Lagerist, Abiturientin und Koch: Wie wir uns durch den Lockdown kämpfen
Es war vermutlich das nervenaufreibendste Jahr, das wir alle zusammen durchstehen mussten. Zeit, die Hamburger mal zu fragen, wie sie es schaffen, im Lockdown den Kopf oben zu behalten — trotz Zukunftssorgen und der quälenden Sehnsucht nach Normalität.
Schaustellerin Nicole Faschinbauer (29) ist mit ihrer Familie in Bergedorf gestrandet
„Die Festtage sind unsere einzige Urlaubszeit im Jahr, da wir sonst immer unterwegs sind. Wir haben unsere Wohnwagen geschmückt und wollen trotzdem ein bisschen festliche Stimmung aufkommen lassen. Uns hilft die tägliche Routine. Die Tiere müssen ja auch ohne Besucher versorgt werden. Wir haben einen der Wagen geöffnet, die Besucher können dort gegen Spende wenigstens einige unserer Tiere betrachten. Aufgeben ist für uns jedenfalls keine Option. Schausteller-Familien sind Kämpfer und schwierige Zeiten gewohnt.“
Matt Roebuck (29): Kaffeeröster aus St. Georg
„Ich fühle mich gut. Ich gehe jede Woche schwimmen in der Bille. Das ist sehr kalt – aber ich praktiziere die Wim-Hof-Methode, das stärkt mein Immunsystem und vor allem bringt es ein neues Lebensgefühl. Es verändert die Sicht auf das Leben. Außerdem trinke ich Kaffee und Tee – das wirkt stimmungshebend. Das ist mein Geheimrezept.“
Johannes Kreph (27): Betriebswirt aus Hoheluft/Kiel
„Ich werde wirklich müde von Corona. Die Inkonsequenz nervt mich massiv – es sollte konsequenter gehandelt werden. Ich habe auch noch mein Zimmer in meiner Studi-WG in Kiel, habe gerade Anfang des Jahres meinen Bachelor-Abschluss in BWL gemacht. Die Online-Seminare waren sehr anstrengend für meine Mitbewohner, der Frust hat auch auf mich abgefärbt.
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Ich fahre noch viel nach Kiel, die Autobahn ist fast immer frei, das ist sehr angenehm. Ich bin aber sehr froh, in Hamburg Arbeit gefunden zu haben, arbeite in der Produktion und Buchhaltung. Die Arbeit ist ein Segen für mich, gerade als Uni-Absolvent in dieser Zeit.“
Miguel Martinez (46): Lagerist aus St. Pauli
„Ich fühle mich nicht besonders gut. Ich muss gerade woanders drei Tage die Woche als Aushilfe arbeiten, weil ich mich irgendwie über Wasser halten muss. Ich habe seit dem Sommer einen Hund, der macht viel Freude. Zu Anfang war ich dagegen, aber es ist wirklich eine Bereicherung. Meine Familie hilft sehr, wir sind füreinander da. Wir kochen und machen nun viele Spaziergänge mit dem Hund.“
Spitzenkoch Michael Wollenberg (56) in seinem Restaurant „Wattkorn“
„Mein Tag fängt um sechs Uhr an. Damit ich in Schwung komme, geht es auf den Crosstrainer, dann mit meinen Hunden in den Tangstedter Forst. Jetzt stürz’ ich mich in die Arbeit. Bei uns läuft der Außer-Haus-Betrieb nämlich bombig. Und ich telefoniere viel mit Familie und Freunden. So kommen keine trüben Gedanken auf.“
Dr. Ulrike Murmann (59): Hauptpastorin von St. Katharinen und Pröpstin
„In diesen Corona-Zeiten hole ich mir Kraft in meiner Kirche, entzünde eine Kerze, setze mich ins Kirchenschiff und lass die besondere Stimmung auf mich wirken. Das tut meiner Seele richtig gut. Außerdem spreche ich viel mit anderen. Sich über die Sorgen und Unsicherheiten dieser Zeit auszutauschen, ist entlastend. Na ja, und dann natürlich lecker essen – das tröstet Leib und Seele!“
Annie Oreopoulos (19) Abiturientin: arbeitet in Teilzeit in einem Kaffee-Geschäft
„Ich wollte ein Freiwilliges Soziales Jahr in Indien machen, das ich leider absagen musste. Das hat mich am meisten getroffen. Wichtig ist, dass wir die Krise überstehen; mit ein bisschen Rücksicht geht das sicher schneller, als wir denken. Weihnachten feiern wir nur im engsten Familienkreis, Sicherheit geht vor. Ich gehe viel spazieren, verbringe mehr Zeit mit meinem Bruder und habe mich bei einem Online-Seminar für Kreatives Schreiben angemeldet.“
Kai Gaafke (50): Veranstaltungstechniker aus Winterhude
„Ich habe Glück, seit Februar bin ich fest angestellt, habe früher frei in der Eventszene gearbeitet. Ich bin glücklich – gerade wenn ich die früheren Kollegen sehe. Ich habe das Joggen für mich entdeckt, laufe, sooft ich kann. Ansonsten macht mich die Arbeit glücklich, auch wenn es jetzt in Kurzarbeit ist. In erster Linie stützt mich meine Familie, aber auch die Kollegen, sozialer Kontakt ist wichtig. Es belastet mich zu sehen, dass viele gegen die Maßnahmen kämpfen, obwohl sie zwingend sind.“
Katharina Scholz (29): Kaufmännische Angestellte aus Harburg
„Ich fühle mich okay. Mich stört aber, dass Corona die Gesellschaft spaltet. Überall nur noch Leugner oder Befürworter. Man hat fast Angst, die Meinung zu sagen. Ich habe einen Hund und erkunde die Harburger Berge bis ins letzte Eck. Es ist so schön ruhig und still. Man begegnet wenig Menschen. Es beruhigt mich einfach. Ich vermisse aber Umarmungen und Nähe.“