Frau Dr. Schmiedel, warum streiten Feministinnen so viel?
Alice Schwarzer hasst mich. Sie hat mich in mehreren ihrer Beiträge direkt angegangen oder aber die feministische Organisation Pinkstinks, die ich vor neun Jahren gegründet habe. Ich sage das mit einem leichten Grinsen, denn was ich so lustig daran finde, ist, dass Frau Schwarzer in jedem abwertenden Beitrag über Pinkstinks von der „Berliner Organisation“ schreibt, dabei sitzen wir schon immer in Hamburg-Eimsbüttel. „Berliner Feministinnen“ ist in der konservativ-feministischen Szene ein Code, glaube ich: Der steht für diese jungen Hühner, die der Lila-Latzhosen-Generation keinen Dank für ihre Errungenschaften zollen, glauben, Prostitution wäre ein hipper Lifestyle und Feminismus ein offener Verein, dem man schon angehört, wenn man glitzernd „Viva la Vulva!“ auf seinem T-Shirt trägt.
Frau Schwarzer schreibt wirklich so viel schlecht recherchierten Müll über uns, dass ich da etwas salopp bin, ich bitte um Verzeihung. Denn selbstverständlich hat Schwarzers Generation unglaublich viel erreicht. Wenn die „zweite Welle“ Feminismus nicht so viele fette Brocken aus dem Weg geräumt hätte, könnten wir heute nicht mit so viel Witz und Leichtigkeit Kampagnen machen. Gegen welche Widerstände diese Frauen noch angehen mussten, das mag man sich heute kaum ausmalen. Feminismus ist leider jedoch auch immer ein Generationenkampf.
Der Krieg zwischen den feministischen „Schulen“ verläuft auf verschiedenen Achsen
Meine Kinder müssen mir alter Frau (49) heute erklären, dass sie mit dem Handy wirklich nicht nur Musikvideos glotzen, sondern sich von einer Dragqueen auf TikTok besser Mathe erklären lassen, als ihr Lehrer das kann. Ebenso nervt es mich natürlich, wenn Frau Schwarzer (78) mir unterstellt, ich hätte keine Ahnung von Prostitution in Deutschland. Hallo? Wir haben hier St. Pauli (da habe ich lange gewohnt), viel Sexarbeit und tolle Vereine (z. B. Ragazza oder Sperrgebiet), die sich für die Rechte von Sexarbeiter:innen einsetzen. Wir kennen uns hier aus.
Der Krieg zwischen den feministischen „Schulen“ verläuft auf verschiedenen Achsen. Schwarzer und ihr Blatt „Emma“ sagen, Prostitution ist immer Ausbeutung, also muss das weg. Wir sagen, Sexarbeiter:innen gehören geschützt, und das geht nur in der Legalität. Dieser Streit wird hochemotional geführt, kann man verstehen: Sex ist für viele Frauen eine sehr private Sache. Das ist die eine Achse. Dann gibt es das Streitwort „Intersektionaler Feminismus“ – was bedeutet, dass weiße Frauen auch die im Blick haben sollten, die Mehrfachdiskriminierungen erfahren: beispielsweise schwarze Frauen, migrantische Frauen, Frauen mit Behinderung. Da bekommen wir auch manchmal auf den Deckel aus Berlin, weil die dort viel strenger sind als wir. Wir sagen öfter: Eins nach dem anderen, weil die Leute sonst dichtmachen.
CDU, SPD und Grüne wollen auch alle dasselbe: gut regieren
Aber ich finde Kritik wichtig. Ich entschuldige mich auch, wenn ich wirklich inklusiver hätte sein können. Frau Schwarzer entschuldigt sich nie. Ein Reizthema in der Szene sind trans* Menschen. Schwarzer sagt, Pinkstinks sage, dass man nicht mehr von Frauen, sondern nur noch von „Menschen mit Gebärmutter“ sprechen darf. Das ist unfassbar grober Quatsch, aber das gibt natürlich Klicks, und #Pinkstinks zieht gut auf Social Media. Infolge der „Emma“-Kampagne für das Kopftuchverbot hat das Magazin nun die Rechtsaußen als Riesenfans – das hat „Übermedien“ recherchiert. Und haben wir anderen auch den braunen Mob auf unseren Accounts. Das ist nicht fein.
Dabei haben „Emma“, Pinkstinks und manch eine Berliner Bloggerin ganz viele Bereiche, in denen wir uns alle gleich aufregen: Sexismus in der Werbung, Body-Shaming, Gender Gap, Sexuelle Gewalt. Sehr schade, dass wir da nicht öfter zusammenarbeiten können. Aber wir haben unterschiedliche Zielgruppen und kommen nicht immer überein. Und mit manchen koalieren wir aus Prinzip nicht.
Aber, mal ehrlich: CDU, SPD und Grüne wollen auch alle dasselbe: gut regieren. Wenn die sich hauen, schimpft niemand, im Gegenteil: Der mit den besten Argumenten gewinnt. Wenn sich feministische Verbände angehen, weil sie anderer Meinung sind, heißt es: „Mädels! Nicht so laut bitte! Seid doch lieb miteinander!“ Wieso eigentlich? Also, Sie kennen mich mittlerweile: Ich bin für den freundlichen Dialog. Aber der funktioniert nur bis zu einer Schmerzgrenze – auch im Feminismus. Mein Motto: Lob, wo Lob gebührt, freundliche Sachlichkeit und eine Entschuldigung, wenn etwas schiefgelaufen ist. Das funktioniert in der Regel überall – nicht nur am Arbeitsplatz!