Stevie Schmiedel
  • Stevie Schmiedel schreibt einmal in der Woche in der MOPO zum Thema Feminismus.
  • Foto: hfr

Frau Dr. Schmiedel: Ist „Alter, weißer Mann“ ein Schimpfwort?

Mein Onkel sagte neulich: „Die meistdiskriminierten Menschen auf diesem Planeten sind heute alte, weiße Männer.“ Das findet, glaube ich, auch der Mitarbeiter von Audi, der gerade klagt, weil er sich bei der von seiner Firma vorgegebenen Außenkommunikation nicht mitgemeint fühlt: Die vorgeschriebene Adressierung „Audianer_innen“ empfindet er als diskriminierend für Männer. Wow. Echt jetzt?  Und auf einer Party (die letzte, bevor mit Partys erst mal Schluss war) sagte mir ein gut verdienender Mann: „Ihr Feministinnen müsst aufhören, über alte weiße Männer zu schimpfen! Das ist so was von verletzend! Und ich bin kein Stück privilegiert! Ich habe immer hart gearbeitet!“

Hat er recht? Unbedingt. Und überhaupt nicht. Lassen Sie mich das erklären. Richtig ist:

Weil es manchmal zu komplex ist im Feminismus, wird verkürzt und mit Stilmitteln gearbeitet, über die jede Hamburger Werbeagentur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde. Auch wenn es stimmt, dass Männer weniger körperliche und sexuelle Gewalt erfahren als Frauen, weniger Altersarmut erleiden, im Durchschnitt 21 Prozent mehr verdienen, viel eher Führungspositionen innehaben und an politischen Entscheidungen beteiligt sind, ist es ungünstig, „alte weiße Männer“ als Kampfbegriff auszurufen. Jede Kommunikationsexpertin würde da raten: Ja, und was soll das jetzt ändern? Bringen sich deshalb neuerdings konservativ denkende Männer in den Feminismus ein und werden seine „Allies“?

Männnern wird weitaus weniger vom anderen Geschlecht ins Wort gefallen

Die Überspitzung „alte, weiße Männer“ ist hilfreich, um anzuzeigen, wer die politische und wirtschaftliche Macht in der Welt hat, auch in Deutschland. Eine einzelne Bundeskanzlerin macht als Schwalbe noch keinen Sommer: 70 Prozent unseres aktuellen Bundestages sind Männer, wenige haben Migrationshintergrund. Die Überspitzung ist auch hilfreich, um den einen oder anderen anzustoßen, seine Privilegien zu hinterfragen: Es werden weiterhin eher Männer als Spezialisten angefragt (siehe Pandemie), Männer auf der Karriereleiter befördert, sie können angstfreier abends unterwegs sein und müssen nicht so viel lächeln oder sich um ihr Aussehen kümmern, um überhaupt mitreden zu dürfen. Ihnen wird weitaus weniger vom anderen Geschlecht ins Wort gefallen oder Dinge erklärt, die man selbst längst weiß. Ja, Männer im Ganzen sind privilegiert, vor allem weiße Männer.

Aber Männer als Individuen? Sind Menschen. Sie empfinden es selbstredend als anstrengend, jeden Tag 14 Stunden zu arbeiten, auch in Spitzenposition mit fettem Gehalt. Sie sterben nicht umsonst fünf Jahre früher als Frauen, weil sie zu viel rauchen, Alkohol trinken, fette Steaks essen müssen (weil – sonst kein Mann!), nicht zum Arzt und zur Vorsorge gehen (weil – sonst kein Mann!) und, einer britischen Studie zufolge, aus Sozialisierungsgründen (weil – sonst kein Mann!) schon in der ersten Klasse ein weitaus geringeres emotionales Vokabular haben als Frauen. Bedeutet: Mehr Depressionen, mehr Selbstmordgefährdung, mehr Suchtgefahr. Das Patriarchat ist höchst ungesund für Männer. In der Pandemie lagen zu 71 Prozent Männer auf den Intensivstationen.

„Alte, weiße Männer“ ist eine Generalisierung, ein Kampfbegriff

Nicht jeder alte, weiße Mann ist privilegiert. Nicht der Obdachlose vor Budni. Im Vergleich zu seiner weiblichen Mit-Obdachlosen vielleicht. Ansonsten: nein. Auch nicht der Tontechniker im Vergleich zu der weiblichen TV-Redaktionsleiterin. Er kann sicherer durch eine dunkle Gasse gehen, ja. Aber wird er zum Feministen, nur weil er neuerdings ständig hört, er solle seine Privilegien checken? „Alte, weiße Männer“ ist eine Generalisierung, ein Kampfbegriff, der aufrütteln und das Problem aufzeigen kann. Aber es ist kein Allheilmittel. Was dringend bekannter werden muss, ist: Alles, was einen Mann auszeichnet und ihn dadurch potenziell reicher und mächtiger als eine Frau machen kann, kann auch verursachen, dass er einsam und krank wird.

Insofern wäre mein Plädoyer: Auf „alte, weiße Männer“ nicht nur mit dem gehobenen Zeigefinger zu deuten, sondern sie auch als Risikogruppe zu sehen. Um dann genau diese Risikogruppe anzusprechen und ihnen Feminismus als Lösung zu präsentieren. Ich glaube, ein:e Hamburger Werbestrateg:in fände meinen Plan, so Feminismus zu verkaufen, überzeugend. Jung von Matt, Philipp und Keuntje, Scholz & Friends, Thjnk: Wir warten auf von einem Mann präsentierte Werbung für Waschmittel, mit dem Slogan: „Wäscht Sie von überzogenen Ansprüchen an Männlichkeit rein! Damit auch Sie ein langes, gesundes Leben führen können.“ Nice? Ihr macht das bestimmt schick! Ich bin gespannt.

Ihr habt Fragen zum Feminismus? Stellt sie uns! feminismus@mopo.de

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