Medizingeschichte: Als die Pest den Tod nach Hamburg bringt
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Es ist der 26. Oktober 1713. In Hamburg herrscht Ausnahmezustand. Die Pest geht um. Da erlässt der Senat ein Dekret, dass niemand die Straßen betreten darf, der nicht über ein Attest verfügt, aus dem hervorgeht, dass er gesund ist. Niemand darf Menschen in sein Haus lassen, der nicht ebenfalls ein Attest vorweisen kann. Und Häuser, in denen Erkrankte leben oder gelebt haben, sind erst zu reinigen, bevor andere sie betreten dürfen.
Wer diesen Anordnungen zuwiderhandelt, wird schwer bestraft. So heißt es in dem kunstvoll gestalteten Papier. Trotz dieser Maßnahmen kommen bei der letzten großen Pest-Epidemie Hamburgs vor 307 Jahren rund 11 000 Menschen ums Leben. Jeder siebte Einwohner!
Der „Schwarze Tod“: 1713 ging die Pest in Hamburg um
Die Pest oder der „Schwarze Tod“, wie die Krankheit auch genannt wird, ist seit dem Mittelalter neben Krieg und Hunger die schlimmste Geißel der Menschheit. Um 1350 ist die Seuche von Asien nach Europa eingeschleppt worden. Im 14. Jahrhundert stirbt jeder dritte Europäer daran: 25 Millionen Männer, Frauen und Kinder. Die verheerendste Pandemie der Menschheitsgeschichte.
Darüber, was die Ursache der Pest ist, rätseln die Menschen des Mittelalters. Gläubige halten die Krankheit für eine Strafe Gottes. Deshalb beginnen Viele, sich zu geißeln. Der Ablasshandel der Kirchen floriert. Andere machen eine ungünstige Konstellation von Mars, Jupiter und Saturn verantwortlich. Oder haben vielleicht Juden die Brunnen vergiftet? Es kommt zu Pogromen. Die Suche nach Sündenböcke – damals wie heute sehr verbreitet.
Ein Gegenmittel gegen die Pest gab es damals nicht
Ein wirksames Gegenmittel gibt’s im Mittelalter nicht. Erkrankte werden zu Ader gelassen. Oder bekommen Einläufe. Manche Zeitgenossen verbrennen duftende Hölzer und Kräuter oder versprühen Essig- und Rosenwasser, um der Seuche zu begegnen. Alles sinnlos.
Immerhin eins erkennen die Menschen bereits früh: Dass die Epidemie durch Isolation eingedämmt werden kann. Venedig beispielsweise beschließt, Schiffsbesatzungen und -passagiere, die aus verpesteten Städten anreisen, für 40 Tage unter Beobachtung zu stellen. Erst dann dürfen die Leute an Land. „Quaranta“ ist das italienische Wort für 40. Daher Quarantäne.
Als die Pest Hamburg Anfang des 18. Jahrhunderts erneut bedroht, ist das Wissen um die Krankheit kaum größer als 400 Jahre zuvor. Inzwischen gibt es neue Theorien, etwa dass die Seuche eine Folge von Miasmen ist, also stinkender Luft oder krankmachender Ausdünstungen des Bodens. Das ist genauso falsch wie alle anderen Theorien zuvor.
Dass sich die Krankheit erneut ausbreitet, hat wohl mit dem Nordischen Krieg zu tun, der Anfang des 18. Jahrhunderts tobt: Dänen, Schweden und Russen kämpfen um die Vorherrschaft im Ostseeraum – und im Gefolge der umherziehenden Soldateska geht auch die Pest um.
Hamburg schließt ais Angst vor der Pest das Millerntor
1709 erwischt es Danzig. 1711 ist Kopenhagen dran. Und von dort kommt die Seuche immer näher: Bremen, Stade, Rellingen, Pinneberg. Aus Angst vor dem Schwarzen Tod schließt Hamburg zwar zunächst das Millerntor, also die Verbindung zu Altona, aber der Senat hält diese Maßnahme nicht lange durch. Im Interesse des Freihandels öffnet Hamburg das Tor wieder und verzichtet auch darauf, Händler und deren Waren unter Quarantäne zu stellen. Ein großer Fehler.
So kommt es, wie es kommen muss: Die ersten Pesttoten gibt es im Herbst 1712 in unmittelbarer Nähe des Michel, in einer schmalen, düsteren Gasse, die Ger-kenshof heißt (sie existiert heute nicht mehr). Dort erkranken 53 Bewohner, 18 sterben. Hamburg hofft, das Problem isolieren zu können, vernagelt die eine Seite der Gasse mit Brettern und stellt auf der anderen Seite Wachen auf.
Die Pest erreicht die Hamburger Armenviertel
Aber es nutzt nichts. Nach und nach erreicht die Pest weitere Armenviertel. Die Menschen sterben wie die Fliegen. Vor dem Dammtor (etwa da, wo heute die Messe ist) entsteht ein Massengrab, und die Totengräber sind rund um die Uhr beschäftigt – bis im Winter 1713/14 die Epidemie endlich abebbt. Am 22. März feiern die Überlebenden das Ende der Pestilenz mit einem Gottesdienst in St. Petri. Alle Glocken der Stadt läuten.
Was die Menschen nicht wissen: Statt dem lieben Gott hätten sie besser dem Klima danken sollen. Denn es sind Flöhe, die das todbringende Bakterium Yersinia pestis übertragen, und die stellen bei winterlichen Temperaturen die Fortpflanzung ein.
Welche Rolle die Ratte – lange als Hauptschuldige der Seuche gebrandmarkt – bei der Ausbreitung spielt, ist umstritten. Lange ist die Forschung davon ausgegangen, dass Flöhe erst Ratten stechen, sich dabei infizieren und anschließend, wenn sie sich am Blut von Menschen laben, das Bakterium übertragen. So ist es aber wohl nicht gewesen. 2018 kommen norwegische Forscher zu neuen Ergebnissen: Demnach haben Flöhe für eine Übertragung von Mensch zu Mensch gesorgt, ohne den Umweg über den Nager.
Von der Welt getilgt ist die Pest bis heute nicht. Inzwischen gibt es aber eine Impfung. Und eine Infektion kann mit Antibiotika bekämpft werden. Bei frühzeitiger Diagnose sind die Heilungschancen ausgezeichnet.