Ein krankes Kind liegt im Bett

Corona hat sie krank gemacht: Mia Schellen (12) kann nicht mehr laufen. Sie liegt nur noch im Bett und regt sich nicht. Eine Sonnenbrille schützt sie vor dem Licht, das ihr Schmerzen bereitet. (Foto: Marius Röer)

„Mama, das wird mein Totenbett“: Long Covid – Elternpaar kämpft um Tochter

Das Zimmer ist dunkel. Nur wenig Licht fällt in das Kinderzimmer von Mia Schellen in Barmbek-Süd. An der Wand geradeaus steht ein Schminktisch. Unberührt. Offenbar schon seit Längerem. In einem Sessel sitzt ein riesiger Teddybär. Erst dann fällt der Blick des Besuchers auf das Bett links im Zimmer – und das Blut gefriert einem in den Adern. Dort liegt ein Kind! Regungslos. Und trotz der Dunkelheit mit einer großen Sonnenbrille über dem Gesicht. Was hat dieses Mädchen?

Mia Schellen (12) war noch vor zwei Jahren ein fröhliches, unbekümmertes Kind. „Ein Duracell-Häschen”, wie ihre Mutter sagt. Eine Pfadfinderin, die mit ihrer Gruppe viel in der Natur war. Immer dabei: Die Gitarre, die sie zu spielen liebte.

Fotos in der Wohnung zeigen das dralle Mädchen mit ihren Freundinnen. Mit ihrer Schwester. Kaum zu glauben, dass das die gleiche Mia ist – die auf den Fotos und die abgemagerte Kranke in dem dunklen Zimmer, die sich nicht mehr rühren kann. Die das Laufen verlernt hat. Die nicht mehr essen kann und künstlich ernährt werden muss. Und der sogar das Sprechen schwer fällt.



Ein Zimmer weiter sitzen Mias Eltern. Florian und Romina Schellen versagt immer wieder die Stimme, wenn sie über das Schicksal sprechen, das über die Familie, zu der auch noch zwei weitere Kinder gehören, herein gebrochen ist. Es fließen viele Tränen an diesem Nachmittag in Barmbek-Süd. Denn das, was mit der Zwölfjährigen passiert ist, stellt das Familienleben jeden Tag auf eine harte Zerreißprobe.

Hamburg: Mias ME/CFS-Erkrankung stellt das Leben ihrer Familie auf eine harte Zerreißprobe

Das Schlimme: Es ist ein Schicksal, das jede Familie treffen kann. Und sogar immer mehr Familien trifft. Denn Mia hat ME/CFS. Die Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die als Folge einer Corona-Infektion auftreten kann. Umgangssprachlich ist oft von „Long Covid“ die Rede. Die Forschung dazu steht noch ganz am Anfang – und wird wenig gefördert. Es gibt keine Medikamente, keine Hilfe.

In Deutschland gibt es Schätzungen zufolge 300.000 Betroffene. In Hamburg sind es laut der Senatsantwort auf eine Linken-Anfrage 26.400 Menschen. Tendenz steigend. Oft erhalten die Betroffenen ihre Diagnose erst nach Jahren. Jahren, in denen ihnen psychische Probleme oder Empfindlichkeit unterstellt werden. Das war auch bei Mia so. Dabei ist sie ein besonders schwerer Fall.

Am Ende ihrer Kräfte: Mias Eltern Florian (40) und Romina (38) Schellen Marius Roeer
Florian und Ramona Schellen
Am Ende ihrer Kräfte: Mias Eltern Florian (40) und Romina (38) Schellen

„Mia hat sich im Juni 2022 das erste Mal mit Corona infiziert“, berichtet Romina Schellen. Ihre Tochter habe nur leichte Symptome gehabt. Ein bisschen Halsschmerzen und Fieber. Aber etwas war merkwürdig: In den Monaten danach fielen die Corona-Tests immer mal wieder positiv aus. Insgesamt neun Mal! Dazwischen war Mia wieder negativ. Sie habe keine Symptome gehabt und habe auch niemanden angesteckt.

ME/CFS als Corona-Folge: Das Virus hat sich bei dem Mädchen im Körper festgesetzt

„Die Ärzte sagen, das Virus habe sich bei ihr festgesetzt”, sagt Florian Schellen. Der große Einbruch sei dann mit der letzten großen Infektion im November 2023 gekommen. Danach habe die Tochter sich nicht mehr aufgerappelt. Von da an sei es nur noch bergab gegangen.

Das könnte Sie auch interessieren: Diagnose Long Covid: „Man muss den Patienten zuhören und sie ernst nehmen“ (M+)

Die Eltern liefen von Arzt zu Arzt und landeten schließlich im Zentrum für seltene Erkrankungen des UKSH in Lübeck. Dort wurde ME/CFS zweifelsfrei diagnostiziert. Es folgten die für die Erkrankung typischen Crashs. Seit Juli vergangenen Jahres kann Mia nicht mehr laufen, seit September kann sie sich nicht mal mehr umdrehen im Bett. Ein Schulbesuch – unmöglich.

Weil sie beim Essen und Trinken Magenschmerzen bekam, nahm Mia zwischen Oktober und Dezember 20 Kilo ab. Der Arzt sagte zu den Eltern: „Es ist ernst. Sie haben nicht mehr viel Zeit.“ Florian Schellen weint, als er das erzählt. Seine Frau fährt fort und beschreibt, wie der Tochter der Port für die künstliche Ernährung gelegt wurde. Dann bricht auch sie zusammen. „Als der Port gelegt wurde, sagte Mia: ,Mama, das wird hier irgendwann mein Totenbett‘ sein.“

Keine Krankenhaus-Behandlung möglich: Eltern müssen Privatarzt rufen – auf eigene Kosten

Das Schlimmste für die Eltern: Sie können Mia nicht ins Krankenhaus bringen. Denn dort hätte sie kein Einzelzimmer. Der Lärm und die Neon-Beleuchtung würden nur den nächsten Crash auslösen und das Leben des Mädchens in Gefahr bringen. So betreuen die Eltern das Kind zu Hause selbst. Mia braucht rund um die Uhr Pflege und Betreuung. Das geht nur, weil Mutter Romina wegen einer eigenen Erkrankung frühverrentet ist. Vater Florian hat Multiple Sklerose und ist aktuell erwerbsunfähig.

Problem: Wenn Mia Hilfe braucht, müssen die Eltern einen Privatarzt rufen, den sie selbst aus dem ohnehin schon schmalen Geldbeutel bezahlen müssen. Die Kassenärzte machen keine Hausbesuche. „Obwohl es inzwischen so viele ME/CFS-Fälle in Deutschland gibt, ist unser Gesundheitssystem nicht darauf ausgerichtet“, sagt Romina Schellen. Es sei schrecklich für sie, sich vor jedem Anruf zu fragen, ob es das jetzt wert ist, den Arzt zu holen.

Das könnte Sie auch interessieren: Alles schnieft! Ist das normal? Das steckt hinter der Schnupfenwelle in Hamburg

Zum Glück haben die Schellens eine günstige Miete. Trotzdem haben die Kosten für Mias Versorgung sämtliche Ersparnisse der Familie verschlungen. Es tut den Eltern in der Seele weh, dass sie Mias älteren Geschwistern manche Anschaffungen verwehren müssen. In ihrer Not haben sie jetzt einen Spendenaufruf gestartet.

Die Geschwister halten zu ihrer Schwester und setzen sich an ihr Bett. Mehr Kontakt zu Kindern hat Mia nicht mehr. „Am Anfang haben meine Freundinnen mir noch geschrieben. Jetzt nicht mehr“, sagt sie mit schwacher Stimme. Sie schlafe viel. Manchmal höre sie einen Podcast. Mehr geht nicht. Selbst Fernsehen ist zu viel. Romina Schellen: „Meine Tochter ist wie lebendig begraben.“

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp