Die Leerstands-Masche der Immobilienhaie in Hamburg
Hübsche Fassade, hohen Decken und am besten noch gut angebunden: So stellen sich viele ihr perfektes Wohnhaus in der Stadt vor. Es gibt solche Häuser in Hamburg, doch in vielen ist es still. Sie stehen leer, obwohl dringend Wohnraum gebraucht wird. Der Grund für den Leerstand ist ein Kalkül der Eigentümer – gegen das die Stadt eigentlich vorgehen könnte.
Die Methfesselstraße 80 in Eimsbüttel ist eins der bekannteren Beispiele für die „Strategie Leerstand“. Das über 120 Jahre alte Gründerzeihaus mit fünf Wohnungen in bester Lage wurde dem Verfall überlassen, ist nach langem Leerstand unbewohnbar – Pilzbefall. Nur die unterste Etage ist noch bewohnt. Die Eigentümer kündigten schon 2018 eine Renovierung an, passiert ist nichts. Jetzt wollen sie das Haus abreißen.
Leerstand ist häufig eine Masche der Immobilienhaie
„Hinter lang andauerndem, oft mehrjährigem Leerstand von Mietwohnungen stehen in der Regel massive Rendite-Interessen der Eigentümer“, erklärt Marc Meyer vom Verein Mieter helfen Mietern. „Häufig sollen die bestehenden Mietshäuser abgerissen werden, damit an deren Stelle viel größere Häuser mit deutlich mehr Quadratmetern an Wohnflächen errichtet werden können.“
Für einen Abriss muss das Gebäude jedoch unbewohnt sein, viele Wohnungen bleiben deshalb leer, sobald jemand auszieht.
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Eigentlich sollte die „Strategie Leerstand“ gar nicht funktionieren. Werden Wohnungen länger als vier Monate nicht vermietet, drohen nach dem Wohnraumschutzgesetz Bußgelder bis zu 500.000 Euro. Aber es gibt Ausnahmen. „Ein Ausnahmetatbestand sind etwa geplante Baumaßnahmen an den Wohnungen“, erklärt Marc Meyer. „Dann bekommt man zum Beispiel im Bezirk Altona eine Ausnahme zugestanden, ohne dass tatsächlich gebaut wird – und nach vielen Jahren wird eine Verlängerung beantragt.“
„Graue Energie“ verhagelt den Neubauten die Klimabilanz
Ein weiterer Grund, warum die „Strategie Leerstand “ problematisch ist: Neubauten sind im Vergleich zu Altbauten wahre Klimasünden. Altbauten schneiden nach einer Sanierung nicht nur energetisch oft besser ab als vermutet, es muss auch keine Energie mehr für den Neubau verwendet werden – von der Energie für den Abriss ganz zu schweigen. Diese „graue Energie“, die auch durch die Herstellung und den Transport der Materialien entsteht, verhagelt Neubauten die Klimabilanz. „In der Bauwirtschaft heutzutage wird der Erhalt grauer Energie wirtschaftlich noch nicht belohnt“, erklärt Kristina Sassenscheidt, Geschäftsführerin des Denkmalvereins Hamburg.
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Finanziell lohnt sich ein Neubau hingegen durchaus, denn ein sechsstöckiger Neubau ist viel lukrativer als ein zweistöckiger Gründerzeitbau. Bei steigenden Grundstückspreisen von zehn Prozent pro Jahr in Hamburg lohnen sich dann auch Mietausfälle, meint Marc Meyer.
Denkmalschutzverein: „Wohnraumschutzstellen zahnlose Tiger“
Gegen solche Taktiken zur Vertreibung von Mieter:innen gibt es aber ein Mittel – eigentlich. „Die Wohnraumschutzklausel steht als Instrument bereit und muss nur eingesetzt werden“, erklärt Sassenscheidt. Aber die zuständigen Wohnraumschutzstellen der Bezirke seien kleingespart worden, es fehle an Personal, die Bußgelder seien zu niedrig. Dennoch lohne es sich, Leerbestände zu melden. „Solange für die Politik kein öffentlicher Druck spürbar ist, bleiben die Wohnraumschutzstellen zahnlose Tiger.“
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Die „Strategie Leerstand“ der Eigentümer mag zwar hohe Renditen versprechen, darunter leiden jedoch vor allem die Mieter:innen, aber auch die Umwelt und die Anwohner:innen. Auch Kristina Sassenscheidt sorgt sich um Hamburgs Nachbarschaften: „Altbausubstanz besitzt in der Regel sowohl baukulturelle als auch soziale Bedeutung. Menschen benötigen die Kontinuität und Vertrautheit ihrer Umgebung, damit sie sich mit ihrer Stadt identifizieren können.“