Ich habe über Schwarz-Rot-Gold geschrieben. Und Hass geerntet – zu Recht?
Vor einigen Tagen schrieb ich in unserem MOPO-Newsletter über meine Flaggen-Abneigung: Schwarz-Rot-Gold? Löse in mir eher Unbehagen aus als Euphorie. Wecke unschöne AfD-Assoziationen. Ich schrieb von ästhetischer Fragwürdigkeit. Und sollte dafür von den MOPO-Lesern ordentlich auf die Mütze bekommen. Und das vermutlich zu Recht.
Es war kurz vor Feierabend – ich teilte meine Beobachtung, dass Hamburg bei dieser EM ziemlich unbeflaggt ist. Ein angenehmer Zustand, wie ich befand. EM-Stimmung, das gehe eben auch ohne den ganzen Nationalfarben-Krempel. Ohne entsprechend gefärbte Hawaii-Ketten und Wimpelchen.
Unseren Newsletter beginnen wir Autoren häufig mit einer kleinen persönlichen Betrachtung. Was soll ich sagen: Diese kam nicht gut an – die Wut einiger Leser: grenzenlos. „Diese Verunglimpfung!“
Ich ahnte: Die Kritik ist berechtigt
Ich ahnte: Im Ton waren manche Reaktionen vielleicht drüber, der Kern der Kritik aber berechtigt. Der Beginn einer Selbstreflexion.
Was ist es, was mich an dieser Fahne so abstößt, die doch für unser Land, unsere Demokratie steht? Schwarz-Rot-Gold – fest verankert in Artikel 22 unseres Grundgesetzes?
Warum bringen mich tanzende Niederländer in orangen Ganzkörperoutfits zum Schmunzeln, während mich schwarz-rot-goldene Puschen an Auto-Seitenspiegeln peinlich berühren?
Rechte wollen die Deutungshoheit über unsere Flagge
Flaggen sind Symbole, sie stehen für etwas. Wofür genau entscheidet der Betrachter natürlich in erster Linie selbst. Während dem einen beim Anblick der HSV-Raute das Herz aufgeht, lässt sie den Fußballmuffel kalt.
Allerdings lässt sich das, was wir mit Symbolen assoziieren, leicht beeinflussen. Je häufiger sie benutzt werden, um eine bestimmte Botschaft zu transportieren, desto enger werden sie auch mit dieser Botschaft verknüpft. Und die arme Deutschlandfahne hatte da in den vergangenen Jahren eher weniger Glück mit denen, die sie für ihre Zwecke geschwenkt haben.
Weltweit werde derzeit um die Deutungshoheit von Staatssymbolen und Traditionen gerungen, sagte der Jurist Enrico Brissa kürzlich in einem „Geo“-Interview. Brissa hat ein ganzes Buch zur Thematik geschrieben: „Flagge zeigen! Warum wir gerade jetzt Schwarz-Rot-Gold brauchen“. In Deutschland lasse sich seit zehn Jahren beobachten, „dass zunehmend radikale und extremistische Kräfte der Rechten auch die Farben Schwarz-Rot-Gold nutzen“, so der Experte.
Pegida hat Schwarz-Rot-Gold entfremdet – holen wir es uns zurück!
Blickt man zehn Jahre zurück, dann sehen wir die Anfänge von Pegida im Jahr 2014. Zu Tausenden zogen die Anhänger der völkischen Bewegung damals durch die Straßen, um völlig unverblümt ihre Fremdenfeindlichkeit zu zelebrieren. Schaut man sich die Bilder von damals an, sind da ganze Fahnenmeere – fast wie beim Fanfest. Die sogenannten Montagsmärsche prägten das Bild. Dann begann der Aufstieg der AfD. Und Schwarz, Rot und Gold waren plötzlich die Farben der Rechten und Rechtsextremen.
Dabei steht die Flagge schon historisch betrachtet für das Gegenteil dessen, was Reichsbürger und Co. mit unserem Land vorhaben: Sie steht für demokratische Neuanfänge. Vor mehr als 200 Jahren, die deutschen Länder wollten sich damals von Napoleon und der französischen Besatzung befreien, wurde Schwarz-Rot-Gold als Farbkombi geboren. Die Freiheitsämpfer sollen schwarze Uniformen mit goldenen Knöpfen und roten Aufschlägen an den Ärmelenden getragen haben.
Freude statt Frust, Liebe statt Hass
Schwarz-Rot-Gold, das stand für den Traum von der deutschen Einheit und der Souveränität der Volkes: Tausende Protestler schwenkten die Fahne 1832 beim Hambacher Fest, 1919 wurde die Trikolore schließlich zur Nationalflagge der ersten deutschen Republik.
Auch die Nazis sahen in der Flagge ein Symbol für liberales Gedankengut – und das passte ihnen natürlich nicht. Fahnen wurden entfernt und sogar verbrannt. Und so stand die Farbkombination nach Ende des Zweiten Weltkriegs erneut für den demokratischen Neuanfang.
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Und jetzt? Müssen wir die Fahne schwenken, anstatt uns angewidert von ihr abzuwenden – so, wie ich es getan habe. Überlassen wir sie nicht den Rechten! Und welche Gelegenheit wäre da besser als eine Fußball-EM? Da sieht man strahlende Gesichter auf dem Heiligengeistfeld – geschminkt in den Farben unseres Landes. Freude statt Frust, Liebe statt Hass.
Wenn die Nationalelf am Samstag im Achtelfinale gegen Dänemark aufläuft, werde ich mich jedenfalls über das Schwarz-Rot-Gold in unserer Stadt freuen. Und seien es die Puschen am Seitenspiegel. Ästhetik hin oder her.