Bedient: Kanzler Olaf Scholz sieht man am Wahlabend seinen Gemütszustand an.

Bedient: Kanzler Olaf Scholz sieht man am Wahlabend seinen Gemütszustand an. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Zauderei statt Führung: Wie Olaf Scholz zur großen Enttäuschung wurde

„Das war erwartbar“: So kommentierte am Sonntagabend der Hamburger Finanzsenator gegenüber der MOPO das schlechteste Ergebnis seiner Partei aller Zeiten bei der Bundestagswahl. Und genau das bringt das Problem auf den Punkt. Olaf Scholz enttäuschte seine Anhänger in den Jahren seiner Kanzlerschaft ausgerechnet auf den Feldern, bei denen man ihm eigentlich viel zutraute. Und er ließ alle Gelegenheiten aus, daran etwas zu ändern. Kein Wunder, dass die dann Konsequenzen ziehen.

Mit wem auch immer ich in meinem Familien- und Freundeskreis in den vergangenen Wochen über die Wahl sprach: Für die SPD sprach sich kaum jemand aus. Normal ist das nicht. Es ist das Ergebnis einer langen Liste von gebrochenen Marken-Versprechen des Kanzlers. Denn Scholz war eine Marke.

Wer bei Scholz Führung bestellte, bekam Zauderei

„Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie auch“: Ein legendärer Scholz-Satz, formuliert vor seinem ersten bahnbrechend erfolgreichen Wahlkampf für das Bürgermeisteramt in Hamburg. Die Partei war hoffnungslos zerstritten, Scholz lieferte und schloss die Reihen. Die eiserne Disziplin, mit der die Hamburger Genossen ihm über Jahre folgten, war legendär. Und ausgerechnet als Kanzler, im wichtigsten Amt des Landes? Nix dergleichen. Scholz ließ sich innenpolitisch vor allem von der FDP immer wieder im Nasenring durch die Manege führen.

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Außenpolitisch wirkte das zähe Ringen und die Wortklauberei um jede Waffenlieferung für die Ukraine wie die Antithese zu Entschlossenheit. Führung? Zauderei. Klar, nur mit Auf-den-Tisch-hauen lassen sich komplexe Themen nicht hinwegzaubern. Erst recht nicht, wenn da Parteien mit am Tisch sitzen, die ihre eigenen Krümel vom Kuchen haben wollen. Aber wenn jemand im Kern genau hier verspricht zu liefern und es dann nicht tut, kann er sich nicht auf widrige Bedingungen berufen.

Keine Linie, kein Gespür, kein Sinn für die Menschen

Was uns zu der nächsten Enttäuschung bringt: Scholz und die Kommunikation. In schwierigsten Zeiten sah man vom Kanzler lange: nichts. Und mit jeder Woche, in der hinter den Kulissen an Kompromissen zu Klima- Haushalts- und Sozialpolitik geschraubt wurde, die danach dann direkt öffentlich zeredet wurden, wirkte das quälender. Keine Linie. Kein erkennbares Erspüren der Bedürfnisse der Bürger. Keinen Sinn für den richtigen Ton und die Gefühlslage der Leute da draußen. Beim Bürgergeld entglitt die kommunikative Hoheit über die Schmarotzer-Debatte. Beim Thema Migration lief man immer nur der Lage hinterher, ob beim Streit um Grenzkontrollen oder nach tödlichen Anschlägen von Asylbewerbern.

Die deutsche Wirtschaft brachte er parallel mit flapsigen Anmerkungen gegen sich auf. Die Arbeiter sind bei dieser Wahl mehrheitlich bei der AfD. Aber das Problem ist: Am Ende fühlten sich im Grunde ALLE vom Kanzler nicht gesehen. Verheerend.

Zur Marke Scholz gehörte auch die Erzählung vom Aktenfresser. Zum fleißigen, intelligenten Analysten, der mit ruhiger Hand und Rationalität Probleme löst. Die deutschen Probleme aber, die wurden immer größer.

Am Ende verlor Scholz noch seinen Instinkt

Und dann gibt es ja noch eine weitere Zuschreibung für die Marke Scholz: politischer Instinkt. Spätestens seit seiner unglaublichen Aufholjagd bei der vorangegangenen Wahl ist dieser legendär.

Doch als es um den Spitzenkandidaten für die vorgezogene Neuwahl ging, ließ Scholz die letzte Chance liegen, diese Qualität unter Beweis zu stellen. Den allseits geschätzten und nicht durch endlose Debatten belasteten Boris Pistorius ließ die SPD-Spitze mit seinen Ambitionen verhungern.

Ja, dieses verheerende Ergebnis war erwartbar. Unvermeidbar aber war es nicht. 

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