Kampf ums Silvester-Inferno: Weibliche Vernunft gegen männliches Ego
Na, schon ums Böllern gestritten? Wenn ja, dann wahrscheinlich in dieser Rollenverteilung: Mann, empört, streitet für das Recht auf Krach, Lärm und Nervenkitzel. Frau, rational, versucht zu erklären, warum das Geknalle einfach nur schwachsinnig ist. Denn nichts entzweit die Geschlechter so sehr wie die Haltung zum Silvesterinferno: Dafür sind fast ausschließlich Männer. Und so gut wie alle Frauen sind dagegen.
Am Samstag habe ich eine Reportage über den großen Böllerverkauf in der Billstraße gemacht. Vor Ort: 90 Prozent Männer, die sich für Hunderte Euro mit Knallkörpern ausstatten. Im Netz kursieren Dutzende Videos, wie ausnahmslos junge Typen morgens um sechs vor Aldi und Lidl Schlange stehen und dann wie eine wilde Horde den Laden stürmen, um ja genug Sprengstoff für die wilde Ballerei zu ergattern. Und als ich dann einen MOPO-Kommentar gegen privates Feuerwerk veröffentlichte, wurde ich – natürlich – von ausschließlich wütenden Männern niedergeschrie(be)n.
Manchmal wirkt es, als hätte die menschliche Hälfte mit Y-Chromosom im Schwarzpulvernebel die Orientierung verloren. „Dieses Silvester ist der Ansturm noch größer“, sagte mir Ewald Egg, der den Lagerverkauf in Hamburg-Rothenbursort seit 30 Jahren leitet. „Am besten laufen die richtig großen Kaliber.“
Eine Hamburger Influencerin veröffentlichte am Sonntag ein Video, in dem sie sich über Menschen lustig macht, die schon vor Silvester andere mit ihrem Geböller nerven. „Kommentare von getriggerten Menschen – hauptsächlich Männer – in 3…2…1…“, schreibt sie drunter. Innerhalb kürzester Zeit sammelt der Post 60.000 Likes, und wie zu erwarten geht es in der Kommentarspalte heiß her. „Wie kann man sich über Kleinigkeiten so aufregen?“, schreibt ein Dennis, „Ich liebe dich dafür“, kommentiert eine Daniela.
Knall-Diskussion: Selten werden Männer so emotional
Das Muster zieht sich durch: Frauen unterstützen den Post, Männer beleidigen die Influencerin oder machen sich über sie lustig. Auch ich schreibe einen positiven Kommentar. 91 Menschen gefällt der – 86 Frauen, fünf Männern. Ein Kevin, ein Marvin und ein Simon beschimpfen mich, wünschen mir einen „äußerst unangenehmen Montag“. Vielen Dank.
Nicht nur auf Social Media, auch in den Schlangen vor Discountern und Lagerverkäufen sowie in Unfallkrankenhäusern in der Silvesternacht zeigt sich: Das männliche Interesse an Böllerei und die männliche Risikobereitschaft sind deutlich höher. Wenn Frauen Feuerwerk kaufen (und das tun nicht mal 30 Prozent von ihnen), geht es ihnen um die Optik – sie kaufen Fontänen, Goldregen, Wunderkerzen. Sie sorgen sich um ihre Kinder, Hunde und Katzen. Und verzichten auf Böller, der Gesundheit, der Umwelt, den Wildtieren, kurzum: der Vernunft zuliebe.
Männer dagegen sind an diesem Tag des Jahres das emotionale Geschlecht. Und traditionsbewusst sind sie: Man hat ihnen doch schon so viel genommen, nun würden sie sich auf keinen Fall auch noch die Böllerei verbieten lassen! Einmal im Jahr auf niemanden Rücksicht nehmen, das ist doch wohl nicht zu viel verlangt! Und außerdem hilft es offenbar dem Ego, wenn man den läng-, äh, lautesten hat.
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Die Diskussion um die Böllerei ist also weniger eine zwischen arm und wohlhabend, zwischen ungebildet und gebildet, zwischen jung und alt oder zwischen Grünen- und CDU-Wählern. Es gibt sie in jedem Stadtteil, in jedem Haus, in jeder Familie – es ist eine Diskussion zwischen weiblicher Vernunft und männlichem Ego.