Die Ukraine-Politik Europas ist ein einziges Chaos
Berlin/Paris – Während die russische Armee in der Ukraine immer weiter vorrückt und sich die Moral des angegriffenen Landes einem Tiefpunkt nährt, erklärt der Bundeskanzler, warum er die Langstreckenwaffen „Taurus“ nicht liefern will. Gleichzeitig prescht Frankreichs Präsident vor – und alle distanzieren sich von ihm. All das spielt nur einem Mann in die Hände. Wladimir Putin. Eine Analyse.
Es ist bemerkenswert: Olaf Scholz (SPD) hat nun begründet, warum er keine Taurus an die Ukraine liefern will. Er tat dies nicht etwa vor dem deutschen Bundestag, der am vorigen Donnerstag eine Debatte darüber geführt hatte und einen Beschluss zur Lieferung von Langstreckenwaffen fasste – nein, Scholz wählte ein Treffen mit den Chefredakteuren der dpa. Die Begründung für eine Nicht-Lieferung lautet wie folgt: „Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein. Auch nicht in Deutschland. Ich wundere mich, dass es einige gar nicht bewegt, dass sie nicht einmal darüber nachdenken, ob es gewissermaßen zu einer Kriegsbeteiligung kommen kann durch das, was wir tun.“
Scholz hantiert mit längst widerlegten Argumenten
Verwundert sind auch andere. Denn die Scholz-Argumente sind falsch. Unabhängige Experten wie der Sicherheitsberater Gustav Gressel zerpflücken die Behauptungen. Übergabe und Bedienung der Taurus-Marschflugkörper müssten mitnichten von der Bundeswehr erledigt werden. „Das ist Herstellersache“, so Gressel bei ntv.de. Auch ein Bundestagsmandat ist nicht notwendig. Außerdem befinden sich bereits in Deutschland „programmierte“ Waffensysteme in der Ukraine, wie beispielsweise das Flugabwehrsystem Iris-T – muss dieses nun aus der Ukraine abgezogen werden?
Die Unterstützung erfolgt nicht im luftleeren Raum
Und warum spricht Scholz von einer „möglichen Kriegsbeteiligung“ Deutschlands? Völkerrechtlich ist die Sache eindeutig: Waffen – egal welche – zu liefern, macht einen nicht zur Kriegspartei. Hat Putin Scholz also mit Angriffen für den Fall einer Lieferung gedroht? Der Kanzler hat das in der Vergangenheit bestritten. Handelt es sich also um Selbstabschreckung? Wladimir Putin dürfte sich jedenfalls ermutigt fühlen. Was auch immer Scholz` Motiv ist: Der Nato schadet er mit seiner Haltung massiv. Denn er erweckt den Eindruck, als seien deren Sicherheits-Garantien nichts wert, als würde Deutschland die Ukraine im luftleeren Raum unterstützen. Mit einem US-Präsidenten Donald Trump wäre das ja noch nachvollziehbar. Der kommt – wenn überhaupt – aber erst in einem Jahr ins Amt.
Interessant ist, von wem der Kanzler Applaus erhielt: Die AfD – in Person von Björn Höcke – gratulierte ihm ebenso herzlich wie das „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Aus FDP, Union und von den Grünen kam teils heftige Kritik. Nicht zuletzt, weil Scholz die Europäer jüngst immer wieder aufgefordert hat, mehr für die Ukraine zu tun – selbst aber eben nicht bereit ist, das Mögliche zu tun. Das wirkt nicht besonders glaubwürdig.
Macron ist Top-Thema der russischen Propaganda
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzte diesem deutsch-europäischen Schlingerkurs nun sogar die Krone auf. Er schloss den Einsatz von europäischen Bodentruppen in der Ukraine nicht aus – woraufhin sich in Deutschland alle Parteien, inklusive des Kanzlers, verständlicherweise distanzierten. Zu Macrons Gunsten darf man anführen, dass er immerhin sagt, Russland muss seinen Angriffskrieg verlieren. Ein Satz, den sich Scholz bis heute nicht zu eigen machen will. In russischen Propaganda-Kanälen ist die Aussage Macrons wenig überraschend Top-Thema. Es stärkt die im Inneren seit langem verbreitete Behauptung des Kreml, man befände sich mit dem Westen im direkten Krieg.
Wie aus der SPD zu hören ist, will sich Scholz zur nächsten Wahl das Image des „besonnenen Kanzlers“ aufbauen, der Deutschland aus dem Krieg heraushält. Wenn er sich da mal nicht täuscht. Es ist keineswegs sicher, dass die Ukraine ihren momentanen – durch die europäischem Führer maßgeblich mitverursachten – Munitionsmangel unbeschadet übersteht. Sie verliert in diesen Tagen deshalb viele ihrer besten Soldaten.
Noch ist Zeit, das Schlimmste zu verhindern
Fällt die Ukraine, wird Putin als nächstes das Baltikum ins Visier nehmen. Erst vor wenigen Tagen drohte er Litauen und Polen zum wiederholten Mal. Ein denkbares Ziel für Russland wäre es, eine Landverbindung zur russischen Exklave Kaliningrad herzustellen. Mit Rückenwind durch einen Sieg in der Ukraine, Russlands hochgefahrener Kriegswirtschaft, Donald Trump im Weißen Haus, weiteren Atomdrohungen und der bisher gezeigten Rücksichtslosigkeit gegenüber den eigenen Soldaten, wäre das für Putin ein durchaus realistisches Szenario. In diesem Fall stünden dann tatsächlich auch deutsche Soldaten an der Front. Noch ist Zeit, dieses Szenario abzuwenden. Dazu braucht es aber Mut, einen klaren Kompass und europäische Geschlossenheit.