sollte für den Bahnverkehr sein, eine andere für Fußgänger und Radfahrer.
Damals wehrten sich jedoch die Bewohner des Stadtteils Neuhof gegen das Projekt. Sie fürchteten um ihre Häuser. Außerdem erschien der mit 255 Millionen Mark (circa 127 Mio. Euro) kalkulierte Tunnel teurer als der Brückenbau, dessen Kosten auf 129 Millionen Mark (circa 64 Mio. Euro) geschätzt wurden.
Es sei aber ein Apfel mit einer Birne verglichen worden, so Hofmann. Denn eigentlich hätte man bei beiden Modellen die gleiche Kapazität, also sechs Fahrspuren, Schienenwege sowie Fuß- und Radwege, zugrunde legen müssen. Das Projekt von Jux habe ursprünglich zwei parallele Brücken mit jeweils vier Spuren vorgesehen, doch nur die „1. Baustufe“ sei einkalkuliert worden.
Köhlbrandbrücke: Unterhalt bald zehn Millionen Euro pro Jahr
Für den Eisenbahnverkehr über die Süderelbe musste eine weitere Querung gebaut werden, die etwa drei Kilometer stromaufwärts gelegene Kattwyk-Hubbrücke. „Die damals so verlockende Sparvariante erweist sich aus heutiger Sicht als die teuerste Lösung“, stellt Hofmann fest.
Der Köhlbrandbrücken-Fan verweist zudem auf die Abrisskosten, die inzwischen auf 450 Millionen Euro geschätzt werden. Hinzu kommt die Unterhaltung. Die beläuft sich laut Hofmann derzeit auf 3,3 Millionen Euro jährlich und werde bis 2029 auf 10,7 Millionen Euro pro Jahr steigen. Mindestens 15 Jahre muss die Brücke noch halten.
Architektur der Köhlbrandbrücke: Wie Pflanzenstängel und geschlossene Blüten
Dem Architekten Jux verdankt Hamburg weitere Bauwerke, darunter das Südportal des Elbtunnels, das 2021 abgerissene Überseezentrum und die Norderelbbrücke der A1. Letztere ist neun Jahre älter als die Köhlbrandbrücke und soll ebenfalls durch einen Neubau ersetzt werden. Bei einer Bauwerksprüfung im Sommer wurde ein Schaden an der Brücke festgestellt, der seit vergangenem Donnerstag näher untersucht wird.
Jux und der Bauingenieur Paul Boué erhielten 1975 den Europäischen Stahlbaupreis für die „schönste Brücke des Kontinents“. Es sei in der Tat erstaunlich, wie filigran die Konstruktion sei, findet Hofmann. Als Zeuge Jehovas sei Jux tief religiös geprägt gewesen. Bei seinen Bauten sei er dem Prinzip gefolgt, dass jede Form von Flora und Fauna Ausdruck einer bestimmten Funktion sei.
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Nach seinem Selbstverständnis habe er quasi die Handschrift des Schöpfers in seinen Bauten verlängert. Die Köhlbrandbrücke empfinde er als Pflanze, sagte der naturverbundene Baumeister dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zur Eröffnung. Die Betonpfeiler wüchsen vegetativ aus dem Erdboden heraus, die Pylone stellten eine „geschlossene Blüte“ dar, die Straße eine „Frucht“.
Köhlbrandbrücke: Entlastung könnte Nutzungsdauer verlängern
Hofmann fährt mit Hamburg-Besuchern gern bei Sonnenaufgang von Ost nach West über die Brücke und versetzt sie mit der Aussicht auf Stadt und Hafen in Begeisterung. Mit dem Abriss ist er nicht einverstanden. Hofmann glaubt, dass der Schwerlastverkehr komplett auf die geplante neue Elbquerung im Zuge der A26-Ost, nur wenige Kilometer weiter südlich, verlagert werden könnte. Er hält diese Lösung sogar für wahrscheinlich.
„Niemand glaubt, dass der Bund sich an zwei Brücken über die Süderelbe beteiligen wird. Das wird nicht so kommen, das ist völlig absurd“, sagt der Liebhaber der „Köhle“. Wenn nur noch Pkws die Köhlbrandbrücke nutzen würden, könnte sie auch – wie ursprünglich geplant – 100 Jahre alt werden.